Kreuzberger Chronik
November 2001 - Ausgabe 32

Die Geschichte

Kosaken in Berlin (1):
Kosaken in Berlin (1) - Die Franzosen werden verjagt



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von Werner von Westhafen

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Man schrieb das Jahr 1813. Sechs Jahre lang schon hielten die Franzosen die Stadt Berlin besetzt – sehr zum Leidwesen der patriotischen Deutschen. Franzmänner trieben sich in allen Gassen, Schenken und gar in feinen Häusern herum. Der Kaiser Bonaparte, den man bei seinem Ägyptenfeldzug noch als Helden gefeiert hatte, auf dessen Namen man anstieß, solange er sich nur im fernen Süden herumtrieb, war spätestens seit seinem Vorstoß nach Osten zum Verräter geworden. Überall in den Zeitungen, an den Litfaßsäulen, an den Wänden traf man auf Karikaturen, die Napoleon als Tod und Teufel in einer Person, als Skelett und kleinwüchsigen Kretin darstellten – nie ohne sein Markenzeichen, den Dreispitz.

Zwar gab es auch unter den Deutschen einige Stimmen, die den genialen Strategen bewunderten und einer Weltherrschaft unter seiner Führung eher hoffnungsvoll als skeptisch entgegenblickten. Es scheint ein solcher Gedanke der Natur des Deutschen nicht fremd zu sein – denn auch ein Jahrhundert später glaubt man allzu gerne an die Weltherrschaft eines kleinen Mannes aus Österreich.

Das gemeine Berliner Volk jedenfalls fühlte sich – kaum anders als heute – durch die vielen Fremden zuerst einmal belästigt. Und als 1812 Gerüchte von ersten Niederlagen der Franzosen im fernen Rußland durchsickerten, und als einige Wochen später die ersten französischen Gestalten auf ihrem Rückzug durch die Stadt an der Spree kamen – nicht wie sonst mit Pauken und Trompeten, sondern auf heimlichen Seitenwegen, bei einbrechender Dämmerung, in Lumpen, halb erfroren, halb verhungert, ganz offensichtlich die letzten Überreste der geschlagenen »Grand armée« –, da lachte das Herz der Berliner. »Zu lange hatte der fremde Übermut an allen weicheren Gefühlen gezehrt. Die deutsche mitleidige Natur verleugnete sich; wir hatten nichts als Haß, und unser erstes Gefühl war Freude«, schrieb Willibald Alexis noch in später Erinnerung an diese Tage.

Zu Beginn des Jahres 1813 bevölkerten 18 000 französische Rückzügler die Stadt. Zwar waren die Deutschen angesichts der zerschlagenen napoleonischen Armee aufständig geworden, und Berlin war das Zentrum der »nationalen Erhebung«, der Befreiungsbewegung Preußens – doch aus eigener Kraft wagte man nicht gegen die amtierende Weltherrschaft aufzustehen. Um so hoffnungsvoller blickten die Berliner nach Osten, denn Gerüchte waren in die Stadt gelangt, daß die verbündete russische Armee die flüchtenden Franzosen verfolge und auf Berlin zuhalte. Einige Wochen bangen Wartens verstrichen, »da endlich hieß es, die ersten Kosakenpulke sind bei Güstebiese über die Oder gegangen. Wie ein Lauffeuer ging es durch die Stadt; man bestürmte die Landsleute, die zum Markt kamen, mit Fragen …, auf den Türmen gingen die Fernrohre aus Hand in Hand, um einen Kosaken zu sehen.«

Napoleon
So wurde der »Kosak« für den Berliner zum Inbegriff der Freiheit. »Wir wollten Freiheit vom fremden Joche, die alte Selbständigkeit, den alten Ruhm des Vaterlandes, seine Sprache, seine Sitten, seine Einrichtungen, unsere Brüder, Fürsten, Erinnerungen gerettet. Für das Viele fehlte uns gerade ein Symbol. Da gab es nun das Wort Kosak. Wir griffen zu, ohne zu wählen; denn dazu war nicht Zeit. In einer Hungersnot fällt man dem ersten Bauer, der einen Brotwagen in die ausgehungerte Stadt führt, zu Füßen; man möchte ihm Bürgerkronen schenken und Statuen errichten. Das Wort Kosak war ein magisches Wort, das Tote wieder zum Leben erweckte und Hungrige die brodelnden Kessel, Erfrierende die wärmenden Feuer vergessen ließ. Vor dem Namen Kosak zitterte das größte Heer, das ein Eroberer seit Karl und Alexander ins Feld geführt. Nicht die Russen und nicht ihre Feldherren, nicht der Winter und Rußlands Steppen, die Kosaken hatten Napoleon und die Franzosen vernichtet! Also ein hoch herrlicher Name, ein Begriff, bei dem das Herz vor Wonne schlug, das Blut durch die Adern pulste.«

Wie jedoch ein Kosak aussah, das wußte der Berliner bislang höchstens aus der Lesefibel – falls er Lesen gelernt hatte. Doch der erste Eindruck, den die neuen Gäste in der Stadt hinterließen, versprach nur Gutes. Es geschah an einem Märzmorgen, Willibald Alexis drückte die Schulbank, da plötzlich schallte das Pflaster von den Hufschlägen, es klirrten die Säbel und hallten die Pistolenschüsse. Der Lehrer, der in dem Ruf stand, ein Franzosenfreund zu sein und obendrein den Namen Cäsar führte, warf sich an die Tür, um die losstürmenden Schüler aufzuhalten. Doch gelang es ihm nur noch, ihnen die spitzen Schreibfedern zu entwenden, bevor sie auf die Straße stürmten. Später schreibt der Schüler: »Die Kosaken, wie aus der Erde aufgeschossen, waren plötzlich inmitten Berlins. Mit triumphierender Miene und Hurrarufen sprengten die Söhne der Steppe durch die volkreiche Stadt. Die eingelegte Pieke vor sich, trieben sie die blassen, zähneklappernden Feinde durch die breiten Straßen. Attacken, Gemetzel, Aufspießungen vor den Augen von Tausenden von Zuschauern, die das unerhörte Schauspiel von den Fenstern aus jubelnd betrachteten. Mit Branntweinflaschen und Gläsern standen die Bürger vor ihren Türen, und wo Kosaken vorüberzogen, wurde ihnen zugetrunken und eingeschenkt. Wo sollte da der Mut den kühnen Wagehälsen ausgehen! Sie taumelten auf ihren Pferden, und wenn sie stürzten, war es oft mehr die Wirkung des Branntweins als der feindlichen Kugeln.«

Das seltene Schauspiel, das die Kosaken den Berlinern am 4. März 1813 darboten, wurde allseits bejubelt. Selbst jene barbarischen Kampfgebärden, die man den napoleonischen Truppen niemals verziehen hätte, erzählte man sich nun ohne ein geringstes Anzeichen der Empörung. Im Gegenteil: Als ein Kosake einen im Straßengraben liegenden Franzosen mit der Speerspitze, »langsam, wie kitzelnd, an den verschiedensten Stellen in den Rücken bohrt, bis der Unglückliche unter furchtbarem Gebrüll verendet«, stellt der Erzähler voller Bewunderung fest: »Dabei lag nichts von Wildheit und Barbarei in dem gutmütigen Gesicht des Mörders. Höchstens wie ein mutwilliger Knabe lächelte er, der einen Maikäfer zu Tode quält, ohne zu begreifen, daß das Tier leidet.«


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