Kreuzberger Chronik
Dez. 2010/Jan. 2011 - Ausgabe 123

Strassen, Häuser, Höfe

Die Bonifatiuskirche


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von Achim Fried

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Lange war die Bonifatiusgemeinde ohne Obdach. Dann schritt Pfarrer Schlenke zur Tat.

Die Stadt an der Spree wuchs unaufhörlich, sprengte die Stadtmauern und dehnte sich bis auf die Felder vor den Stadttoren aus. In ihrem Inneren aber rückten Häuser und Menschen immer dichter zusammen. Schulen, Krankenhäuser und Kirchen konnten dem Ansturm der Bevölkerung nicht standhalten. Im Süden vor dem Halleschen Tor war die St. Hedwig Kirche so überlaufen, dass die Menschen während der Gottesdienste oft im Regen vor der Kirche standen. Zahlreiche Notkirchen entstanden, eine davon in der Yorckstraße Nummer 7. Am Heiligen Abend des Jahres 1888 fand in einer bescheidenen Dreizimmerwohnung mit Küche, Leimküche und Kammer der erste Gottesdienst der Bonifatius-Gemeinde statt. Der Bischof selbst hielt im rechten Seitenflügel, eine Treppe hoch, die Weihnachtspredigt.

Schon bald zogen die Gläubigen vier Häuser weiter in das Lager einer Metallwarenfabrik, doch bald war auch dieser Raum zu klein, worauf die Gemeinde von St. Hedwig in einem alten Schreinerschuppen in der Gneisenaustraße Nr. 99 eine Notkapelle für die wachsende Gemeinde einrichten ließ. Schon 1889 war es zu »einer Zusammenkunft katholischer Männer vor dem Halleschen Tore« gekommen, bei welcher über den Bau einer neuen Kirche beraten wurde. Doch als die neue Gemeinde 1894 den Namen St. Bonifatius, und damit ihre Unabhängigkeit von St. Hedwig erhielt, fehlte die Kirche noch immer.

Die Pläne allerdings lagen nun bald auf dem Tisch, erstellt von Max Hasak, seines Zeichens Bau- und Regierungsrat und ein Spezialist für die Errichtung von Gotteshäusern, die in die Häuserzeilen der rasant wachsenden Metropole integriert werden mussten. Auch das passende Grundstück war bald gefunden, denn glücklicherweise war gerade der Maurer Ferdinand August Riehmer, Besitzer großer Grundstücke an der Yorckstraße, auf denen er die vornehmen Bauten vom »Riehmerschen Hofgarten« errichtet hatte, gestorben. Hinter den Gartenhäusern befand sich eine Art Park mit »Postamenten und Springbrunnen«, für den die Erben des Maurers keine Verwendung fanden. Pünktlich zum Fest des Heiligen Bonifatius wechselten im Juni 1905 stattliche 1,1 Millionen Mark und 2 ¾ Morgen Land ihre Besitzer.

Einen großen Teil der Kaufsumme hatte Pfarrer Schlenke aufgetrieben, der das allgemeine Sammelverbot umging, indem er den »Kirchenbausammelverein St. Bonifatius« gründete. Auf dem Mitgliedsausweis, der eine Mark kostete, rechtfertigte er diese Maßnahme mit »lebensgefährlich überfüllten Messen« und »äußerster Not«, sowie über »13.000 Katholiken«, die keine Kirche, sondern nur einen »Zimmermannsschuppen« zum Beten hätten. »Am Weißen Sonntag«, so schrieb er, »hatte ich 150 Erstkommunikanten! O, wie hat mir das Herz geblutet, als ich die nächsten Angehörigen der Kinder nicht zulassen konnte. Wie mancher Vater und manche Mutter konnte nicht sehen, wie ihr Kind zum ersten Mal zum Tisch des Herrn ging.« Der Gottesfürchtige endet mit den Worten: »Lieber Leser, herzensgute Leserin! Ich weiß, Du hast selber nicht viel. Ich will ja auch nicht viel. Nur eine einzige Mark! Bitte, bitte, nur eine einzige Mark! Hast Du sie nicht, so sende 50 Pfennige. Oder besser such Dir einen Freund, der auch 50 Pfennige gibt. Gott und der Hl. Bonifatius werden es Dir lohnen.«

Foto: Dieter Peters
Zwar musste sich Robert Schlenke der unerlaubten Kollekte wegen tatsächlich vor Gericht verantworten, doch waren inzwischen

130.000 Katholiken dem herzerweichenden Spendenaufruf gefolgt und hatten den Kauf des Grundstückes ermöglicht. Auch bei der Finanzierung des Monumentalbaus verhielten sich Gottes Freunde durchaus weltmännisch: Um bei der Bank kreditwürdig zu sein, bauten sie neben der Kirche – ähnlich wie im Riehmerschen Hofgarten - fünf stattliche Wohnhäuser, und als am 20. Juni 1907 erstmals die Glocken von den zwei 75 Meter hohen Zwillingstürmen läuteten und der Kardinal und Fürstbischof Georg Kopp persönlich durch eine Gasse zwischen 1.400 weißgekleideten Jungen und Mädchen schritt, schien Gott zu lächeln und der Kirche endgültig seinen Segen zu geben.

Dreimal täglich, zum ersten Mal morgens um halb sieben, läuteten die Glocken zum Gottesdienst. In die Wohnungen im »Kreuzberger Vatikan«, wie die Berliner halb ehrfürchtig, halb spöttisch sagten, zogen die ersten Mieter ein. Doch mit dem I. Weltkrieg kam die Armut, die Glocken mussten wieder eingeschmolzen und die großen Wohnungen parzelliert werden, dennoch blieben die Mieter oft auch die kleinsten Mieten schuldig. Während des Nationalsozialismus formierte sich leiser Widerstand in der Yorckstraße Nummer 88 und 89. Er blieb den Nationalsozialisten nicht verborgen, die Gestapo beschlagnahmte eine Druckerpresse und beobachtete mit Argwohn, wie die Kirche zunehmend Juden zu Katholiken machte, um sie vor der Verfolgung zu schützen. Zudem half sie den arbeitslosen Juden mit Lebensmitteln, Quartier und Kleidung aus. Dennoch verlor die Gemeinde einige ihrer treuesten Mitglieder im Konzentrationslager.

Die Bonifatiuskirche überstand die 328 Angriffe, die bis zum Ende des Jahres 1944 verzeichnet wurden. Auch wenn sie im Mai ´45 mit all den Möbeln, die Ausgebombte im Kirchenschiff untergestellt hatten, fast gänzlich ausbrannte. Die Mauern hielten dem Feuer stand, und schon ein Jahr nach dem Krieg fand in der göttlichen Notunterkunft der erste Nachkriegsgottesdienst statt – ohne Orgel, begleitet nur von einem Harmonium. •


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