Kreuzberger Chronik
Mai 2010 - Ausgabe 117

Strassen, Häuser, Höfe

Die Methfesselstraße


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von Werner von Westhafen

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Er nahm die Gitarre und wanderte singend durch die Lande. Dann benannten die Nazis eine Straße nach ihm

Es waren nicht die leichten und beschwingten Kompositionen seiner Trinklieder gewesen, die im September 1935 die Stadtväter dazu bewogen, der zur Brauerei und zum Befreiungsdenkmal auf dem Kreuzberg führenden Lichtenrader Straße den Namen des Komponisten zu geben, der im fernen Thüringen geboren und im ebenso fernen Heckenbeck bei Braunschweig gestorben war. Es waren die Vertonungen von Arndts »Vaterlandslied« und anderen blutigen Kampf- und Burschenliedern, die in den Befreiungskriegen gegen die französische Fremdherrschaft eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hatten: »Laßt klingen, was nur klingen kann / Trompeten, Trommeln, Flöten / Wir wollen heute Mann für Mann / mit Blut das Eisen röten / mit Henker- und mit Knechteblut / o süßer Tag der Rache / Das klinget allen Deutschen gut / das ist die große Sache«.
Angesichts solch nationalistischer Töne kann es kein Zufall sein, dass die Umwidmung des winzigen Sträßchens in jenen Jahren stattfand, in der der große Diktator die Propagandamaschinerie des Nationalsozialismus in Gang setzte. Von den blutigen Gemetzeln, die den idealistischen Gesängen Methfessels folgen sollten, ahnte der Musiker wohl noch nichts, als er im Frühling des Jahres 1818 mit vier Kollegen »von honettem Äußeren« und »mit dem Ränzel auf dem Rücken die Bergstraße hinauf über Heidelberg zum Mannheimer Musikfest« wanderte. In jedem Dorf, durch das die Musikanten kamen, bliesen sie in ihre Hörner, sangen, spielten und zogen schon bald einen Schwarm begeisterter Zuhörer hinter sich her. In Heidelberg wurden sie auf dem Schloss empfangen und von einer Deputation des Gesangsvereins zu einer Neckarfahrt auf festlich geschmücktem Schiff eingeladen. Die Wanderung wurde zum Triumphzug, weshalb der lebenslustige Methfessel, der einem guten Essen und einem guten Wein nie abgeneigt gewesen sein soll, in den folgenden Jahren noch öfter als politischer Troubadour durch die deutschen Lande zog.
Seinem Vater, dem Kantor und Schullehrer von Stadtilm, dürfte der Lebenswandel des Sohnes kaum gefallen haben. Bereits der älteste Sohn hatte Theologie studieren und Pfarrer werden sollen, war jedoch bald vom rechten Weg abgekommen und Musiker geworden. Auch das 13. Kind brachte dem Kantor kein Glück, denn auch Albert besaß ein ausgesprochen musikalisches Gemüt und versuchte sich bereits im Alter von zwölf Jahren an ersten Kompositionen. Kaum war er dem Stimmbruch entronnen, trat er dem öffentlichen Singchor von Rudolstadt bei, wo er bei Turm- und Kirchenkonzerten nach Herzenslust singen und sich als Sänger bei Begräbnissen von »ganzen und halben Leichen« zudem etwas Taschengeld verdienen konnte.
Zwar ging der junge Mann noch zum Studieren der Theologie und der Literatur nach Leipzig, doch verstand er, das Leben zu genießen und sich durch seinen »vortrefflichen Charakter« und sein »liebenswürdiges Benehmen überall beliebt« zu machen. Als die Fürstin Carolina Louise von Rudolstadt den charmanten Jüngling singen sah und hörte, entschloss sie sich, ihn mit einem Stipendium zu beglücken. Zwei Jahre lernte Albert Methfessel beim berühmten Francesco Ceccarelli aus Foligno, der in Dresden Gesangsunterricht gab. Dann trat der junge Kantorsohn seine Stelle als Hof-und Kammersänger in den Gemächern seiner Gönnerin an und blieb für die nächsten 11 Jahre. So angenehm war das Leben bei Louise, dass er sogar ein Angebot als Operndirektor in Prag ablehnen musste.
Mit 37 aber verabschiedet sich der ewige Jüngling vom Hofe, geht zunächst als Gesangslehrer und Dirigent nach Hamburg, gründet dort die erste Hamburger Liedertafel und komponiert die »Hamburger Nationalhymne«. Noch einmal steht er einige Jahre als Troubadour unter nächtlich erleuchteten Fenstern, geht dann als Hofkapellmeister ans Braunschweiger Opernhaus, bis er, fast 50 Jahre alt, seine zweite Louise kennenlernt: Die »jugendliche Sängerin« Louise Emilie Lehmann, die dem Junggesellenleben des inbrünstigen Sängers mit »zwei Töchterchen« ein endgültiges Ende bereitet.
Leider stirbt die junge Frau an der Seite des alten Mannes schon nach wenigen Jahren, und zurück bleibt ein allmählich müder Musiker, dessen Augenlicht schwächer und dessen Ohren immer tauber werden. Zwar ist der alte Sänger im Wiener Hof noch immer ein beliebter und lustiger Gast am Tisch, noch immer schätzt der Sänger das Lied und die Geselligkeit und ein gutes Glas Wein, und anlässlich seines 80. Geburtstages feiert man den Musikus noch einmal landauf und landab. Sogar ein Ehrendoktor wird ihm angehängt. Doch der alte Sängerknabe wird stiller und stiller, und am 23. März 1869 trägt man ihn »völlig sang- und klanglos« auf dem Dorfkirchhof zu Heckenbeck zu Grabe.
Womöglich hätte die Nachwelt den Mann mit der Gitarre nie wieder ausgegraben, hätte er ihr nicht sein »Allgemeines Commers- und Liederbuch mit Melodien« hinterlassen, eine Sammlung von Vaterlandsgesängen, Burschen-, Trink-, Kriegs- und Turnliedern, die allesamt von der Freiheit schwärmten. Schon zu Lebzeiten des Komponisten erfährt eines seiner Lieder, das die Flucht der Deutschen vor Napoleon ins ferne Amerika beschreibt, eine Renaissance. Als 1848 die Märzrevolution ausbricht, macht es unter dem Titel »Ein stolzes Schiff« Karriere. »O altes Deutschland, kannst du ohne Grau‘n die Flucht der armen Landeskinder schau‘n...?«
Immer wieder wurde das Lied von den Flüchtlingen, die ihre Heimat verließen, gesungen, zuletzt einige Jahre nach dem Fall der Mauer, als ein nostalgischer Liedermacher aus der ehemaligen DDR die Flucht vor Napoleon mit der Auswanderungswelle in Ostdeutschland vergleicht: »Und wieder merken wirs erst, wenns zu spät / dass uns am Ende die Heimat untergeht.« •


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