Kreuzberger Chronik
Juni 2017 - Ausgabe 190

Essen, Trinken, Rauchen

Eisbein, cheap and good


linie

von Hans W. Korfmann

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Do you know a nice, cheap place for lunch? Good food, sunny place?« , fragt eine ziemlich coole Gruppe junger Italiener drei blonde Schülerinnen vor dem Leibniz Gymnasium. Die Ortskundigen fühlen sich geschmeichelt und geben sich Mühe, etwas für die Jungs zu finden. Aber das ist schwer.

In der Sonne sitzen und ein Bier trinken kann man in Kreuzberg überall. In der Sonne sitzen und gut essen nur noch selten. Seit die Restaurants auf Laufkundschaft und nicht mehr auf Kreuzberger Stammkundschaft setzen, hat die Qualität gelitten. Überall Pizza und Pasta, grüne und rote Currys, Veganes und Vegetarisches. Aber Italiener kommen nicht nach Berlin, um Pizza zu essen. Sie zeigen den Mädchen einen Reiseführer: »Something like Eisbein with Sauerkraut

Die Mädchen kichern: »We really dont know!« Sie könnten ihnen vietnamesische, thailändische und italienische Restaurants empfehlen, aber deutsche? Höchstens der Imbiss in der Markthalle mit Currywurst und Kohlrouladen. Aber Sonnenplätze vor der Markthalle sind rar. Die Italiener sehen sich ungläubig an. »Do you eat only Currywurst in Berlin?«

Da kommt die rettende Idee: »Die Atempause!« Es gibt sie schon lange, aber man vergisst sie immer wieder. Zur Zeit ist das kleine Café am Südstern mit seinen Schachspielern, Zeitungslesern, Kuchenessern und Kaffeetrinkern auch kaum zu sehen hinter dem Baugerüst, das der Hausbesitzer ungeachtet des Eichelhähers, der in der begrünten Hauswand über sechs Eiern brütet, hat aufstellen lassen, um unterm Dach Luxuswohnungen mit Sonnenterrasse und Panoramablick einzurichten. Für reiche Italiener, Engländer, Franzosen, Österreicher....

Sonnenplätze vor dem Café gibt es unter dem Gerüst zwar auch gerade keine, aber einen täglichen kleinen Mittagstisch mit deutscher Küche. Er besteht nur aus zwei Gerichten: Einem mit Fleisch oder Fisch, und einem Gericht ohne Fleisch und ohne Fisch. Dazu gibt es immer einen kleinen Salat, ein kleines Stück Brot, und eine unaufgeregte Nachbarschaft an den Nebentischen. Das berühmte Berliner Eisbein ist allerdings auch hier nicht auf der Speisekarte, aber Königsberger Klopse oder Gulasch gibt es, Schweinebraten oder Schnitzel, Kohlrouladen oder Hühnerfrikassee, immer mit ein bisschen Gemüse, und fast immer mit zwei, drei gelben, in Butter geschwenkten Kartoffeln. Solche deutschen Raritäten gibt es noch in der Atempause.

»You can go to the Atempause« , sagen die Schülerinnen, aber »Atempause« verstehen die Italiener nicht. »Breath-Stop« , versucht eine zu übersetzen. »Das hört sich eher wie Atemstillstand an als wie Atempause.« - »Take a rest!« kicherte die andere, »or so!« - »Atempause: If you sit down for a short brake!« , kichert hysterisch die dritte, während die Italiener längst in Richtung Südkreuz wandern. •

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