Kreuzberger Chronik
Februar 2016 - Ausgabe 176

Strassen, Häuser, Höfe

Die Schwiebusser Straße Nummer 5


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von Werner von Westhafen

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In der Schwiebusser Straße Nr. 5 steht ein altes Landhaus.



De Berliner Mauer war längst gefallen, Immobilienspekulanten begannen sich für das Schrebergartengelände südlich der Schwiebusser Straße zu interessieren, auf dem inzwischen die neuen Gebäude des Stadtquartiers Columbiadamm in den Himmel ragen, da lag zwischen den hohen Mietshäusern gegenüber noch ein verfallenes, einstöckiges Häuschen. Die Dachschindeln flogen davon, der Putz fiel in großen Blättern vom Mauerwerk, der Holzboden war morsch, die Fenster kippten aus den Rahmen. Der Fortschritt hatte sich Zeit gelassen in der Schwiebusser Straße, erst 1964 wurde der »Schwarze Weg« , wie der Volksmund die winterliche Schlammspur nannte, mit einer Asphaltdecke befestigt.

Foto: Kreuzberg Museum
Dass es mehr als hundert Jahre dauern würde, bis die letzte Straße zwischen dem südlichen Ende der Stadt und dem Tempelhofer Feld gepflastert wurde, damit hatte Bäckermeister Schaelling nicht rechnen können. Er hatte das kleine Anwesen des Müllers Puls 1851 gekauft, der wenige Jahre zuvor in der Nähe seiner Windmühle ein einstöckiges Wohnhaus mit fünf Zimmern, mehreren Kammern unter dem Dach und »einem hölzernen Balkon« errichtet hatte. Ringsum wuchs längst die Stadt in die Höhe, in der 23. Straße, gleich nebenan, standen bereits stattliche Wohnhäuser. Nur der Bäcker durfte nicht aufstocken, da seine Straße noch »unreguliert«, also ungepflastert und nicht an die Kanalisation angeschlossen war. Benedikt Moritz Schaelling beteuerte, seine Grube stets sorgfältig und pünktlich zu leeren, nie habe es seitens der Nachbarn Beschwerden wegen übler Gerüche gegeben, seit 25 Jahren bewohne er nun das Haus und habe »niemals Wasser nach der Straße fließen lassen.« Ein Anschluss an die »nächstgelegene regulierte Straße« , die Belle Alliance, läge »in einer bedeutenden Entfernung von mehr als 6000 Schritten« und käme nicht in Frage, weil sein Haus das einzige an der ganzen Straße sei und er demzufolge sämtliche Kosten alleine tragen müsste. Doch die Behörden hatten kein Erbarmen mit dem Besitzer der Hausnummer 5.

Nachdem der Bäcker dreimal sein Glück versucht hatte, gab er 1876 auf und verkaufte sein Haus an den Bankier Julius Hirschberg, der es unumwunden an einen Kaufmann veräußerte, der es wiederum an Emil Uhle verpachtete. Während die Randlage des Grundstücks dem Bäckermeister nur Sorge bereitet hatte, versprach sich Emil Uhle einen Vorteil davon. Er errichtete im Hof eine Remise und machte aus dem Wohnhaus des Müllers ein Gartenlokal mit Kegelbahn und Buffethalle. 1888 errichtete er sogar eine hölzerne Zuschauertribüne, damit die Sonntagsausflügler vom Lokal aus die Militärparade auf dem Feld ansehen konnten. Doch diesmal hatte auch Uhle Pech. Er hatte die Eintrittskarten für das Großereignis schon verkauft, da erhoben die Behörden Einspruch, und während die Kirchenglocken läuteten, musste Uhle die Tribüne wieder abbauen. Der Berliner Lokalanzeiger schrieb, dass »im Lokal Schutzleute anwesend waren, die sogar das Besteigen der Tische seitens der Gäste verhinderten. Doch der Wirt legte Beschwerde« ein, woraufhin die Tribüne im folgenden Jahr genehmigt wurde und das Lokal den Namen »Paradegarten« erhielt.

Foto: Dieter Peters
1898 bekam auch die Straße Nummer 22 einen endlich Namen. Sie hieß jetzt »Schwiebusser Straße«, war aber noch immer ohne Pflaster. Ein neuer Pächter namens Zirbel übernahm das Gartenlokal, das sich bald so großer Beliebtheit erfreute, dass die Grube des Bäckermeisters mehrfach überlief und die Nachbarschaft sich über üble Gerüche beschwerte. Eine künstliche Eisbahn sorgte auch im Winter für Stimmung am Stadtrand und Zirbel verdiente auf dem Grundstück des Bäckermeisters gutes Geld. Das Haus allerdings verfiel zusehends, ein Polizeibeamter notierte, es sei »in allen Teilen baufällig« und verbot die weitere Zimmervermietung. 1908 kam ein Bauunternehmer und wollte bauen. Abermals verwiesen die Behörden auf den fehlenden Anschluss an die Kanalisation. Enttäuscht verkaufte er den vermeintlichen Baugrund an einen Zeitungsunternehmer. Zirbel störten die wechselnden Besitzer wenig, aus dem Lokal wurde ein Rummel mit Karussell und Schießbude. Doch 1922 kauften jüdische Unternehmer das Haus und kündigten ihm, um auf dem Grundstück Garagen zu bauen. Klagten die Nachbarn einst wegen der Abortgerüche, rümpften sie nun wegen des »Benzingestanks« die Nase.

1945, im vom Krieg zerstörten Berlin, diente das Haus des Müllers dann aber doch noch einmal als richtiges Wohnhaus. Erst 1984 zogen die letzten Mieter aus dem Haus am alten Feldrand aus, und erst 1996 wurden die Garagen abgerissen und der Hof für eine Kindertagesstätte hergerichtet.



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