Kreuzberger Chronik
Juli 2017 - Ausgabe 191

Herr D.

Der Herr D. möchte telefonieren


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von Hans W. Korfmann

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Vom Untergang der Telekommunikation im 21. Jahrhundert

Der Herr D. sollte betrogen werden. Unter dem Namen der 1und1 Telecom hatte man versucht, 32 Euro von seinem Konto abzubuchen. Der Herr D. aber hatte seit Jahren nichts mehr mit der Firma zu tun, und mit der Telecom schon gar nicht, seit er Ron Sommer im Fernsehen gesehen hatte.

Er buchte das Geld zurück, aber zwei Wochen später lag eine Mahnung im Briefkasten. Man freue sich, dass er am Lastschriftverfahren teilnehme, wolle aber innerhalb von 7 Werktagen wissen, weshalb er der Abbuchung widersprochen habe. »Um eine Sperre Ihres Anschlusses zu vermeiden«, sollte der Herr D. künftig die Fristen einhalten, sonst würde das »Mahnwesen« aktiv.

Der Herr D. suchte nach einer Telefonnummer in der Kopfzeile des Briefes, aber die Telefongesellschaft hatte keine Telefonnummer, lediglich eine Internetadresse. Der Herr D. kam bis zum Kundenbereich, wo er an einer persönlichen Identitätsnummer scheiterte, die er nicht besaß. Aber er fand eine Emailadresse. Er schrieb der Firma, dass er keine Leistungen von 1und1 beziehe und dass es sich um einen Irrtum handeln müsse. Er vergaß nicht, seine Telefonnummer anzugeben.

Als er nach fünf Tagen keine Antwort erhalten hatte, wurde er unruhig. Im Internet fand er eine Telefonnummer, sprach mit einigen Sprachcomputern, die ihn »leider nicht verstanden«, bis er endlich einen echten Menschen am Apparat hatte. »Ich möchte gerne mit dem Rechnungswesen sprechen!« -»Mit wem bitte?« -»Mit dem Rechnungswesen, das weitere Schritte gegen mich einleiten möchte. So steht es in Ihrem Brief!« -»Worum geht es denn?« Die menschliche Stimme klang ungeduldig. Der Herr D. vermutete, dass der Mitarbeiter für jeden Kunden nur etwa 90 Sekunden Zeit hatte.

Der Herr D. erklärte, worum es ging, gab die auf dem Schreiben angegebene Kundennummer durch, nannte Namen und Anschrift, bot zusätzlich Blutgruppe, sexuelle Vorlieben und politische Gesinnung an, aber der Mitarbeiter blieb ratlos: »Ich habe Sie nicht im System!«

-»Erst schicken Sie mir eine Mahnung an die richtige Adresse mit allen diesen Nummern, und dann gibt es mich nicht mehr?«

Erst als der Herr D. mitteilte, dass er schon bei Versatel bezahle, seufzte der Mitarbeiter auf. »Die haben wir doch gekauft!« - »Und Sie halten es nicht für nötig, mir das mitzuteilen? Oder mir eine Rechnung zu schicken?« - »Das Schreiben ist auch an Sie rausgegangen! Das sehe ich im Computer!« - »Es ist aber nie angekommen! Ich möchte jetzt das Rechnungswesen sprechen!« -»Dieses Wesen gibt es bei uns nicht.« Der Mitarbeiter war am Ende, aber der Herr D. erst am Anfang, und während er mit dem armen Angestellten telefonierte, sah er immer deutlicher den ungelenken Roboter, der an einem Computer saß, mit Eisenfingern Mahnungen tippte und in alle Welt verschickte. •


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