Kreuzberger Chronik
Oktober 2010 - Ausgabe 121

Reportagen, Gespräche, Interviews

Der Betonriegel


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von Horst Unsold

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An der Eylauer Straße wird die Grenze zu Kreuzberg geschlossen. Im Osten soll eine 280 Meter lange und 29 Meter hohe Betonwand entstehen.


„Da die unruhigen, querulierenden Einwohner von Berlin Meine Gnade zu sehr mißbrauchen und sie Mir sogar mit Undank lohnen und sie mit Verdruß verbittern, so habe ich beschlossen, nicht mehr für sie bauen zu lassen, und dieser Beschluß soll ihnen bekannt gemacht werden“. So ärgerte sich Friedrich der Große. Heute wären die querulierenden Berliner froh darüber, würde man das Bauen endlich einstellen. Doch im wiedervereinten Berlin regieren die Investoren, und ihre Pläne werden nach Möglichkeit gar nicht erst bekannt gemacht. Ganze zwei Tage im Ferienmonat August, in dem halb Berlin nicht in der Stadt ist, waren die Bebauungspläne für das Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof für die Bevölkerung zugänglich. Etwa ein Drittel des Areals, so einer der Architekten, soll nach Vorgabe des Senates bebaut werden.




Auch am südlichen Ende des neuen Parks auf dem Gelände des ehemaligen Gleisdreiecks planen Architekten nicht nur Grünes: Mitte Juni fanden etwa 200 Mieter ein Schreiben des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg in ihren Briefkästen. Darin wurde den „sehr geehrten Anwohnerinnen und Anwohnern“ mitgeteilt, dass der Bebauungsplan 7-1 als „beschleunigtes Verfahren“ und „ohne Durchführung einer Umweltprüfung“ gestattet wird. „Ziel und Zweck“ sei die „Schaffung von Planungsrecht für eine städtebauliche Neuordnung eines zukünftigen Mischgebietes mit öffentlichen und privaten Grünflächen“. Über die Begrünung vor ihren Häusern und die Ausdehnung des großen Parks bis vor ihre Haustür hätten sich die Bewohner freuen sollen, doch der folgende Absatz machte sie misstrauisch: „Eine frühzeitige Unterrichtung und Erörterung im Sinnes des § 3 Abs.1 des Baugesetzbuches findet nicht statt. Sie können sich aber in der Zeit vom 28. Juni bis zum 9. Juli im Bezirksamt Tempelhof“ über die Planung informieren und sich „bis zum 9. Juli 2010 schriftlich äußern“.

Viel Zeit war nicht zu verlieren. Kathrin Gebhardt aus der Nummer 11 warf wenige Tage später ihrerseits Briefe in die Kästen der Nachbarschaft und wies auf die zehn Arbeitstage hin, an denen herauszufinden war, was da womöglich außer den Grünflächen sonst noch auf dem Bebauungsplan stand. Sie stellte innerhalb weniger Tage eine Bürgerinitiative auf die Beine, wandte sich an den Mieterverein, schaltete einen Anwalt ein und organisierte ein erstes Treffen bei Albert, dem kleinen Bioladen in der Nummer 7.

Auch Margaret Saunders saß an einem jener konspirativen Mittwochabende bei »Albert« zwischen Kuchen und Gemüse und informierte sich. Sie gehörte zu den wenigen, die einen ihrer freien Nachmittage opferten und den Weg ins Rathaus Schöneberg einschlugen. Der Ausflug lohnte. Im Zimmer Nummer 3040 wartete ein freundlicher Beamter, Herr Kalläne von der Abteilung Bauwesen. Er war sofort bereit, sämtliche Unterlagen auf den Tisch zu packen. Als die Baupläne auf dem Tisch lagen, kam Margaret Saunders aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor ihr lagen Pläne für eine 29 Meter hohe und 280 Meter lange Betonmauer. Ein Wohnsilo von der Größe des Viktoriaquartiers. Kalläne sprach ohne Scheu von einer siebenstöckigen, geschlossenen Wohnanlage, direkt vor Margaret Saunders Nase. Die Vorstellung übertraf ihre aufregendsten Albträume.

Auch der Besitzer der Autowerkstatt Rüffert, der seit 20 Jahren auf dem Gelände arbeitet, hat persönlich bei Herrn Kalläne vorgesprochen. Als er seiner Befürchtung Ausdruck verlieh, durch eine Bebauung der Zufahrtstraße von der Außenwelt abgeschnitten zu werden, hob der Beamte schlicht die Schultern: »Ich glaube, da haben Sie schlechte Karten.« Noch schlechtere Karten haben die Schrauber, die neben dem Lokschuppen des Technikmuseums ihre Garagen haben. »Wir haben kurzfristige Mietverträge. Wenn die am Montag bauen wollen, müssen wir Sonntag raus.« Genaues über die Baupläne der
Mamrud Smuskovics Group aber wissen auch sie nicht. »Es soll eine ausländische Firma sein, aber als Sturmspitze haben sie zwei alte Berliner aufgestellt.«

Einer, der bereits früher von den Bebauungsplänen wusste, war Wilhelm Kroll aus der Nummer 10. Er hatte Anfang Juni von den so genannten »Werkstattgesprächen« im Goldenen Saal des Schöneberger Rathauses gehört, die sich mit dem »Stadtumbau Südkreuz« und der »Entwicklung des Grünzuges zwischen Gleisdreieck und Südgelände« beschäftigen. Von damals sei, wenn auch »quasi nur in einem Nebensatz«, die Rede von der Bebauung der Fläche zwischen den Bahngleisen und der Eylauer Straße gewesen. Einer Bebauung just an der schmalsten Stelle des so genannten Flaschenhalses, durch den Frischluft in die Straßen des dicht bebauten Potsdamer Platzes fließen soll. Einer Bebauung, der es nicht um »hochwertiges Wohnen« und eine »neue, attraktive Stadtkante« geht, wie es in den Papieren schönformuliert wird, sondern ums Geschäft.

Mittendrin im Geschäft die Deutsche Bahn, die mit dem millionenschweren Neubau des inmitten von Schrebergärten und verarmten Industrievierteln gelegenen Bahnhofs Südkreuz den Grundstein für ein komplettes neues Stadtviertel gelegt hat. In einem Areal, auf dem Deutschlands berüchtigstes Verkehrsunternehmen einige seiner größten innerstädtischen Ländereien besitzt, die längst mehr als nur ein kleiner Nebenverdienst für die Bahn geworden sind. An fast allen Rändern des großen Grünzuges zwischen Gleisdreieck und Südgelände besaß die Bahn Grund und Boden. So auch an der Eylauer Straße. Schon vor geraumer Zeit hat sie den schmalen Landstreifen, der zwar schon diesseits der Monumentenbrücke liegt, aber dennoch zu Schöneberg gehört, an einen ausländischen Investor verkauft.

Die ersten Pläne aus dem Jahre 2001, so Kroll, sahen noch kleine Stadthäuser vor, mit denen die Mieter in der Eylauer durchaus hätten leben können. Sie scheiterten jedoch an der Finanzierung. Offensichtlich war es schwer, den finanzkräftigen Neuberlinern Häuser gleich neben der Bahntrasse zu verkaufen. Die vergleichbar kostengünstigen Wohnungen im Zementriegel aber könnten sich rechnen. Herr Kalläne jedenfalls zeigte sich erfreut über die nun offensichtlich gesicherte Finanzierung des Bauprojektes. »Natürlich will so ein Baustadtrat bauen. Der kann ein Stück Land nicht einfach so liegen lassen, Bauen ist sein Beruf.« Egal, ob da Bananen drauf wachsen oder Nachtigallen in den Palmen pfeifen. »So eine Brache ist für den Beamten nichts anderes als eine unabgeschlossene Akte, ein unaufgeräumter Schreibtisch.« Hinzu kommt, dass attraktive Bezirke wie Kreuzberg oder Schöneberg neuen Wohnraum gut gebrauchen könnten. Im Pavlov´s, einer ehemaligen Herthakneipe am Eck, diskutieren die Bewohner darüber: »Wenn die die ganzen Sozialleistungsempfänger aus ihren Altbauwohnungen rausbekommen wollen, damit lukrative Steuerzahler aus Westdeutschland in die hübschen Häuser ziehen können, dann müssen die die Altkreuzberger natürlich umquartieren«, sagt einer. »Und in der Betonmauer hätten sie immerhin eine Sonnenseite und Blick über die halbe Stadt, da kann keiner mehr meckern«, ergänzt der andere.

Für die Bewohner in der Eylauer Straße allerdings könnte die Sonne jetzt untergehen. Selbst jene, die im vierten Stock wohnen und bislang einen unverstellten Blick auf die wehenden Fahnen des Schöneberger Rathauses haben, werden das Planungs-Hauptquartier am Kennedy-Platz womöglich bald nicht mehr sehen. Hoffnung, tatsächlich noch etwas aufhalten zu können, haben die Bewohner der Eylauer nur wenig. »Wir sind hier ja nur die kleine, popelige Eylauer Straße am Ende von Kreuzberg. Wenns der Chamissoplatz wäre....«

Die Anfrage beim Mieterverein um Beistand jedenfalls war ergebnislos, der Verein kümmere sich ausschließlich um Mietangelegenheiten. Die Anfrage der Bürgerinitiative an das Museum für Verkehr und Technik zur Genehmigung eines Infostandes auf dem Gelände der Lokschuppen, die im September für die Museumsbesucher geöffnet wurden, blieb unbeantwortet. Auch der Antrag der SPD zur Durchführung einer Informationsveranstaltung zum Bebauungsplan 7-1 scheint laut Bürgerinitiative ergebnislos geblieben zu sein, obwohl die Partei in der Begründung des Antrages feststellte, dass die aktuellen Planungen erheblich vom ursprünglich öffentlich diskutierten Bebauungsplan abweichen, und dass demzufolge »eine Bürgerbeteiligung notwendig ist«.

Thorsten Bieber, der Anwalt der kleinen Bürgerinitiative, hält »eine Durchführung des Bebauungsplans als beschleunigtes Verfahren« und ohne Bürgerbefragung schlicht »für nicht zulässig« und sieht einen Verstoß gegen den § 13 Abs. 1 des Baugesetzbuches. Darin heißt es: »Werden durch die Änderung oder Ergänzung eines Bauleitplans die Grundzüge der Planung nicht berührt« (...), dann »kann die Gemeinde das vereinfachte Verfahren anwenden«.

Von diesem Paragraphen machen die Verantwortlichen im Schöneberger Rathaus ungeniert Gebrauch, obwohl auch ihnen bewusst sein dürfte, dass die ursprünglichen Pläne aus dem Jahre 2001 mit ihren Stadthäuschen erheblich von der 29 Meter hohen Betonwand des Jahres 2010 abweichen. Ungeachtet dessen verweisen sie in ihrer Begründung hartnäckig auf die Beteiligung der Bürger an den ursprünglichen Planungen vor neun Jahren. Zwar sprechen sie das Problem der durch die verschiedenen Eigentümerwechsel »zwischenzeitlich geänderten Planungsziele« an, halten diese aber offensichtlich nicht für gravierend genug, um eine neuerliche Bürgerbeteiligung einzuleiten. Thorsten Bieber vereinfacht es folgendermaßen: »Die Änderungen sind so gravierend, dass eine weitere Beschäftigung mit dem damaligen Bürgerbekunden sinnlos ist!«

Die Argumente der Bürgerinitiative sind einleuchtend. Auf ihren Flugblättern, der kursierenden Unterschriftenliste und auf der Website heißt es: Wir bezweifeln, dass wenige Meter neben der S-Bahn und der ICE-Trasse, in einem Quartier mit Grundschulen und Kindergärten, ein Wohnungsbau in der Größe eines ganzen Dorfes sinnvoll oder gar attraktiv sein kann. - Berlin, den 13.8.2010, im Gedenken an den Mauerbau.« •


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