Kreuzberger Chronik
Juni 2011 - Ausgabe 128

Geschichten & Geschichte

Der letzte Dichterfürst


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von Erwin Tichatzek

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Paul Heyse kennt heute niemand mehr, die Titel seiner 177 Novellen sind vergessen. Er schrieb für die Gegenwart.


Theodor Fontane, eher Schwärmer und Schmeichler als Prophet, schrieb bereits 1880, dass dieser Paul Heyse »sehr wahrscheinlich« einmal seiner Epoche »den Namen geben«, und dass dem Goetheschen ein »Heysesches Zeitalter« folgen werde. Da irrte Fontane, doch erhielt der viel versprechende Sohn des Schuldirektors dreißig Jahre später tatsächlich den Literaturnobelpreis – den ersten für einen deutschen Dichter. In der Begründung heißt es, dass Heyse unter den »lebenden älteren Dichtern Deutsch-lands...fast unbestritten als der größte anerkannt« werde. Allerdings bemerkt sogar Heyse selbst in seiner Autobiografie, »daß es uns völlig an Geschick und Neigung fehlte, in die Zeit hineinzuhorchen und uns zu fragen, welchen ihrer mannigfachen Bedürfnisse, sozialen Nöte, geistigen Beklemmungen wir mit unserer Poesie abhelfen könnten.« Heyse sah die Aufgabe der Literatur darin, das Schöne in der Welt zu beschreiben.

Junge und kritische Autoren verspotteten die »veraltete« und »idealistisch-ästhetische« Schreibweise und die vielen »edlen Jünglinge« und »schönen Seelen« seiner Romane, die wesentlich dazu beigetragen haben dürften, dass die Werke des Größten unter den Ältesten heute vergessen sind. Anders als etwa der ebenso romantische, aber leidenschaftlich von der Literatur besessene Hölderlin schrieb Heyse eher für das tägliche Brot als für die Ewigkeit. Gerade 24 Jahre war der junge Mann alt, als er, protegiert von seinem fünfzehn Jahre älteren und bereits berühmten Dichterkollegen Emmanuel Geibel, an den Hof des bayerischen Königs Maximilian gerufen wurde, wo er, ausgestattet mit einer Pension von 1.000 Gulden jährlich, zum letzten deutschen Hofpoet und Dichterfürst avancierte. Die einzige Verpflichtung des Berliners war die Teilnahme an den sommerlichen Symposien des Königs mit abschließendem Billardspiel, und hin und wieder musste er der Königin zum Tee vorlesen. Zwar erhielt der Berliner auch eine Professur für Romanische Philologie, doch eine Vorlesung für Studenten hat er nie gehalten. Dem geselligen Schriftsteller genügten seine Auftritte in Salons und Gesellschaften, die seinem natürlichen Talent zum Gastgeber und Redner entgegenkamen.

»Besonders die Frauen sollen begeistert« gewesen sein, Heyse sei ein »schöner und gewinnend liebenswürdiger Mann«, schrieb eine Kollegin, sowie ein »Meister der Rede« mit »wunderbar diplomatischem Auftreten«. Fontane fügte hinzu: »Auch der Eitelste empfand es als ein Vergnügen, ihn sprechen zu hören.« Was lag näher, als auch in München einen literarischen Salon zu eröffnen. 1854 gründet er mit seinem Ziehvater Geibel »Die Krokodile«, weil »der erhabene Charakter dieses Amphibiums trefflich zum Vorbild idealistischer Poeten zu taugen« schien, wie Heyse in seinen Memoiren schrieb. Es war weniger der Literat, sondern eher der erfolgreiche und einflussreiche Gesellschafter und Mäzen, dessen Nähe schließlich auch so große Autoren wie Wedekind oder Ringelnatz suchten.

Als der aufstrebende Heyse 1859 nach Berlin zurückkehren und sich um die Familie seiner Ehefrau Margarete kümmern muss, passt ihm das wenig. Er ist gezwungen, sich als Redakteur beim einem »Literaturblatt« zu verdingen. Als seine Margarete, die schöne Tochter aus dem Hause Kugler, starb, heiratete der junge Witwer eine Münchnerin und kehrte seiner Heimatstadt Berlin endgültig den Rücken. In München wählte er den »Malerfürsten« Lenbach zum Nachbarn, der ihn auf einem Gemälde mit Heiligenschein porträtierte, und residierte fürstlich in seiner stattlichen Villa mit Park und Säulenhalle, »Bildern, Büsten, Antiken und Kunstgegenständen« und einem Arbeitszimmer, das »nicht eigentlich« zum Arbeiten, sondern »eher als eine Art Audienzzimmer des Olympiers« gedacht war. Den Urlaub verbrachte er, ganz wie Kollege Goethe, am liebsten in Italien, die Winter in einer Villa am Gardasee. Auch die meisten seiner vielen Novellen, die einen Großteil seines »uferlos anschwellenden schriftstellerischen Werkes« ausmachten, -177 Novellen, 8 Romane, 68 Dramen, unzählige Gedichte: Die Gesamtausgabe von 1924 umfasst 10.500 Seiten - siedelte er in Italien an. Der Dichter aus Berlin begann Berlin zu vergessen.

Dabei hatte der »Liebling Fortunas« alles dieser Stadt zu verdanken. In seinem Elternhaus in der Heiliggeiststraße verkehrten die Mendelssohns und die Humboldts, Musik und Malerei gehörten zum Leben dazu wie das tägliche Brot. Schon während der Schulzeit traf er Emmanuel Geibel, trug ihm die ersten Liebesgedichte vor, gründete einen Dichterclub, unterhielt sich mit Menzel, Storm, Fontane, Kugler. Er war ein Sohn aus gutem Hause.

Nur kurz einmal, im »Frühlingsanfang 1848«, seiner ersten Publikation, schwärmte er für die Revolution, schloss sich sogar kurzzeitig den Studentengarden an. Doch schon bald zog sich der Student der Philologie wieder in die häusliche Sicherheit zurück. 1849 wechselte er zum Studium der Romanistik nach Bonn, begann eine Affäre mit der Frau seines Professors, weshalb er das Städtchen dann bald wieder verlassen musste. Doch abgesehen von Jugendstreichen und kleinen erotischen Eskapaden war der Sohn des Schuldirektors ein braver Junge. Noch zwanzigjährig heiratete er Margarete, zeugte vier Kinder, und nur brave Ehefrauen wie die Fontanes konnten nach der Lektüre eines schlüpfrigen Kapitels aus der Feder des alternden Heyse ihrem Ehemann zurufen: »Oh Theochen... du schreibst lauter langweilige Bücher, aber ich danke doch Gott, dass du so was nicht schreibst.«

Das Leben des Paul Heyse war ein langes und glückliches. Angesichts seiner »unermüdlichen Produktion« und anlässlich seines 80. Geburtstages erhielt der fleißige Dichter am Ende die Ehrenbürgerschaft der Stadt München. Prinzregent Luitpold verlieh ihm den Adelstitel, und die Schwedische Akademie den Literaturnobelpreis -nicht ohne die Fürsprache 82 »anerkannt urteilsfähiger Männer Deutschlands«. •


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