Kreuzberger Chronik
Juni 2011 - Ausgabe 128

Geschäfte

Vampier-Tütüs von Claudine


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von Saskia Vogel

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In der Bergmannstraße gibt es Kaffee, Spagetti, Schuhe, Mode. Und um die Ecke Korsetts und Tütüs
Manchmal schleicht sich ein Pärchen herein und fragt, wie wie das denn ginge. Das mit dem Einstieg in die »Szene« der Hedonisten und BDSMler? Claudine Conradi rät den Schüchternen, zunächst hinabzusteigen in die dunklen Kellerbars der Stadt. Ohne Hemmungen und ohne Angst. Denn egal ob auf der »Stolz&Demut« Auktion im Equipage in der stillen Nositzstraße, wo sich Männer als Sklaven versteigern lassen und Frauen die »Geschichte der O« nachspielen, oder im Gargoyle in der lauten Dudenstraße: Letztendlich handele es sich bei den Clubbesuchern eh´ um ganz normale Leute. Ob die burlesque Tänzerin oder der strenge Herr, der dominant die Ketten rasseln lässt: »Die haben einfach Spaß am Rollenspiel und an ihren erotischen Outfits.« Outfits aus glänzenden Materialien und Satin, wie sie die rothaarige Claudine in ihrer »Manufaktur für extravagante Abendmode« selber schneidert.

Ihre Kollektion besteht vor allem aus Korsetts und minikurzen »Vampir-Tütüs«, die gerade einmal die Bäckchen der Damen bedecken und beim Laufen aufreizend flattern. Für die Herren gibt es Leder-Chaps zum »Schnell-mal-Drunterfassen«. Die Leder- und Metallkollektion stellt Claudines Mann Andreas her. Dazu jede Menge Handschellen, Nippelschilder, Ketten-Negligés und Katzenmasken als Accessoires und zum Böse-Spiele-Spielen. Aufgeregt geflattert und druntergefasst wird in der kleinen Slacks-Boutique vor allem an den Samstagnachmittagen. Wenn die Damen sich drängen, Wünsche und Begehrlichkeiten äußern und alle zugleich Tütüs und bonbonfarbene Pumps anprobieren wollen, dann fliegt Claudine nur so hin und her, um es allen recht zu machen, und weil es nur eine Umkleide gibt, lässt die Damenwelt die Hüllen gleich im Verkaufsraum fallen. Die Kundschaft fühlt sich wie Zuhause.
Foto: Silke Mayer


Das liegt an Claudine, die beherzt und charmant eingreift und mit geschickten Fingern jedes Korsett perfekt schnürt - auch wenn der Hüftspeck etwas mehr und der Busen etwas weniger sind. Ihre Unbekümmertheit, ihr ungekünsteltes Lachen über sich und andere schafft Vertrauen, und wenn sie über die Zeit plaudert, als sie nie Geld hatte und sich nur mit »Kellnern im Café Lux in der Goltzstraße über Wasser halten konnte«, ist sogar auch dieFrage nach dem Preis des Ketten-Negligés kein peinliches Thema mehr.

Kellnern war eine Notlösung, Modedesign Claudines Traum. Genau genommen schon der Traum der Großmutter, die ihrer Enkelin einst das Nähen beibrachte. Eine richtige Schneiderin durfte Oma Frieda nicht werden, Claudines Urgroßmutter machte eine Verkäuferin aus ihr. Claudine aber hat es geschafft. Mitte der 80er Jahre ging sie nach
Foto: Silke Mayer
Berlin und begann gemeinsam mit einer Freundin, in einem Atelier in der Katzlerstraße Catsuits à la Emma Peel zu schneidern. »Damals hatte ich eine Top-Figur, so ´ne richtig glatte 36«. Trotzdem: Als die Erotik-Messen in Berlin aufkamen und Claudine etwas Schönes für ihren schönen Körper kaufen wollte, fand sie nichts. »Das ganze Zeug war schlecht verarbeitet und hat nirgends gesessen.«

Also hängte sie die Mikrofaserjacken und die Bürokleidung für die konservative Damenwelt an die Garderobe - »das hat mich angeödet wie nichts. Mausgrau, Taubengrau, kurz über dem Knie, kurz unter dem Knie – ich dachte, ich gehe ein vor lauter Langeweile« - und fing an, erotische Avantgarde-, Gothic- und Rockabilly-Kleidung zu schneidern und auf Messen zu präsentieren. Ein Konzept, das aufging. »Ich habe den Nerv der Zeit getroffen.« Die Love Parade zog durch die Stadt, der KitKat Club eröffnete. »Die Leute wollten sich zeigen, schrill sein und ihre erotischen Phantasien in der Öffentlichkeit leben.« Claudine lieferte das Outfit. Sie spezialisierte sich auf Einzelanfertigungen nach Kundenwunsch, belieferte Künstlertruppen und kleidete die Sängerin Lucie van Org ein. Vor sieben Jahren eröffnete sie ihre eigene Boutique, und nie war billige Import-Ware aus China eine Konkurrenz. »Wir sind kein billiger Erotik-Anbieter mit Plaste und Elaste.«

Während im Keller der Boutique Claudines Nähmaschine surrt, hat Andreas im hinteren Teil des Ladens seine Metall-und Leder-Werkstatt. Das Material kommt aus einem der ältesten Läden in der Bergmannstraße, dem Lederhandel Engler, gefertigt werden Halsbänder, Riemen zur Züchtigung böser Jungs und die berüchtigten blutroten Lederpeitschen zum Hinabsteigen in dunkle Kellerbars. Und natürlich auch für die erotische »Session« im heimischen Wohnzimmer. Oder aber zum verschämten Verstecken in einer Schublade.

Claudine Conradi, kurz CC, hat mit Slacks ihren Traum vom Modedesign verwirklicht. Großmutter Frieda hat das nicht mehr erlebt, »sie ist leider schon früh gestorben.« Aber vielleicht ist es auch besser so für sie. Denn wer weiß, ob ihr die knielangen Büroröcke nicht lieber gewesen wären als diese »Vampir-Tütüs«, die kaum die Pobäckchen bedecken .•


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