Kreuzberger Chronik
September 2002 - Ausgabe 40

Essen, Trinken, Rauchen

Das Iskele im Urbanhafen


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von Angelika Neumann

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»Das schaukelt ja überhaupt nicht.«
»Ist ja auch Windstille, und außerdem liegen wir im Hafen.«

Im stillgelegten Urbanhafen liegen viele Schiffe, die nie wieder irgendwohin auslaufen werden, lauter schwimmende Café-Restaurants. – »Aber so ein kleines bißchen müßte es doch schaukeln, auch wenn Windstille ist!« – Der Freund war von Anfang an skeptisch. Ein türkisches Lokal! Döner und Tsatsik! Auf einem Schiff! Wenn sie nicht kochen können, stellen sie ihre Stühle eben aufs Schiff. Dann wird schon jemand kommen.

Da fuhr draußen eine dieser Berliner Yachten vorbei, mit halbnackter Frau im Badeanzug auf dem Vorderdeck und Bierbauch hinterm Steuer, bei denen sich jeder Neuankömmling fragt, wie sich das Schiff von Monaco bis hierher verirren konnte. Dabei hat es Berlin nie verlassen. Aber immerhin, es schlägt Wellen. Auch das türkische Restaurant mit den bunten Lichterketten, die sich von Bord an Land schwingen und in den Bäumen verfangen haben, beginnt ganz leicht zu schaukeln.

»Na, siehst Du! Es schwimmt!« – Da kommt ein kleiner Ecevit, so ein kleiner Ober mit Brille, strahlend weißem Hemd und von Unschuld strahlendem Lächeln, und beugt sich zu den Gästen hinab und spricht leise Worte. Der Deutsche ist offensichtlich nicht zum ersten Mal hier. Vorsichtig erhebt er sich und legt den Kopf zur Seite, denn er weiß, er ist knapp unter Deck. Lang baumeln die Arme an ihm herab, als er mit weitausholenden Schritten voranschreitet, hinter ihm her der kleine Kellner. Das Ziel ist die Vitrine mit den Fischen. Der lange Deutsche zeigt mit dem Finger auf einen der akkurat drapierten rosigen Fische zwischen den Salatblättern. Den hätte er gerne.

Sein unrasierter Freund ist allein am Tisch zurückgeblieben. Mit dem fehlenden Knopf an seinem blumigen Hemd scheint er sich nicht wohlzufühlen. Alle Herren im Schiffsbauch tragen weiße Hemden, und die schwarzhaarigen Damen, welche von ihren Herren zum vertraulichen Beisammensein in gehobener Atmosphäre eingeladen wurden, sind beim Kerzenschein schöner als im Fernsehen, geizen nicht mit Brust und Bein. Lediglich die Familie mit den drei Kindern und zwei türkische Teenager beim heimlichen Treffen sind in T-Shirts angereist.

Da kommt der Lange zurück, hinter ihm her der kleine Kellner, in der Hand eine Flasche Wein und zwei Gläser. Das leise türkische Gemurmel an den Tischen tritt in den Hintergrund, der lange Deutsche beginnt, etwas von einem guten Geschäft erzählen. Immer lebhafter und lauter wird er dabei, die dezenten Türken hinter ihren Kerzen sind schon nicht mehr zu hören – da plötzlich ertönt laut die Musik. Eine schmerzvolle, seufzende, klagende türkische Musik, begleitet von der unsterblichen Hammondorgel. Auch der Mann hinter dem Mikrophon strahlt im weißen Hemd, unverzüglich greift der Freund nach dem fehlenden Knopf. Und während die beiden Freunde immer stiller werden, werden die türkischen Paare hinter ihren Kerzen immer lauter.

Doch da kommt die Dorade, gegrillt, mit Salat, herrlich dampft es aus dem weißen Fleisch, der Lange schließt hinter den beschlagenen Brillengläsern die Augen. Köstlich. Auch sein unrasierter Freund spießt immer zufriedener die Weinblätter auf dem Teller und lutscht an den Oliven. Sogar der Wein an Bord schmeckt. Allmählich wirken die beiden entspannter, sie bestellen sogar noch ein paar Tintenfische, ein Stückchen Lamm dazu, und alles schmeckt ihnen. Am Ende lehnt sich der skeptische Freund entspannt zurück und öffnet, aus Solidarität zum ersten fehlenden Knopf, einen zweiten. Als Ecevit die Teller abräumt, sich höflichst verbeugt und noch einmal fragt, ob es denn auch geschmeckt habe, da antwortet der Freund:
»Es schaukelt zu wenig, und die Musik ist gräßlich. Nur das Essen war phantastisch.« Da lächelt Ecevit ein großes, breites Lächeln. Er weiß inzwischen, was so ein echtes Berliner Lob wert ist. <br>

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