Kreuzberger Chronik
Oktober 2010 - Ausgabe 121

Strassen, Häuser, Höfe

Das Heckmannufer


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von Werner von Westhafen

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Carl Justus Heckmann machte sein Glück mit Kartoffelschnaps. Heute ist eine Straße nach ihm benannt, doch sein Grab ist verwahrlost.


In der Luisenstadt sprach man vom »Alten Heckmann«, seine Villa an der Schlesischen Straße mit ihren großen Gärten war stadtbekannt. Kein Wunder, dass auch der schwärmerische Dichter Theodor Fontane - so wie alle Dichternaturen des 19. Jahrhunderts stets auf der Suche nach Sponsoren - im Hause Heckmann vorbeischaute. Dort machte der Schöngeist die Bekanntschaft mit der Schwiegertochter des Großkapitalisten, der schönen Mathilde, die Fontane prompt zu einem neuen Werk inspirierte: »Frau Jenny Treibel«. Ob der geschmeichelte Schwiegervater darob zum Mäzen des Dichters wurde, ist nicht überliefert. Überliefert allerdings ist Fontanes Beschreibung des stattlichen Wohnsitzes: Die »Villa lag auf einem großen Grundstücke, das, in bedeutender Tiefe, von der Köpenicker Straße bis an die Spree reichte.«

Damit hatte Fontane kaum übertrieben. Carl Justus Heckmann war einer der erfolgreichsten Unternehmer Berlins, sein Besitz enorm. Doch anders als die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts waren die Unternehmer der Gründerzeit bereit, von ihren Gewinnen abzugeben. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn auch aufgeklärte Schriftsteller und Intellektuelle ihnen Gesellschaft leisteten, und wenn sogar der kritische Chronist Adolph Menzel, ein Freund der Armen und Feind der Ausbeutung (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 110) anlässlich des 50jährigen Firmenjubiläums ein kunstvolles Gedenkblatt verfasste, das heute in der Nationalgalerie hängt. Schon wieder schwärmte Fontane in höchsten Tönen: »... eine seiner schönsten Arbeiten auf diesem Gebiet, geistreich, von herrlicher Farbenwirkung, klar verständlich...«.

Tatsächlich hat sich der alte Heckmann, der die Tochter eines Klempners geheiratet hatte, immer um seine Arbeiter gekümmert. Er zahlte invaliden Arbeitern oder Witwen eine Rente, ohne dass diese je Beitragszahlungen hätten leisten müssen. Er engagierte sich in der Armenkommission und kümmerte sich um Waisenkinder. Auch seine Söhne bemühten sich ein halbes Jahrhundert lang, Armut und Krankheit in den Armenvierteln Kreuzbergs - auch mit politischen Mitteln - zu bekämpfen.

Auf der anderen Seite freilich hinterließ Carl Justus Heckmann seinen vier Söhnen ein Imperium. Als er 1878 im Alter von 93 Jahren starb, war aus dem kleinen Betrieb an der Schlesischen Straße ein Konzern mit Maschinenfabriken, Kupferwalzwerken, und Seifenfabriken in Breslau, Duisburg, Hamburg, Halle, Leipzig, sogar in Moskau und Havanna geworden. Erst die Krise nach dem I. Weltkrieg ließ den Namen Heckmann in den »Vereinigten Deutschen Metallwerken« untergehen. Doch noch in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts waren über 250 Arbeiter in den Heckmannschen Fabrikationsräumen zwischen Spree und Landwehrkanal beschäftigt.

Begonnen hatte die steile Karriere des Carl Justus, der schon als Kind beide Eltern verlor, in der Kupferschmiede seines Großvaters, wo er das Handwerk lernte. Nach Wanderungen durch Süddeutschland, Österreich und Ungarn kam er 1816 im Alter von 30 Jahren nach Berlin, wo er eine Wohnung in der Alten Jakobstraße fand und sich selbständig machte. Ob seine erste Werkstatt hier im Hof oder bereits am Hausvogteiplatz lag, wo er später firmierte, ist unsicher. Der entscheidende Auftrag kam von Johann Heinrich Leberecht Pistorius, einem experimentierfreudigen und erfinderischen Kaufmann, der die von der Alchemie überlieferten Apparate zum Destillieren bewusstseinserweiternder Getränke für veraltet hielt. 1817 ging er zum Patentamt und ließ seinen neuartigen »Destillier- und Rektifizierapparat« mit einem Patent schützen, denn der neue Kolben war in der Lage, in einem einzigen Arbeitsgang aus einer 10%igen Maische einen 85%igen Spiritus zu brennen.

Zwei Jahre später ging die ausgereifte Idee in Produktion, Heckmann schmiedete einen Destillierkolben nach dem anderen, während Pistorius auf seinem alten Rittergut Kartoffeln pflanzte, so weit das Auge reichte. Der Branntwein machte die beiden Männer glücklich, die Alkoholausbeute war enorm, und es dauerte nicht lange, da war Heckmanns Werkstatt zu klein. Immer mehr der 8.000 Berliner Kornbrenner sattelten auf billige Kartoffeln und die neuen Apparaturen um, auch die Trinker wechselten von Korn auf Kartoffelschnaps, denn was da aus den neuen Kolben tröpfelte, war von hervorragender Qualität. Und so entstanden am Stadtrand von Berlin und in den »östlichen Provinzen auf dem platten Lande unzählige Kartoffelbrennereien«.

Als Heckmann dann noch einen Mann mit dem viel versprechenden Namen Eugen Hausbrand als Oberingenieur einstellte, war der Erfolg nicht mehr aufzuhalten. Unter Hausbrand, »von dem behauptet wird, er sei der erste Verfahrensingenieur der Welt« gewesen, nahmen die Berliner Produktionsstätten bald ein ganzes Viertel am Landwehrkanal ein. Ein Kupfer- und ein Messingwalzwerk wurden eingerichtet, ein moderner, im weitesten Sinne Metall verarbeitender Betrieb entstand, zudem entdeckte Heckmann, der sein Glück einst mit Kartoffelschnaps gemacht hatte, nun auch noch die Vorteile des Zuckerrohrs und installierte eine Filiale in Havanna. Die Firma stand in voller Blüte, als man den Alten Heckmann auf dem Luisenstädtischen Kirchhof an der Bergmannstraße zu Grabe trug. Der Zug der Trauernden war groß, Werner von Siemens und die Mendelssohns waren erschienen. Hundert Jahre später ist das Grab vergessen, der Stein verwittert und die schlichte Gravur kaum mehr zu entziffern: »Carl Justus Heckmann« . •


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