Kreuzberger Chronik
Februar 2020 - Ausgabe 216

Strassen, Häuser, Höfe

Alte Straßennamen (1):
Der Weinmeisterweg



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von Ina Winkler

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1921 wurde Kreuzberg geboren. Die Kreuzbergstraße bereits 1862.

Kreuzberg ist jung. Gerade mal 100 Jahre ist es jetzt her, da wurden Berlins Bezirke neu definiert. Das heutige Berlin entstand durch den Zusammenschluss 86 verschiedener Gemeinden und Gutsbezirke zu »Groß-Berlin« , das damit auf einen Schlag 3,9 Millionen Einwohner zählte und nach New York und London nun die drittgrößte Metropole der Welt war. Der Bürgermeister von Berlin war stolz.

Der Bezirk Kreuzberg, der im Oktober 1920 zunächst den Namen »Hallesches Tor« erhielt, war jedoch ein Bastard, zusammengesetzt aus drei sehr unterschiedlichen Stadtvierteln: der ländlichen Tempelhofer Vorstadt im Süden des neuen Verwaltungsbezirks sowie Teilen der alten Luisenstadt im Osten und der alten Friedrichstadt im Westen. Es war eng im neuen Viertel, das bei seiner Gründung 366.299 Einwohner zählte: doppelt so viele wie heute. Aber Kreuzberg wächst: Seit Beginn des jüngsten Jahrtausends sind 50.000 vor allem junge Menschen nach Friedrichshain und Kreuzberg gezogen.


Wirtschaft in der Kreuzbergstraße, A Schwartz, 1886, aus »Alte Bilder« erzählen« Sutton- Verlag, 1998







Gerade mal ein Jahr nach seiner Gründung erhielt der neue Bezirk vor dem Halleschen Tor abermals einen neuen Namen. Man benannte ihn jetzt nach dem »Runden Weinberg«, den Berlins berühmter Baumeister Schinkel in Erinnerung an die siegreichen Verteidigungskriege gegen Napoleon mit einem weithin sichtbaren und monumentalen eisernen Kreuz ausgestattet hatte: Das Viertel heißt seit 1921 »Kreuzberg« . Die Straße am Fuß des alten Weinbergs allerdings, die früher »Weinmeisterweg« hieß und vom Südstern bis zur Monumentenstraße reichte, trug bereits 1862 den Namen von Berlins höchstem natürlichen Gipfel. Während der Name des östlichen Teils des Weinmeisterweges an die Familie Bergemann erinnerte, die ein bäuerliches Anwesen am Rand der Weinberge besaß, wurde das 900 Meter lange Stück jenseits des heutigen Mehringdamms zur Kreuzbergstraße.

Seit der Weinberg zum Kreuzberg und der sandige Weinmeisterweg zur gepflasterten Kreuzbergstraße geworden ist, hat sich vieles verändert. Zu den in der Landschaft verstreuten und Landhäusern am Wegrand haben sich stattliche Miethäuser gesellt, und wo einst ein schmuckloser Sandhügel lag, entstand ein Park. Selten im heutigen Kreuzberg gibt es so viel vornehmes Parkett und so viel Stuck wie auf der Südseite der Kreuzbergstraße. Die kleinen Stadtvillen allerdings sind längst verschwunden, lediglich ein kleines Gartenlokal zeugt noch von jenen Zeiten, als man am grünen Stadtrand Erholung suchte - so wie der von Krankheit geschwächte Georg Friedrich Hegel, der sich am Viktoriapark einmietete.


Pfarrhaus in der Kreuzbergstraße 22a, A. Schwartz ,1886, aus »Alte Bilder« erzählen« Sutton- Verlag 1998







Vieles, was einst am Weinmeisterweg lag, ist verschwunden: Die Lehmgrube an der Ecke zur Katzbachstraße, aus deren Ziegeln das legendäre Graue Kloster gemauert wurde, ist verschwunden. Auch vom Tivoli, dem Vergnügungspark der Gebrüder Gericke mit der Rutschbahn, auf der selbst ernste Persönlichkeiten wie Marx und Hegel die Philosophie Philosophie sein ließen, hat ein großer Brand alle Spuren vernichtet. Die zweistöckigen Kuhställe im Hinterhof der Nummer 27/28 sind ebenso verschwunden wie die gegenüber liegende »Milchtrinkhalle im Viktoriapark«. Auch die bunten Papageien und Pfauen sind für immer aus den Volieren entflogen, und im Tiergehege am Fuß des Viktoriaparks sind nur noch ein paar Ziegen geblieben. Geblieben ist auch der große Findling, der am Eingang der Kreuzbergstraße vor dem einstigen Gartenlokal Kaiserstein lag. Hier hatte schon Kaiser Wilhelm die Kutsche anhalten lassen, um vom runden Felsblock aus bequem aufs Pferd steigen zu können und als stolzer Reiter die Militärparade auf dem Tempelhofer Feld abzunehmen. Seit 1874 trug das Lokal deshalb den Namen Kaiserstein, fast 150 Jahre lang - jetzt heißt es Dolden Mädel.

Der künstliche Wasserfall allerdings rauscht im Sommer noch immer über die Felsen und speist den kleinen See an der Kreuzbergstraße, in dem ein bärtiger Fischer seine heißgeliebte Seejungfrau in den Armen hält. Geblieben auch ist das kleine Lokal gegenüber, damals noch die Viktoria Quelle, von wo aus eine Gruppe intellektueller Spaßvögel mit Pickeln und Seilen zum Gipfelsturm auf den Kreuzberg aufbrach, was Tags darauf die gesamte Berliner Presse beschäftigte. Auch das alte Straßenpflaster der winzigen Parkstraße, die einst zu einem der schönsten Gartenlokale am Park führte, liegt noch. Und es geht auch noch immer die Sage, dass sich in einem der Hinterhöfe bis heute einer der alten Weinbergschuppen verbirgt und an jene vergangenen Zeiten erinnert, als die Kreuzbergstraße noch Weinmeisterstraße hieß. •

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