Kreuzberger Chronik
Februar 2003 - Ausgabe 44

Die Geschäfte

Die Genossenschaft der Weintrinker


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von Horst Niemann
Fotos: Michael Hughes


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Die Idee ist simpel. Und die einfachsten Ideen sind oft die besten.
Die Idee besagt, daß viele Waren, die in den kapitalistischen Gesellschaftsformen auf den Markt kommen, überteuert sind durch eine lange Kette von Zwischenhändlern, die sämtlich ihre Scheiben vom Braten abschneiden. Die logische Konsequenz ist der Direkteinkauf beim Produzenten, bei Waren aus dem Ausland der Eigenimport.

Doch hat es wenig Sinn, wegen zwölf Flaschen Rotwein bei einem italienischen Winzer anzufragen. Die Geschichte funktioniert nur dann, wenn man eine größere Menge beim Produzenten bestellt, interessante Rabatte aushandelt und diese an den Kunden weitergeben kann. Dazu braucht man Kleingeld, und hierzu wiederum seine finanzkräftige Kundschaft.

Die hatte der »Weinkontor« in der Skalitzer Straße 32, bis das Jahr 1989 dann alles zu verändern begann. Im Schutz der Mauer, umgeben von trinkfreudigen Subkulturanhängern und vom Haschisch zum Wein konvertierenden Althippies, konnte sich der Weinhändler eine kleine Stammkundschaft heranzüchten. Obwohl Frank Ulmer, der aus dem Badenschen nach Berlin kam, eigentlich einen richtigen Weinkeller gesucht hatte, wie er das von seiner Heimat gewohnt war, und nicht so einen Laden, der halb über, halb unter der Erde lag. Doch als die Mauer fiel und sich die Idylle der Skalitzer Einbahnstraße in eine der Hauptverkehrsadern der Stadt verwandelte, blieb die Laufkundschaft allmählich aus. Und Frank Ulmer, der acht Stunden des Tages »im Öffentlichen Dienst« verbrachte, um sich nach Feierabend seiner Leidenschaft zu widmen und die Tür zu seinem Weinladen zu öffnen, mußte sich etwas einfallen lassen. Denn weder er noch die verbliebenen Kunden und Freunde wollten nach 18 Geschäftsjahren auf die Vorzüge des Weingenusses verzichten.

So verfiel man auf die Idee mit der Weingenossenschaft. Man rechnete damit, daß kein Jahr vergehen würde, bis etwa hundert Genossen zusammengekommen wären. »Weil die Idee einfach gut ist!« – Doch obwohl die Genossenschaft im April 1 Jahr alt wird, sind erst knapp dreißig Weintrinker in der Runde. »Dabei gibt es«, so eines der im Keller versammelten Mitglieder, »in Deutschland 14 Millionen Genossenschaftsmitglieder!« – und auch, wenn die meisten von ihnen den Wohnungsbaugenossenschaften angehören: Idee und Prinzip sind die gleichen.
Weingenossenschaft
Es geht um eine Anhäufung von Grundkapital, die Voraussetzung für den Preisvorteil. Dazu muß jedes Mitglied einen gewissen Betrag einsetzen, der wiederum verzinst wird und beim Austritt aus der Genossenschaft wieder erstattet wird. Bei der Weingenossenschaft in der Skalitzer Straße beträgt dieser Einsatz 500 Euro, verzinst wird er zu 4% jährlich. Ferner kommt ein einmaliges Beitrittsgeld von 50 Euro hinzu, sowie ein monatlicher Beitrag von 15 Euro, der zum Ausgleich von Miete, Strom und anderen anfallenden Kosten dient. Auf den ersten Blick eine Summe, die niemand so ohne weiteres aus der Tasche zieht.

Da muß man seinen Wein schon wahrhaft kennen und lieben. Ulmer stellt einen Riesling auf den Tisch, von einem Winzer, den er bereits einige Jahre kennt, ein Wein, der inzwischen viele Freunde in der Skalitzer Straße hat. Er läuft gemächlich die Glaswand herab, scheint schwer und ein wenig ölig zu sein, hat eine eher goldene als gelbliche Farbe und weckt mit diesen Attributen den Verdacht, zu lieblich zu sein. Auch die Zungenspitze registriert zuerst noch die Süße, doch dann folgt ein fruchtiges und erfrischendes Aroma – für einen Moment schmeckt man die vom frühmorgendlichen Tau überzogene Rebe auf dem Weinberg.

»Dieser Riesling kostet die Laufkundschaft im Weinkontor 5,35 Euro. Die Mitglieder der Genossenschaft zahlen 3,50. Also hat sich bei sechs Flaschen im Monat der Monatsbeitrag schon amortisiert. Man muß sich nicht gleich um Kopf und Kragen trinken, damit sich der Beitritt lohnt. Und ab der siebten Flasche macht man Gewinn.« Ähnlich ist es bei einem spanischen Rotwein aus Kastilien/Leon, einem wenig bekannten Weinanbaugebiet nicht weit von der spanischen Atlantikküste. Der samtige Tropfen mit dem unspektakulären Etikett stellt die Reserva und Gran Reserva aus den Regalen der Supermärkte in dunklen Schatten. Den Genossen kostet der Monte Aman Crianza aus dem Jahr 1996 zwar auch noch 7,90 Euro – andernorts soll er für 13 Euro gesichtet worden sein. Dann würden schon 2 Flaschen reichen, um den monatlichen Verwaltungsbeitrag wieder hereingewirtschaftet zu haben.

Daher ist es nicht verwunderlich, wenn vor allem Berliner Gastronomen den Weg in die Skalitzer Straße gefunden haben. Denn die Auswahl des Mannes aus Baden mit seinen etwa 150 Weinsorten ist klein, aber fein. In seinen Regalen stehen Flaschen, die sich sonst nur schwer finden lassen in der Hauptstadt. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem auf den Weinen deutscher Winzer.

Damit die Genossenschaft auch in Italien und Frankreich ganze Paletten bestellen kann, müßte die Gemeinde der Weintrinker in der Skalitzer eben doch noch etwas wachsen. Aber das Mißtrauen gegenüber der Genossenschaft ist groß. Als müsse man die fünfhundert Euro in unsicheren Aktien anlegen oder zur Bank tragen. »Dabei ist die eingetragene Genossenschaft die weitaus sicherste Form einer Gesellschaft«, erklärt Ulmer. Denn nirgendwo sei die gesetzliche Kontrolle so scharf wie bei den Genossenschaften, und nirgendwo das Risiko für die Einlage so gering. »Doch die Leute, die hier hereinkommen, suchen zuerst einmal alle nach dem Haken an der Sache.« Obwohl die Idee ja eigentlich nicht brandneu ist und gerade in Kreuzberg mit seinen Lebensmittel-Kooperativen längst Tradition hat. »Vielleicht sind eben die Zeiten alternativer gesellschaftlicher Modelle einfach vorüber«, meint Ulmer und hebt Schultern und Weinglas.
Einen Haken jedenfalls hat noch keiner gefunden. »Wir möchten einfach auch in Zukunft noch günstig an guten Wein herankommen. Das ist alles! Das ist unser gemeinsamer Nenner. Das hat die dreißig Leute hier zusammengebracht!«

Zuerst einmal. Aber sollte die Genossenschaft in der Skalitzer größer werden, dann könnte man durchaus auch über einen neuen Laden nachdenken. Vielleicht in der Nähe des Südstern, im andern Teil Kreuzbergs. Der würde dann der W.E.I.N.eG, der WARENEINKAUFSINITIATIVE eG gehören. Alles, was dieser Laden erwirtschaften könnte, würde wieder der Genossenschaft zufließen. Dann könnte der Wein vielleicht noch etwas günstiger, die Palette größer werden. »Denn gebündeltes Kapital bedeutet eine große Einkaufskraft«, doziert Ulmer mit einem Blick auf den einsamen Leninband an der Wand. Und wenn dann, nebenbei, noch ein oder zwei Jobs für die Genossinnen und Genossen heraussprängen – das wäre doch schon ein Erfolg in den Zeiten der unaufhaltsam wachsenden Arbeitslosigkeit. <br>

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