Kreuzberger Chronik
April 2012 - Ausgabe 136

Reportagen, Gespräche, Interviews

Der Betonriegel - Teil II


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von Bestgen, Orlowsky, Korfmann

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Ein Gespräch mit Thomas Bestgen und dem ersten grünen Baustadtrat Werner Orlowsky über die Neubauten an der Schwiebusser Straße und der Monumentenbrücke.

Korfmann: Herr Bestgen, was bedeutet eigentlich UTB?

Bestgen: Ich habe Bankkaufmann gelernt. Nachdem ich als Unternehmensberater für den genossenschaftlichen Bankenverband tätig war, habe ich mein erstes Unternehmen Unternehmensberatung Thomas Bestgen genannt.

Korfmann: Sie haben sich noch mit Altbausanierungen und Genossenschaften beschäftigt und standen also an der Seite all jener, die eine Privatisierung des Mietbestandes und eine Verdrängung der hier lebenden Kreuzberger verhindern wollten. Jetzt baut Ihre UTB Neubauten und Eigentumswohnungen. Haben Sie damit nicht das Lager gewechselt?

Bestgen: Nein, wir stellen immer noch unsere gesamte wohnungswirtschaftliche Kompetenz Mietern und Mietergemeinschaften zur Verfügung, deren Wohnungen oder Häuser verkauft werden sollen. Leider sind jedoch die wohnungspolitischen Förder-Instrumente wie »Soziale Stadterneuerung«, »Selbsthilferichtlinie«, »Genossenschaftsrichtlinie 2000« oder das »Mietermodernisierungsprogramm« und vieles mehr nach und nach verloren gegangen.

Orlowsky: »...Wer wär nicht gern ein guter Mensch, doch die Verhältnisse, die sind nicht so...« – Ach, Herr Bestgen. Sie bauen an der Monumentenbrücke bis zu 162 Quadratmeter große Luxuswohnungen mit einer Geschosshöhe von bis zu 4,30 Metern Höhe und Privatgärten. Worin glauben Sie sich noch zu unterscheiden von Investoren, die aus rein spekulativen Gründen in gehobenen Wohnungsbau investieren, um hohe Renditen zu erzielen.

Bestgen: Ich kenne keinen rein spekulativen Investor, der 16 Jahre Erfahrung mit Nachbarschaftsprozessen besitzt und so viele Mietergenossenschaften gegründet hat, wie die UTB. Wir sind beim Bauvorhaben in der Monumentenstraße zu Kompromissen und Zugeständnissen gegenüber dem Bezirksamt bereit, die absolut unüblich sind. Wir haben den Mietern in der Eylauer Straße den Einbau von Fenstern in ihren Brandwänden angeboten, sowie eine Begrünung der Brandwände.

Orlowsky: Die Fenster in den Brandwänden der Eylauer Straße sind löblich. Aber auf das Grün an den Wänden werden vor allem die Eigentümer der Neubauwohnungen blicken...

Bestgen: ...und der ortsübliche Verdichtungsparameter in der Eylauer Straße liegt bei 4,5, wir sind bei 2,0 gelandet. Wir könnten, wenn wir wollten, also noch viel mehr bauen. Aber wir setzen auf Grün, und haben außerdem angeboten, statt ausschließlich in unseren privaten Hofgärten auch auf dem öffentlich zugängigen Parkbereich vor den Lokdepots zu unseren Lasten hochwertige Spielflächen zu errichten, welche so auch von den Kindern der Nachbarbebauung öffentlich genutzt werden können.

Orlowsky: Das hört sich altruistisch an, ist aber eigentlich ein geschickter Schachzug. Die Spielplätze gehören meiner Meinung nach zu jenen notwendigen Eingeständnissen, die Sie machen müssen, um die Genehmigungsbehörden auf Ihre Seite zu bringen.

Bestgen: Wir hatten am 23. Januar ein Treffen mit der Bürgerinitiative Eylauer Strasse. Für einige verliert ihr Wohnort durch den Neubau derart an Attraktivität, dass sie ausziehen möchten. Wir haben sofort angeboten, im Rahmen des Sozialplanverfahrens die Härtefälle zu ermitteln und entsprechend der von Ihnen, Herr Orlowsky, mitentwickelten Berliner Regelungen bei Altbausanierungen mit Umzugshilfen und Kautionsbeihilfen zu unterstützen. Aber wir wollen keine Umzüge forcieren und werden auch keine »Abfindungen« zahlen. Wir setzen auf eine gemeinsame gute Nachbarschaft.

Orlowsky: Das ist doch ein Widerspruch. Auf der einen Seite erklären Sie, keine Umzüge forcieren zu wollen, und im gleichen Atemzug bieten Sie den Mietern Umzugs- und Kautionsbeihilfen an. Nahezu alle Mieter in der Eylauer Straße sind unglücklich über Ihre Baupläne. Angesichts dessen ist es kein Witz mehr, sondern blanker Hohn, von einer guten und gemeinsamen Nachbarschaft zu sprechen.

Korfmann: Herr Bestgen, Sie sind Vorstand einer Wohngenossenschaft in der Fidicinstraße. Von ihrem Büro aus blicken Sie auf die Schwiebusser Straße. Dort haben Sie sich und ihren Nachbarn ein gigantisches Wohnvieriertel vor die Nase gesetzt. Ein Viertel, von dem viele sagen, sein Charme stehe dem der Sozialbauten der 60er Jahre um nichts nach. Allerdings handelt es sich nicht um günstige Mietwohnungen, sondern um Eigentumswohnungen. Können Sie ihren Nachbarn und Freunden noch in die Augen schauen?

Bestgen: Ja, natürlich. Wir arbeiten ja im Kiez seit 12 Jahren und haben mehr als 10-mal so viele Mietwohnungen im geschützten Segment geschaffen, als Neubauwohnungen. Auf dem Baufeld sind 10 Architekturbüros beteiligt. Die von den Baugruppen mit gestalteten Fassaden sollten doch erst einmal entstehen, bevor sie pauschal zerrissen werden. Wir haben für unsere Bauvorhaben ja auch viel Lob erhalten.

Orlowsky: Von wem denn? Bestimmt nicht von Mietern, die jetzt auf eine zwanzig Meter hohe Betonwand blicken.

Bestgen: Es entsteht übrigens auch kein neues Stadtquartier, sondern das bestehende Quartier wird erweitert. Stadtentwicklung von innen, Brachenqualifizierung, so wie es innovative Stadtplanung eigentlich vorgibt und das Land Berlin seit Jahren propagiert. Und fast alle Häuser werden durch Baugruppen errichtet, d.h. es entsteht spekulationsfreier, selbst genutzter Wohnraum.

Korfmann: Bis die Eigentümer einen Job in England oder Frankreich bekommen und die Wohnung mit Profit weiterverkaufen.

Orlowsky: Baugruppen sind ja nicht per se gut. Ein von einer Baugemeinschaft errichtetes Haus kann, wenn es sich um Eigentum und nicht um eine Genossenschaft handelt, jederzeit weiterverkauft und zum Spekulationsobjekt werden.

Bestgen: Im Moment jedenfalls kommen 80% der zukünftigen Bewohner aus den angrenzenden Postleitzahl-Quartieren, vor allem aus Kreuzberg! Viele sogar aus der Schwiebusser Straße. Hier passiert also genau das, was für eine nachhaltige Stadtentwicklung wünschenswert ist. Der hohe Bedarf an neuen Wohnungen wird durch Quartiersbewohner selbst gedeckt. Sie dürfen, Herr Orlowsky, die Entwicklung nicht nur mit dem einen Auge betrachten. Neben preisgebundenen Mietwohnungen fehlen mittlerweile genauso viele Eigentumswohnungen für den steigenden Bedarf im Innenstadtbereich.

Orlowsky: Mit einem Wort: Es gibt eine Nachfrage, also bauen wir! Herr Bestgen, damit passiert doch genau das nicht, was für eine nachhaltige Stadtentwicklung notwendig ist. Nachhaltige Stadtentwicklung, das heißt doch vor allem: Bezahlbaren Wohnraum schaffen. Ich glaube auch nicht, dass ebenso viele Eigentumswohnungen fehlen wie Mietwohnungen. Dennoch werden derzeit in Kreuzberg mehr Eigentumswohnungen errichtet als Mietwohnungen. Sie, Herr Bestgen, sollten nicht alles durch die rosarote Brille betrachten!

Bestgen: Herr Orlowsky, jetzt wachen Sie doch mal auf. Berlin hat lange genug die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt verschlafen. Innerhalb von nur drei Jahren bekommt Berlin mehr als 100.000 neue Einwohner. In Ihrer aktiven Zeit standen Ihnen jährlich zig Millionen DM zur Verfügung, um mit Ordnungsmaßnahmen und vollen Fördertöpfen Gutes zu tun. Heute, ohne jede Unterstützung durch das Land Berlin, helfen Sie mit Festhalten an Sonnenstunden und romantischem Blick auf nicht mehr vorhandene Möglichkeiten keinem Mieterhaushalt in dieser Stadt. Das hat nichts mit rosaroter Brille, sondern eher einem unverstellten Blick auf die Realität zu tun. Also bitte raus aus der Opferperspektive und Wohnungen bauen! Genau das nämlich entlastet aktiv den Wohnungsmarkt und den Druck auf die Bestandsmieten.

Orlowsky: Herr Bestgen, Sie fabulieren in Ihrem Bauprospekt über den genius loci, über postindustrielle Romantik, die ein neues Gesicht und einen eigenen Charakter bekommen soll, und dass »die vorgefundene Atmosphäre des Ortes in der Architektur bewusst aufgenommen und neu interpretiert« wird. Das sind hochtrabende Worte, aber was soll das eigentlich bedeuten? Die vorgefundene Atmosphäre am Lokdepot war ein Wäldchen mit 50 Jahre alten Bäumen. Wie stellen Sie sich vor, diese alten, von Ihnen gefällten Bäume neu zu interpretieren?

Bestgen: Wir haben mit dem Atelier Loidl erfahrene und mit den Örtlichkeiten sehr vertraute Landschaftsarchitekten verpflichtet, die den öffentlich zugängigen Bereich vor den Häusern hochwertig gestalten und damit eine qualifizierte Durchwegung mit einer raumgreifenden Aufenthaltsqualität schaffen. Der Ersatz für Vegetationsverluste erfolgt über den »Park« im Eingangsbereich zum Flaschenhalspark, den intensiv begrünten Innenhof sowie über Dachbegrünung. Als Ersatzbepflanzung sind u.a. groß gewachsene Robinien und Birken von Büro Loidl vorgesehen und von UTB freigegeben. So müssen nicht erst Jahre vergehen, bis neue Baumkronen und ein grünes Band entstehen.

Orlowsky: Das sind wohlfeile Worte. Eine nachhaltige Stadtentwicklung muss sich den sozialen Problemen stellen, anstatt ihnen mit schönen Worten auszuweichen. •


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