Kreuzberger Chronik
Juni 2017 - Ausgabe 190

Geschäfte

Blumen vom Friedhof


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von Horst Unsold

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Blüten vom Friedhof Blumenhandel im Osten und Fleur Wüst im Westen:Zwei Floristen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Sie liegen nicht weit auseinander, kaum ein Kilometer trennt die beiden Läden auf den Friedhöfen an der Bergmannstraße. Beide haben sie Schnittblumen, Stauden und Bäum-chen, beide verkaufen Grablichter für storbene und verleihen Schäufelchen für die Hin-Und doch sind es zwei ganz unterschiedliche Welten, wie schon ihre Namen vermuten lassen: »Birk Blumenhandel« am Südstern und »Fleur Wüst« am Marheinekeplatz. Während der eine nicht viele Worte macht um sein Geschäft und es pragmatisch Blumenhandel nennt, scheint sich die andere mit poetisch klingendem Französisch zu dekorieren.

Doch der Eindruck täuscht. Brigitte Wüst ist Spross der luxemburgischen Floristenfamilie Fleurs Arthur et André Wüst. Neben ihrem männlichen Kollegen am anderen Ende des Friedhofs wirkt sie mit ihrer modischen Brille, den gläsernen Vasen, den Keramiktöpfen und kunstvoll drapierten Blumen fast wie eine Ladenbesitzerin in einer glitzernden Shopping Mall. Tatsächlich wäre sie beinahe zur Geschäftsführerin des großen Blumenladens auf dem BER geworden. »Aber den Flughafen gibts ja immer noch nicht.« Was ein Glück ist, denn »der Platz hier ist wunderbar!« , zudem hätte ihre Kundschaft auf dem Flughafen nur aus vorübereilenden Fremden bestanden. Hier haben die Menschen Zeit, hier sagen sie: »Sie müssen mir aber versprechen, auch jeden Tag einmal bei meinem Frauchen vorbeizugehen.« Also geht sie jeden Tag einmal zum Grab des »Frauchens« und schaut nach den Blümchen.

Auch Matthias Birk hat bei seinen Eltern gelernt, echten Berlinern, die schon in den Achtzigern auf dem Friedrichswerderschen Friedhof Blumen verkauften und Gräber pflegten. Mit seiner Frisur aus den Siebzigern und dem Bart von vorgestern, mit der pragmatischschwarzen Brille und seinem unaufgeräumten, mediterranen Vorgärtchen, in dessen Mitte alle paar Jahre sogar eine große Bananenstaude ihre Blüte entfaltet, erweckt er den Eindruck, schon immer hier gewesen zu sein. Und wenn er in seinem karierten Baumfällerhemd vor dem Aquarium hinter der Ladentheke steht und mit friedhöfischer Gelassenheit seinen Kunden achselzuckend »Vielleicht so eine Gerbera?« oder »doch eher so eine Lilie?« anbietet, kann sich niemand vorstellen, dass es jemals anders zugegangen wäre in diesem Laden. Bald dreißig Jahre ist Birk schon da.

Die Blumenfrau im Westen ist noch nicht so lange auf dem Friedhof. Sie ist erst seit ein paar Monaten hier, schweren, kalten Wintermonaten. Aber auch sie hat schon Stammkunden: die alten Kunden von Frau Rothe. Nachdem nämlich Frau Rothes Laden ein ganzes Jahr lang leer stand und schon Gerüchte über einziehende Currybuden und Infostände kursierten, waren alle erleichtert, als wieder Blumen vor der Tür standen. Immer wieder hörte Brigitte Wüst denselben Satz: »Ach, ist das schön, dass hier wieder ein Blumenladen ist!« Und dann folgte: »Frau Rothe hat das alles immer mit viel Herz und Liebe gemacht. Machen Sie das auch so?«

Natürlich hat auch Brigitte Wüst ein Herz für Blumen. Sie schwärmt von den Farben der Purpurglöckchen, den vier Storchenschnäbeln, die sie aus dem Botanischen Garten hat, dem Frauenmantel und den violetten Malven. Sie hat die finstere Koniferenecke hinter dem Lädchen in eine blühende Blumenwiese verwandelt. Kein Zweifel, diese Frau liebt Blumen, zwei Stunden, verbringt sie täglich auf der Suche nach dem Schönsten und Außergewöhnlichsten mit dem Einkauf auf dem Blumenmarkt in der Beusselstraße, »da ist der Birk längst schon wieder auf dem Friedhof, wenn ich immer noch herumsuche.«

Matthias Birk ist nämlich schon morgens um acht im Laden, um nach den Guppys zu sehen und den Goldfischen, deren Aquarium im Sommer wie im Winter draußen steht, »da kommen dann immer Mutter und Tochter und gucken sich die Fische an.« Vorher hat er Schnittblumen auf dem Großmarkt, Stauden in der Gärtnerei und Blumenerde vom Großhändler geholt. Bis dann die erste Kundschaft kommt, kümmert er sich um seine Banane, die drei großen Engelstrompeten, die Palme und seine Andentanne, »die ist unverkäuflich, viel zu teuer bei der Größe, die die schon hat. Die wird mal 15 Meter, wenn ick in Rente bin. Aber das dauert noch. Es sei denn, ick gewinn im Lotto und kauf mir nen Garten. Aber dann kommen die hier alle mit.«

Brigitte ist der Gegenpol zu Birk. Matthias Birk mit seinen Plastiksteigen voller Stiefmütterchen, Erika, Röschen und Tulpenzwiebeln, dazwischen ein paar Tomatenpflanzen und ein Zitronenbaum, ist der Klassiker. Brigitte Wüst mit ihren altersgrauen Holzkisten, Blumen aus dem Umland und Rosen aus fairem Handel ist die Vertreterin moderner Floristik. Birk ist der Gärtner mit einem Haufen alter Spaten, Rechen, Schaufeln und mit Säcken voller Blumenerde zwischen seinen Pflanzen, Wüst ist die Künstlerin mit silbernen Wasserschüsseln voller duftender Narzissen und blühender Tulpen und mit einem gerahmten Blätterteppich an der Wand.

Auch das Publikum bei Frau Wüst ist ein kleines bisschen feiner als das Publikum bei Herrn Dirk, und es drückt sich auch ein kleines bisschen feiner aus. »Au revoir!« , ruft eine ganz in Schwarz gekleidete Dame und winkt der Blumenfrau noch vom Friedhofstor zu -»Na dann, bis zum nächsten Mal, und hau rin!« , verabschiedet sich der Kunde vom Blumenhändler auf der anderen Seite. Matthias Birk hebt die Schultern. »Also mich störts nich, wenn die mich duzen. Ick sieze die Kundschaft trotzdem. Weil wenn son Kunde mal zu viel Unsinn erzählt – und da gibts schon ein paar von, die einem stundenlang Unsinn erzählen – da könnte mir schon mal was rausrutschen, wenn wir per Du wären.«

Frau Wüst sagt, dass Herr Birk ein »wirklich netter Mann« ist. Auch Herr Birk sagt, dass sie »eine nette Kollegin« sei. Wenn sie sich sehen, morgens früh um fünf, auf dem Blumenmarkt, grüßen sie sich und plaudern ein bisschen. Ob Birk »Du« zu Frau Wüst sagt, ist nicht bekannt. •

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