Kreuzberger Chronik
Februar 2007 - Ausgabe 84

Straßen

Die Schlachtentrilogie (3):
Die Dennewitzstraße



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von Werner von Westhafen

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Die verlorenen Schlachten von Großbeeren und Hagelberg im Spätsommer des Jahres 1813 (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 82 und 83) hatten die Soldaten Napoleons nicht nur strategisch, sondern auch moralisch geschwächt. Die Versuche, eine unheilvolle feindliche Allianz durch die Schlachten bei Kulm und Nollendorf zu verhindern, war gerade fehlgeschlagen. Die großen und beflügelnden Siege der Franzosen lagen weit zurück, beinahe sieben Jahre war es nun her, daß sie den triumphalen Doppelsieg von Jena und Auerstedt feiern konnten, wo sie mit List und Schnelligkeit die preußische Armee an einem Tag gleich zweimal schlugen.

Noch immer steckte den Franzosen der Schreck in den Knochen, als sie am frühen Morgen des 5. September 1813  zwei Wochen nach ihrer schmachvollen Niederlage auf den Feldern von Großbeeren  abermals gegen Berlin marschieren mußten. Marschall Ney sollte die siegreichen französischen Truppen in die widerspenstige Stadt führen. Doch niemand wollte so recht an einen Sieg glauben, auch die Berliner nahmen die Kunde vom heranrückenden Franzosen diesmal schon gelassener auf. Vielleicht, weil an der Spitze der französischen Vorhut ausgerechnet der Verlierer von Großbeeren marschierte: General Oudinot.

Schon kurz hinter Wittenberg wurde Oudinot von General Tauentzien empfangen, wehrte sich jedoch heftig und konnte die Preußen ein gutes Stück zurückdrängen. Allerdings verzichtete der Franzose darauf, das ihm zur Verfügung stehende Kavalleriekorps einzusetzen, um die flüchtenden Preußen noch ein wenig zu dezimieren, weshalb sich Tauentzien mit dem »geringen Verlust« von 3.000 Mann »relativ unbehelligt auf Jüterbog zurückziehen« konnte.

Der Leichtsinn Oudinots könnte der Anfang vom Ende gewesen sein. Hinzu kam die französische Überheblichkeit. Auch in der Nacht unternahmen sie keine Anstrengungen, die Lage der feindlichen Armeen auszukundschaften, die sich unter der Führung von Bülow, Borstell und Tauentzien in der Dunkelheit bereits um Jüterbog und Wittenberg formierten. Wären die Franzosen weniger siegesgewiß gewesen, dann wäre ihnen womöglich nicht entgangen, daß hier kein Scharmützel, sondern ein großer Kampf bevorstand. Und daß die Preußen offensichtlich einen Plan hatten, um die Franzosen ein für allemal aus der Gegend zu vertreiben: Tauentzien nämlich sollte den Feind an der Front beschäftigen, egal, wie aussichtslos der Kampf auch war, während General Bülow dann dem Feind in die linke Flanke fallen und den Kampf solange hinziehen sollte, bis die Russen und Schweden zur Stelle wären, um den Sieg herbeizuführen.

Das Gelände mit seinen kleinen Hügeln und Gräben war ideal für eine blutige und lange Schlacht. Ob Tauentzien das Zusammentreffen mit den Franzosen geschickt hierherverlegt hat, oder ob es der pure Zufall war, der die beiden Armeen am Ausgang des Dörfchens Dennewitz aufeinandertreffen ließ, geht aus den historischen Quellen nicht hervor. Daß die Preußen jedoch den »Ahebach« in ihre strategischen Überlegungen miteinbezogen, der mit seinen »sumpfigen Rändern« eine natürliche Barriere zwischen den feindlichen Armeen darstellte und nur auf den Brücken bei Dennewitz und Rohrbeck zu überschreiten war, ist anzunehmen. Auch das Wetter am 6. September 1813 war günstig, kein Schlamm würde das Schlachtfeld in eine Kloake verwandeln, kein Regen das Pulver aufweichen.

Doch so sauber und schön, wie sich die Strategen die Schlacht auf dem Papier ausgemalt hatten, wurde auch diese nicht. Auch hier kämpften Menschen eher ums Überleben als für Napoleon oder Preußen. Tauentzien zog mit einer Kolonne von 9 Bataillonen, 16 Schwadronen und 19 Geschützen zu dem Kiefernwäldchen nördlich von Dennewitz, als er auf das französische Korps Bertrand stieß. »Umständlich«, so heißt es in den Annalen von Dennewitz, brachte sich Tauentzien in Stellung, während die Franzosen flink drauflosschossen. Die Knallerei war schon eine Weile im Gange, da kamen die Franzosen plötzlich von der Seite. So, wie es eigentlich die Preußen vorgehabt hatten. »Tauentzien ließ seine Landwehr zum Gegenstoß antreten, die Schützen voran, dahinter sechs geschlossene Bataillone. Doch dann kam es zu »ungeordnetem Bataillenfeuer«, und als die Landwehr ihr Pulver verschossen hatte, mußte sie die Flucht ergreifen. General Bülow kam gerade noch rechtzeitig, um die Franzosen von der Verfolgung abzuhalten und ein Gemetzel zu verhindern, während Tauentzien selbst nur »durch eine erfolgreiche Attacke von acht Schwadronen seiner Reiterei« dem finalen Schuß entkam.

Verwirrung jedoch herrschte nicht nur in den eigenen Reihen. Die versprengten Preußen brachten mit ihren panischen Fluchten die feindlichen KavallerieDivisionen südlich des Baches durcheinander, womit die Infanterie Tauentziens Zeit gewann, sich neu zu formieren. Die Franzosen flüchteten vor dem allgemeinen Chaos gar bis ins Wäldchen bei Dennewitz, doch schon bald rückten aus dem Qualm und Nebel die Preußen vor und setzten den Gegner massiv unter Beschuß. Erstmals überschritten die Verteidiger den Bach, doch ihre Verluste waren erheblich, und wäre nicht die Nachricht von den anrückenden Schweden und den Truppen Borstells zu den Führern gedrungen, hätten sie aufgeben müssen. So aber hielten sie stand, bis endlich vollkommene Verwirrung eintrat und keiner der Befehlshaber mehr wußte, wo welche Truppen gerade mit wem kämpften.

In einer solchen Situation erhielt der Verlierer Oudinot von Marschall Ney den Befehl, mit seinem ganzen Korps dem rechten Flügel der französischen Armee zu Hilfe zu eilen. Obwohl die verbündeten Sachsen ihn dringend baten, wenigstens eine Division am Standort zu lassen, führte der »über seine Ablösung vom Oberbefehl verbitterte General Oudinot« den Befehl wörtlich aus. An den Sachsen vorbei rückte er rechts ab. Gerade in diesem Moment aber bereiteten sich die Preußen auf Befehl Bülows zum Angriff auf der ganzen Linie vor.

»Der letzte Abschnitt der Schlacht wurde für die Franzosen zu einem Desaster. Das Korps Oudinot erreichte sein Ziel nicht mehr rechtzeitig, die Truppen Bertrands waren schon in voller Auflösung, das Korps Reynier mit den Sachsen im raschen Abzug. In diesem Strom mitgerissen, versuchte man noch, auf den Höhen von Oehna einen Widerstand zu organisieren. Als aber die Reitergeschwader der Divisionen Defrance und Fournier in gezieltes Granatfeuer gerieten, jagten sie in wilder Flucht nach rückwärts, dabei vielfach eigene Infanterie und Fuhrwerke überreitend. So war, abgesehen von wenigen geschlossenen Truppenteilen, das Chaos vollkommen, und erst Dunkelheit und Erschöpfung machten der Verfolgung ein Ende.«

Die Bilanz der Schlacht von Dennewitz am 6. September 1813: 10.000 tote verbündete Soldaten, 22.000 französische. Die Beute der Preußen: 53 Geschütze, 412 Fahrzeuge und 4 französische Fahnen. Aber noch immer war der Krieg nicht zu Ende. Einige wenige Tage fehlten noch bis zur letzten großen Schlacht: der Völkerschlacht bei Leipzig.




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