Kreuzberger Chronik
Juli 2005 - Ausgabe 69

Der Kommentar

Sinnlose Polizeigewalt


linie

von Thomas Nettesheim

1pixgif
Schon am Sonntagabend kreiste der Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes über dem Objekt der Begierde, bereits in der Nacht standen Polizeiwagen bereit, um das Viertel um die Yorckstraße 59 großräumig abzuriegeln. Alle rechneten mit einem Überraschungsangriff der Polizei noch in der Nacht.

Doch die Aktion startete wie angekündigt pünktlich um 5 Uhr morgens. Per Megaphon wurde die Bevölkerung aufgefordert, die Straße zu verlassen, da die öffentliche Ordnung gefährdet sei und notfalls »mit körperlicher Gewalt« vorgegangen werden müsse. Grund für die dringliche Mahnung waren 150 Menschen, die mit einer Sitzblockade vor dem »linken Wohnprojekt« gegen die bevorstehende Räumung protestierten. 500 Polizeikräfte waren im Einsatz, die schwarz vermummten und gut bewaffneten Gestalten eines Sondereinsatzkommandos auf dem Dach des Hauses erinnerten an die Zeiten des Deutschen Herbst. Der Aufwand war gewaltig.

»Das ist aber keine Polizeiaktion«, versicherte Wolfgang Dietz, Pressesprecher der Polizei, den versammelten Journalisten. »Wir sind hier im Auftrag des Obergerichtsvollziehers. Wir haben die Aufgabe, ihm Zugang zum Gebäude zu verschaffen.« Doch letztendlich ist es egal, wer die Aktion in die Wege geleitet hat und wer juristisch für sie verantwortlich ist: Es war die Räumung des alternativen Wohnprojektes mit Polizeigewalt. Mit der Gewalt der Polizei.
Foto: Dieter Peters
Sie wurde notwendig, weil die Politik versagte. Weil sämtliche Vermittlungsversuche scheiterten, weil es den Politikern nicht gelang, einen mickrigen Immobilienhändler zum Einlenken zu bewegen oder mit einem attraktiven Angebot aus dem Liegenschaftsfonds zu beruhigen. Und weil man es versäumt hatte, auch den Bewohnern der Yorckstraße 59 rechtzeitig Alternativen zur Verfügung zu stellen. Die Aktion war ein Armutszeugnis für die Politik und ein Zeugnis für die Machtlosigkeit des Staates gegenüber dem Kapital. Zeugnis einer geschwächten Politik, die sich nicht scheut, als letztes Mittel Gewalt anzuwenden.

Doch die Politiker zeigen sich zufrieden. Schließlich hätte das Ganze in einer Katastrophe enden können. Allein der Besonnenheit der Yorck 59 ist es zu verdanken, daß die Situation nicht eskalierte. Vielleicht war es die Einsicht, daß Widerstand in der hoffnungslosen Situation nur noch ein Ausdruck des Trotzes gewesen wäre. Vielleicht war es auch das Drama von Pisa, das die Aktivisten zur Vorsicht gemahnte.

Denn die Polizei hatte sich auf einen harten Kampf eingestellt. Nicht nur strategisch, sondern auch psychisch: Auf den Gesichtern der Einsatzkräfte spiegelte sich Angespanntheit, Aggression, Angst und Kriegslust wieder. »Die haben uns echt überrascht«, sagt einer der Polizisten nach der Räumung. »Die haben kaum nen Stein geschmissen! Schade eigentlich! Die hätten richtig was auf die Fresse bekommen!«

»Es hätte schlimm enden können!«, sagte eine Nachbarin. Daß nichts passierte, war jedoch kein Verdienst der Polizei oder der Politik, sondern der Yorck 59. Schön wäre es, wenn sich die Politik jetzt dankbar erweisen und den Bewohnern, wie versprochen, eine Alternative zur Weiterführung des Wohnprojektes anbieten würde. Da damit nicht zu rechnen war, hat sich die Yorck 59 selbst umgesehen. Und das Bethanien besetzt. Recht so.


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg