Kreuzberger Chronik
April 2009 - Ausgabe 106

Briefwechsel

Die Propagandabroschüre


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von Dr. Franz Schulz

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KREUZBERGS BÜRGERMEISTER ZUM ENDE DER TEMPELHOFER FREIHEIT>

Sehr geehrte Redaktion,


ich hoffe, dass der Artikel in der Kreuzberger Chronik zu den Vorgängen rund um den Flughafen Tempelhof noch rechtzeitig erschien, um die Anwohner/innen unseres Bezirks auf die ungewöhnlichen Potentiale des Tempelhofer Feldes aufmerksam zu machen. Aber auch wach zu rütteln, weil diese Potentiale für ein »Wiesenmeer«, das Umwelt, Natur und Erholung verbindet, gefährdet sind.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schreibt in ihrer Propagandabroschüre für die angepeilte Internationale Gartenbauausstellung 2017: »386 Hektar Freiraum mitten in der City – Kennen Sie eine Weltstadt, in der den Stadtplanern in unmittelbarer Nähe zum Zentrum mehr als drei Millionen Quadratmeter zur Verfügung stehen?« Das klingt nicht nur wie eine Drohung, inzwischen wird damit auch Ernst gemacht. Die zukünftige »Parklandschaft Tempelhof«, als öffentliche Grünfläche, ist zwischenzeitlich um fast die Hälfte auf 220 Hektar geschrumpft, die Anzahl der neuen Baugebiete hat zugenommen. Insbesondere das ursprünglich nicht vorgesehene »Columbiaquartier«, benachbart zu Kreuzberg, wird wie ein Korken im Flaschenhals zwischen dem Kaltluftgebiet Tempelhofer Feld und den angrenzenden Kreuzberger Stadtgebieten bis zum Südstern wirken. Die Luftströme Richtung Norden werden damit effektiv unterbrochen.

Das »Columbiaquartier« ist aus ökologischer Sicht so überflüssig wie ein Kropf. Aber auch aus städtebaulicher Sicht gibt es keinen Zwang, gerade dort ein Baugebiet auszuweisen. Berlin ist auf Jahrzehnte mit erschlossenen Baugebieten bester Qualität gut versorgt. Und landschaftsplanerisch ist es beinahe zwingend, eine »grüne Brücke« zwischen Hasenheide und Tempelhofer Feld zu bilden.
Der gegenwärtig so hektisch durchgeführte »Ideenwettbewerb« zu diesem Baufeld zeigt, dass die Planerphantasien schon weit über das Tempelhofer Feld hinausgehen. Der größte Teil der eingereichten Arbeiten überplant zugleich die Frei- und Sportflächen entlang der Golßener- und Züllichauer Straße als Baugebiet. Die Entwürfe dokumentieren aber ebenso, dass es vernünftig wäre, die Natur erst einmal Natur sein zu lassen und auf kreativere Zeiten zu warten.
Die öffentliche Hand aber, als Eigentümerin des Tempelhofer Feldes, ist gerade dabei, ihre historische Chance zu verspielen, das Areal zu einem einzigartigen innerstädtischen Erholungsgebiet mit ökologischer Bedeutung für das Stadtklima zu entwickeln. Um Berlin davon abzubringen, braucht es mehr an widerborstiger Einmischung der Bürger. Die bisherigen Beteiligungsangebote der Senatsverwaltung reichen dafür nicht aus. •

Mit freundlichen Grüßen, Dr. Franz Schulz

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