Kreuzberger Chronik
Oktober 2007 - Ausgabe 91

Die Geschichte

Das Herz der Luisenstadt


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von Erwin Tichatzek

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Als Peter Joseph Lenné, jener Mann, der das Stadtbild Berlins am nachhaltigsten und bis in die heutigen Tage hinein spürbar bestimmte, sich im Jahr 1841 auf Befehl König Wilhelm IV. daransetzte, einen Plan für die sogenannte »Separation« des Köpenicker Feldes zu erarbeiten, hatte er kein weites, nur von Feldwegen und wenigen Straßen durchschnittenes Grünland mehr vor sich. Die alten Acker waren allmählich zu Bauland geworden, die Oranienstraße war von hugenottischen Einwanderern und Handwerkern bereits dicht besiedelt, und schon 1802 hatte die sogenannte »Köpenicker Vorstadt« nach dem Stadtrecht auch einen neuen Namen erhalten: Luisenstadt.

Das natürlich gewachsene Viertel mit seiner ländlichen Struktur erhielt auf den Papieren Lennés nun allerdings eine klare Struktur. Der ausgeprägte Hang der Architektur zur Ordnung des Chaos und zur symmetrischen Linienführung schlug sich auch in den Plänen zur Südstadt nieder. Ähnlich wie am Südstern hatte Lenné auch im Zentrum der Luisenstadt einen Platz und Verkehrsknotenpunkt vorgesehen, an dem verschiedene Straßen aus möglichst vielen Richtungen zusammenkommen sollten.

Ins Visier nahm er den Oranienplatz. Dort stießen drei Hauptverkehrsadern aufeinander: die Oranienstraße, die damals der hugenottischen Gärtner wegen noch Orangenstraße hieß, die Dresdener Straße und die neue Wasserstraße des Luisenstädtischen Kanals, die noch als Wunderwerk der Baukunst gepriesene Verbindung zwischen Spree und Landwehrkanal. Tatsächlich überquerte im Jahre 1852 in der Mitte eines rechteckigen Platzes, der sich auf beiden
Seiten des Luisenstädtischen Kanals breit machte, die große Oranienbrücke das Wasser. Sie war ein Nadelöhr für den Verkehr, da sowohl die Dresdener Straße als auch die Oranienstraße über diese Brücke führten, und tatsächlich entwickelte sich der Platz mit seiner verkehrsträchtigen Oranienbrücke, auf der später Autobusse, Straßenbahnen und Kutschen verkehrten, allmählich zum Zentrum der Luisenstadt.

Hier trafen sich die Kutschen auf dem Weg nach Dresden, hier stiegen später die ÜberlandReisenden in die Straßenbahnen um, und am Anfang des 20. Jahrhunderts sollten sie hier auch in den UBahnhof »Oranienplatz« hinuntersteigen, wo zukünftig die Linie 8 die Stadtteile Neukölln und Wedding miteinander verbinden sollte. Doch dazu kam es nicht mehr. Denn neben dem Oranienplatz hatte sich im Lauf der Zeit ein zweiter Platz an der Oranienstraße etabliert: Der Moritzplatz, an dem Wertheim das größte Kaufhaus der Luisenstadt baute. Dennoch blieb das von Lenné erdachte Stadtzentrum an der Brücke ein Publikumsmagnet, die repräsentativen Bauten überstanden sogar die Zuschüttung des stinkenden Kanals, und bis zum Krieg schlug am Oranienplatz ganz unumstritten das Herz der Luisenstadt.

Einige der Bauten am Platz stehen heute noch, sogar ein Geschäft aus der Gründungsphase des Oranienplatzes ist bis heute erhalten geblieben: Am 7. Juni 1860, acht Jahre nach der feierlichen Einweihung des Platzes, erhielt der Apotheker Rudolph Ernst Emil Kade die Konzession für eine Apotheke und zog in das gerade errichtete fünfgeschossige Gebäude am Oranienplatz Nr. 15 ein. Das angegliederte pharmazeutische »Fabrications und Exportgeschäft« avancierte in den Neunzigerjahren zum »Hoflieferant des Kaisers und Königs« und belieferte sowohl die deutschen Kolonialgebiete, als auch die Kaiserlichen Schutztruppen. Das Haus Nr. 15 hat den Krieg unbeschadet überstanden und steht noch immer an der Ecke zum Erkelenzdamm. Die Oranien-Apotheke gehört heute zu den ältesten erhaltenen Apotheken Berlins.

Zum königlichkaiserlichen Hoflieferanten wäre auch der Kuchenkaiser gerne aufgestiegen, doch blieb ihm diese Ehre versagt. 1865 ließ er am Platz ein vierstöckiges Gebäude für die Einrichtung einer imposanten Konditorei errichten, in dessen Kellergeschossen zwei Öfen brannten, während in den oberen Geschossen und im Hofgebäude ne
Oben: Die Westseite des Oranienplatzes um 1925, Links das Kaufhaus der »Konsumgenossenschaft Berlin«, vormals Kaufhaus Maassen, im Hintergrund der Moritzplatz. Unten: Oranienplatz in Richtung Südosten, vorn die Oranienstraße, in der Bildmitte die Dresdener Straße. Postkarten: »Edition Kreuzberger Ansichten«, Dieter Kramer
ben der Familie bis zu 100 Angestellte wohnten und arbeiteten. Kaisers Elfentorten, MokkaParfaits oder PrinzessBaumkuchen sorgten für Aufregung, Paul Lincke versüßte sich hier das Leben, und die Eisbomben wurden von einem eigenen Versandhaus per Zeppelin bis nach New York geflogen. Das Ende für den Kaiser der Kuchen kam erst nach dem Krieg: 1957 meldete das Unternehmen Konkurs an. Der stolze Name allerdings ist geblieben, noch heute erinnert ein Café im alten Haus an die süßesten Jahre am Oranienplatz.

Doch auch eine zweite Blüte erlebte der Platz, zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden monumentale Gebäude, darunter das fünfgeschossige Warenhaus Brenninkmeyer am Oranienplatz Nr. 17. «Die Fassade war mit Sandstein verkleidet und durch Pilaster gegliedert«, das oberste Geschoß zurückgesetzt und mit einer imposanten Balustrade versehen. Einer der ersten Mieter war das Café Oranienpalast, 1925 zog der Ahlbecker Hof in das Gebäude ein, und wenig später ein aus Holland stammendes Textilunternehmen mit dem umständlich langen Namen

Allgemeine Textil-Fabrikations und Handels AG Clemens & August Brenninkmeyer. 1936 wurden die Holländer zum Eigentümer des imposantesten und heute denkmalgeschützten Hauses am Platz und besaßen damit bereits vier Filialen in Berlin. Während das Unternehmen wuchs, verkleinerte man den papierraubend langen Namen und verkürzte Clemens zu »C« und August zu »A«. Heute ist C&A eines der führenden Modehäuser in Europa.

Schon 1903 hatte das Konfektionshaus R. M. Maassen ein ebenso imposantes Warenhaus aus Granit und mit gewaltigen Fenstern am Oranienplatz entstehen lassen. 30 Jahre lang stand das Warenhaus Maassen im Zentrum der Luisenstadt, bis nebenan Max Taut zu bauen begann und das Gebäude in seine gigantophilen Pläne vom Warenhaus der »Konsumgenossenschaft« integrierte und damit sozusagen einverleibte. Die architektonische Fusion überlebte den 2. Weltkrieg nicht, allerdings wurde das Haus in vereinfachter Form wieder aufgebaut und zu einem Bürogebäude umfunktioniert.

So erinnern noch einige Bauten am Oranienplatz an die Vision des Stadtplaners Peter Joseph Lenné, der womöglich bis heute das Leben am Oranienplatz maßgeblich bestimmt hätte – wäre die Brücke nicht plötzlich ihrer Bedeutung beraubt worden, als man den mühselig geschaufelten Kanal im Jahr 1928 wieder zuschüttete.


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