Kreuzberger Chronik
Juli 2010 - Ausgabe 119

Geschäfte

Der Optiker mit dem Elefant


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von Saskia Vogel

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Es gibt Brillen. Es gibt Designerbrillen. Und es gibt Brillen von Maske. Die Originale aus Kreuzberg.


Am Anfang war ein Elefant. Als Tanos Haddad sein Brillenstudio am Mehringdamm eröffnete, stellte er das Pappmaché-Tier aus einer Kreuzberger Requisitenwerkstatt ins Schaufenster. Die Passanten blieben irritiert stehen, Kinder patschten begeistert an die Scheibe. »Maske« sorgte sofort für Aufmerksamkeit. Dann verschwand der Elefant für zwanzig Jahre. Letztes Jahr tauchte er wieder auf. Pünktlich zum 20jährigen Jubiläum von Maske-Optik.

Tanos Haddad hatte lang nach ihm gesucht. Haddad scheint so etwas wie Treue zu besitzen. Ebenso wie seine Kunden. Der Treue betreut sie über ganze Lebensspannen hinweg. Haddad erinnert sich an einen Musiker, einen Holländer, der stets das Brillenmodell »Zeta« mit schwarzer Fassung bei ihm bestellt hatte. Mit einer beruhigenden Regelmäßigkeit, beinahe Jahr für Jahr, immer dann, wenn er eines irgendwo liegen ließ. Eines Tages bat der Musiker plötzlich um eine Sonderanfertigung in Grau. Der Optikermeister überlegte, doch dann verstand er: Nach zwanzig Jahren war auch der Musiker ergraut.

Tanos Haddad kann viele solcher Anekdoten erzählen, doch der Optiker ist ein leiser Mensch. Mit seinem weißen Hemd bewegt er sich fast lautlos in der dezenten Atmosphäre seines Brillenstudios. Und er sagt, er sei »kein guter Erzähler«. Also muss Claudia Theil weitererzählen. Obwohl sie ja eigentlich als Diplom-Psychologin vollkommen fachfremd in das Brillengeschäft eingestiegen ist. Eine überzeugte »Maske-Trägerin« aber war sie schon immer. Von Paris aus rief die junge Studentin eines Tages bei Herrn Haddad an, der seine Brillen bereits weltweit vertrieb. Sie fragte den Fremden am anderen Ende der Leitung, ob er seine phantastischen Entwürfe nicht auch in Paris anbieten wolle. Daraufhin reiste der Optikermeister persönlich nach Paris und erklärte der Studentin, was das Besondere an den Maske-Brillen sei, dass jedes Modell sein individuelles Design besitze, in Kleinserie angefertigt werde und von ausgezeichneter Qualität sei. Mit einer kleinen Auswahl klapperte die Studentin dann erfolgreich einen Pariser Optiker nach dem anderen ab. Und einige dieser Kunden betreut sie noch heute.

Die erste Maske-Kollektion waren Brillengestelle aus Acetat, einem leicht zu bearbeitenden Werkstoff in vielen Farbnuancen. Ideal für die 90er. »Da konnte man sich designtechnisch richtig austoben«, schwärmt die ehemalige Psychologin für das kreative Jahrzehnt. Je flippiger das Design, umso besser. Sogar eine Frauengestalt habe ihr Meister einst in einen Rahmen eingearbeitet. Allerdings so versteckt, dass sich die Schöne nur ausgesprochenen Kennerblicken darbot. Denn Effekthascherei liegt dem leisen Chef von Maske fern. Auch schnelllebige Trends, die alljährlich auf den Messen in Mailand und Paris vorgestellt werden, lassen Maske kalt. Er hält sich an Brillen, die »noch nie da gewesen sind«. Ans Kreieren, statt ans Kopieren.

Foto: Dieter Peters
Zu Beginn des Jahrtausends hatte sich das »flippige« Brillendesign allerdings überlebt. Lila Dreiecksgläser und Fassungen in Gestalt kleiner Schlangen lassen sich heute nur noch auf dem japanischen Markt vertreiben. Der moderne Europäer verlange nach rahmenlosen Brillen mit Bügeln aus Federstahl. Oder nach dicken Kastenbrillen in klassischen Formen. Claudia Theil trägt selber eine von diesen massiven Brillenrahmen in Schwarz. Aber »Maske is much harder in the case, than in the face«! Oder anders gesagt: Maske-Brillen sind ins Gesicht integriert. Egal, um was für eine Brille es sich handelt, egal, ob Korrektionsbrille, Sonnenbrille, Lesebrille, Gleitsichtbrille. Lauter kleine Kunstwerke.

Doch es gibt auch große Kunstwerke. Richtige Schätze. Die lagern ganz hinten in der Holzvitrine mit den goldenen Ornamenten. Dort ist Haddads »Handarbeitskollektion« beheimatet. Vorsichtig holt der Optiker Brillen aus 935er Silber hervor, Brillen, deren Fassungen mithilfe uralter japanischer Schmiedetechniken hergestellt wurden. Brillen für 1.800 Euro. »Mokume Gane« nennt sich das Verfahren, wobei Feinsilber und Kupfer kunstvoll aufeinander geschichtet werden und scheinbar organische, wunderschöne Maserungen erzeugen. Dabei wird jede Brille zum Unikat.

Um eine solche Brille herzustellen, zieht sich der Meister zum Stanzen und Fräsen gemeinsam mit einem Goldschmied in die Werkräume zurück, in denen noch die schweren, 40 Jahre alten Maschinen stehen. Dort hinten werden Maskes Versuchsmodelle und Prototypen entwickelt, da geht es um Haptik und um Funktionalität. Erst später kommen die edlen Metalle, werden, wie beim Goldschmied, große Ledersäcke unter die Werkbank gehängt, damit auch kein Krümel des Silbers verloren geht. Haddads Brillen sind keine einfachen Augengläser mehr, seine Gläser sind Schmuckstücke.

Eines der liebsten Schmuckstücke des Herrn Haddad aber ist der Elefant. Auch seine Kunden liebten ihn. Zwanzig Jahre lang fragten sie nach ihm, klopften immer wieder an: Wo ist eigentlich der Elefant? Doch der Meister wusste keine Antwort. Den Requisitenverleih von damals gab es nicht mehr. Also wurde zum zwanzigjährigen Jubiläum das Tier auf eine Postkarte gedruckt, im Kiez verteilt und eine Suchaktion gestartet: Weiß einer, wo der Elefant steckt? Und Beate Kelm, eine Künstlerin aus der Obentrautstraße, wusste es tatsächlich. Weil der kleine Dickhäuter aus Pappmaché ihre Kreation war. Nun durfte er noch einmal bei Maske im Schaufenster stehen. Wie viele Kunden kamen und seufzten: Ach, der Elefant! Kunden, die sich vor zwei Jahrzehnten bei Maske ihre erste schwarze Brille gekauft haben. Und nun alle längst grau geworden waren. So grau wie der Elefant. •


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