Kreuzberger Chronik
Juli 2017 - Ausgabe 191

Reportagen, Gespräche, Interviews

Schule frei


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von Michael Unfried

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Kaum eine Stadt verfügt über so viele historische Schulgebäud wie Berlin. Sie werden verpachtet und zweckentfremdet Und verlieren allen Charme. Auch in Kreuzberg.

Der Senat behauptet, er werde in Berlin 30 neue Schulen bauen. Gleichzeitig werden alte Schulen geschlossen. Auch in Kreuzberg wurden in den vergangenen Jahren zwei Gemeindeschulen in die Privatwirtschaft entlassen und verpachtet. »Manchmal«, sagt die Mutter einer ehemaligen Schülerin der Gerhart-Hauptmann-Schule, die vor fünf Jahren geschlossen wurde, »hat man den Eindruck, dass die Schulen nur verkauft wurden, um Aufträge an Bauunternehmen zu vermitteln und auf diese Weise den Anschein zu erwecken, wir hätten eine Art von Konjunktur. Auf der einen Seite Schulen schließen, auf der anderen neue bauen – das können doch nur irgendwelche krummen Touren sein.«

Was zunächst wie eine der üblichen Gaunereien der Baubranche aussieht, ist letztendlich ein Millionenbetrug. Die Betrogenen sind die Schüler und deren Eltern, die glauben, mit ihren Steuergeldern etwas für die Bildung im Land getan zu haben. 300 Millionen Euro hat die Berliner Regierung für die Sanierung und den Neubau von Schulen vorgesehen, doch saniert werden nur die wenigsten. Der Großteil der Gelder fließt in den Neubau. Allein der so genannte Rütli-Campus in einem alten Schrebergartenviertel an Kreuzbergs Bezirksgrenze kostet 32 Millionen. So viel lässt sich der Senat die Imagesanierung »Deutschlands schlimmster Schule« kosten, die vor 2006 im ganzen Land für unfreundliche Schlagzeilen sorgte.

In den historischen Schulgebäuden dagegen verbreiten die sanitären Anlagen noch den Duft 19. des Jahrhunderts, der sandige Putz stammt aus den armen Nachkriegsjahren, das Licht aus flackernden Neonröhren. Die alte Bausubstanz verkommt. Für die notwendigen Sanierungen, klagen die politischen Kassenwarte, fehle es am Geld, es bleibe gar nichts übrig, als die alten Schulen zu verkaufen oder zu vermieten, um mit den Einnahmen Neubauten zu finanzieren.

Was mit den letzten denkmalgeschützten Klinkerbauten der alten Gemeindeschulen passiert, wenn sie in Privatbesitz geraten, zeigt sich am Abstieg der Rosegger-Schule in der Bergmannstraße. Seit die Global Music Academy und eine Boxschule dort eingezogen sind, stehen zwei Etagen komplett leer. Während Flüchtlinge aus aller Welt Unterkünfte suchen. Und die Straße hinter dem Schulgebäude ist zum illegalen Schuttabladeplatz verkommen. Auch unter den Hundebesitzern erfreut sich die Rückseite der Schule großer Beliebtheit, wo einst noch die kleinen Kringelchen junger Zwergpinscher auf dem Pflaster lagen, türmen sich jetzt Exkremente ausgewachsener Bernhardiner. Selbst Zweibeiner scheinen die stille Ecke für die Notdurft zu nutzen.

Noch verwahrloster sieht die Vorderseite der 133sten und149sten Gemeindeschule Berlins aus. Wo einst Kinder lärmten und in den Ecken heimlich rauchten und knutschten, stehen schwarze BMW und Mercedes. Die Tischtennisplatten wurden mit Absperrbändern dekoriert, damit kein Kind auf die Idee kommt, den Hof zum Spielen zu
Foto: Dieter Peters
nutzen. Der Hausmeister schimpft, das sei »jetzt Privatbesitz«. Die fetten Ratten aber, die den Schulhof zu ihrem Treffpunkt gemacht haben und zu abendlicher Stunde rudelweise die Bergmannstraße überqueren, lassen sich von dem Hausmeister nicht einschüchtern.

Auch die Gerhart-Hauptmann-Schule in der Reichenberger Straße vermittelt ein Bild hoffnungsloser Tristesse. Ebenso wie in der Rosegger-Schule sollte auch hier zunächst eine evangelische Privatschule einziehen. Doch dann kam die Idee vom »Projektehaus«. Jetzt gleicht die Schule einem Hochsicherheitstrakt, Tag und Nacht bewacht Security das Gelände. Man befürchtet, die Flüchtlinge könnten noch einmal wiederkommen. Vor drei Jahren sorgte die Schule für Schlagzeilen, als zwei der Flüchtlinge, die das leerstehende Schulgebäude besetzt hatten, vor der einzigen Dusche im Haus in einen tödlichen Streit gerieten. Kurze Zeit später drohten Flüchtlinge damit, kollektiv vom Dach zu springen, wenn man ihnen nicht endlich eine Lebensalternative zur Verfügung stelle. Etwa 120 Flüchtlinge, Männer, Frauen und Kinder, leben derzeit in der hermetisch vom Rest der Welt abgeriegelten Schule, darunter 20 so genannte Illegale.

Die meisten Kreuzberger solidarisierten sich mit den Flüchtlingen. Sie freundeten sich sogar mit dem Gedanken an ein »Projektehaus« an, das in dem Schulgebäude eingerichtet werden sollte, obwohl viele die Schulschließung zuvor bedauert hatten. Doch während die Kreuzberger noch über Flüchtlinge und über die verschiedenen Initiativen und Firmen diskutierten, die im Projektehaus einziehen sollten, plante Stadtrat Panhoff in einem seiner berühmten Alleingänge heimlich, still und leise erstaunlich hohe Neubauten mit 140 Wohnungen auf dem Schulhof. Als die Bebauungspläne des Bezirks öffentlich wurden, formierte sich augenblicklich der Widerstand.

Eine Bürgerinitiative entstand, die sich lautstark gegen Neubauten auf dem Schulgelände wehrte. Konsterniert saßen etwa 70 Kreuzberger auf der ersten Informationsveranstaltung im Sommer letzten Jahres, es wurde laut und es herrschte eine Stimmung »fast wie früher! Wir haben anfangs echt geglaubt, wir könnten noch etwas ändern!«, sagt Gabriele Alscher, eine der Sprecherinnen der Initiative. Doch die Stadträtin, Frau Borkamp, machte ihnen wenig Hoffnung, wenn sie zugab, dass die komplette Planung längst abgeschlossen sei. »Sie können nur noch bei der Balkonanordnung mitreden.«

Innerhalb kürzester Zeit hatte das Architekturbüro Zappe im Auftrag der städtischen Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE, und damit auch im Auftrag der zuständigen Senatorin, einen Plan für 140 Wohnungen aus der Schublade gezaubert. Bis zu acht Stockwerke hoch sollten sich die Sozialwohnungen für Flüchtlinge, Studenten und verfolgte Frauen übereinanderstapeln, ein Monstrum dicht aneinander gedrängter Betonwände, in dem selbst die 4-Zimmerwohnungen gerade mal 60 Quadratmeter aufweisen und auch eine Bibliothek nichts mehr half. Ohne Rücksicht auf die vorgefundenen Strukturen des Geländes und den Baumbestand mit seinen hundertjährigen Platanen plante man drei U-förmig angeordnete Gebäuderiegel mit einem lichtscheuen, maximal zehn Meter breiten Innenhof zwischen 24 Meter hohen Wänden. Viel »zu eng und undifferenziert, um ein Kommunikationsraum zu werden. Das wird ein Konfliktraum« und ist eher ein »Gefängnishof als Wohnhof«.

In einem dreiseitigen Schreiben verwenden die Kritiker des Zappe-Entwurfs wenig schmeichelhafte Begriffe, sprechen von »kasernenartiger Architektur« und einer »Stigmatisierung der Bewohner«, von einem »brachialen Baukörper«, der »Restflächen ohne Aufenthaltsqualität« zurücklasse. »Hemmungslos« versuche man, sich über Traufhöhen und die zulässigen Bautiefen hinwegzusetzen. Mit nur einem Ziel: möglichst viele Quadratmeter zu bebauen. Selbst die Bäume, die auf dem knapp drei Meter schmalen Vorgartenstreifen an der Ohlauer Straße stehen und den Gehweg beschatten, sollen im Oktober fallen. Man müsse bis an die Straße bauen und jeden Meter nutzen, »um das Projekt finanzieren zu können!«, argumentiert das Amt.

Auch die alten Baumriesen mit den Bänken in der Mitte des Hofes, die bis heute das Landschaftsbild prägen, hätten nur gerettet werden können, wenn man von dem Erstentwurf Abstand genommen und sich mit Alternativen beschäftigt hätte, wie sie das Architekturbüro Klinkenberg gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Ohlauer Straße in die Diskussion eingebracht hat. Die Alternative sieht anstelle der »Sardinendosen-Architektur« eine luftigere Anordnung der Gebäude vor und hätte nicht nur die zentralen Platanen, sondern auch den Baumbestand entlang der Ohlauer Straße gerettet. Statt der engen U-Form hatte man ein offenes L mit ebenso viel Wohnraum vorgeschlagen, zu »nicht viel höheren Baukosten.« Der neue Baustadtrat Florian Schmidt sagte dazu lediglich, er habe einen »klaren Willen des Bezirks vorgefunden«, diese Pläne umzusetzen. Zudem seien die Alternativen nicht überzeugend genug, um noch einmal ganz von vorne anzufangen.

Ganz umsonst aber waren der Protest und die Wachsamkeit der Bürger nicht. Das eine oder andere Stockwerk aus dem ersten Entwurf wurde bereits wieder abgetragen. Auch sechs Platanen haben die Anwohner womöglich retten können. Dennoch schauen sie den Planungen mit Entsetzen entgegen. »Ich werde hier weg ziehen, wenn die Motorsägen kommen!«, sagt Gabriele Alscher. Und ihre Tochter lief, als sie Herrn Schaute von der Wohnungsbaugesellschaft auf dem Gelände herumspazieren sah, gleich hinunter und sagte mit ihren 33 Jahren noch in jugendlichem Leichtsinn: »Herr Schaute, ich sehe seit 28 Jahren auf diese Platanen hier! Lassen Sie die bitte stehen!«

In der Regel grinsen Politiker bei derlei naiven Anliegen und kontern: »Sie wollen also einen Blick ins Grüne?« - Als ginge es nur um den Blick vor der eigenen Haustür. Carsten Joost von den Klinkenberg-Architekten hat einen anderen Eindruck von den Bürgern. »Die erklärten sich nach langen Abenden sogar mit dem künftigen Blick auf die Hauswand einverstanden, vorausgesetzt, dass dafür auf der anderen Seite akzeptable Lebensräume entstünden. Das ist doch großartig!«

Herr Schaute von der HOWOGE lächelte auf das Anliegen der jungen Frau und gab sich väterlich: »Ich will mal sehen!« Das letzte Wort schien noch nicht gesprochen, und tatsächlich sah es in den letzten Plänen so aus, als blieben die 6 Platanen neben der Turnhalle erhalten. Doch selbst wenn am Ende für die Bäume entschieden wird, heißt das noch nicht, dass sie bei den Baumaßnahmen nicht doch noch einem Betonmischer im Wege stehen, und leider doch noch fallen. •



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