Kreuzberger Chronik
April 2016 - Ausgabe 178

Reportagen, Gespräche, Interviews

Stockende Verhandlungen


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von Michael Unfried

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Die historische Kaserne am Ende der Friesenstraße mit ihren 32 Backsteingebäuden ist ein Viertel für sich. Scheinbar ideal für Investoren. Doch...

Hinter dem KFZ-Amt an der Jüterboger Straße hat ein fahrbarer Imbiss geparkt. Eingeweihte sitzen in der Sonne an zwei Biertischen, der Wurst- und Pommes-Verkäufer zwischen den alten Kasernen ist einer der letzten bezahlbaren Sonnenplätze im Viertel. Es gibt Senfeier mit Kartoffelpürree, Hackbraten oder Griesbrei. Nur Bier gibt es keines. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass es zwischen Polizei und KFZ-Amt auch nur einen Tropfen Alkohol gibt?«

Versicherungsvertreter und Gebrauchtwagenhändler, manchmal auch die Jungs von der Friesenwache, schäkern mit den Berlinerinnen. »Eigentlich müsste das hier eine Goldgrube sein, aber das ahnt ja kein normaler Mensch, dass Sie hier so´n nettes Etablissement haben.«

»Wir sind ja auch erst seit drei Jahren hier, junger Mann!« , sagt die Frau hinter der Resopaltheke und spritzt Senf auf die Pappe. Wie lange sie noch hier stehen darf, weiß keiner. Immer wieder wird vor der kleinen Theke spekuliert, wie es wohl weitergehen wird. Auch die Wurstverkäuferin weiß nur eines: »Solange es das KFZ gibt, solange gibt´s uns auch noch. Aber wenn die demnächst alles mit solchen Chipkarten machen, dann ist hier ooch Feierabend.«

Für diesen Feierabend putzt sich die Friesenwache schon jetzt ordentlich heraus. Die historischen Mauern aus dem 19. Jahrhundert mit ihren rostroten Ziegeln und den Einschusslöchern der Kriege sind
abgerissen und komplett neu aufgemauert worden. Die alten Fassaden, hinter denen einst preußische Soldaten wohnten, später die Nazis folterten und noch in den Siebzigern Demonstranten und Hausbesetzer verprügelt wurden, sehen aus wie aus dem Architekturkatalog.

So begann es vor 15 Jahren auf dem Gelände der ehemaligen Schultheissbrauerei am Kreuzberg auch. Heute heißt die historische Braustätte »Viktoriaquartier« und ist ein hermetisch abgeriegelter Sicherheitstrakt für die gehobene Mittelschicht, wie man ihn aus schlechten amerikanischen Filmen oder der südafrikanischen Wirklichkeit kennt. Die liebevoll errichteten Gründerzeitgebäude der Bierbrauer mit ihren gepflasterten Höfen sind trotz Denkmalschutzes kaum mehr zu sehen, denn die Baywobau hat jeden Quadratmeter zur Profitmaximierung genutzt und das Gelände so dicht bebaut wie die Architekten der Fünfzigerjahre ihre Sozialbauten. Dasselbe traurige Schicksal könnte auch der einst größten Kaserne Europas drohen.

Willo Göpel, seinerzeit schon Pressesprecher des Viktoriaquartiers, auf dem noch immer Baumaschinen rollen, erklärte kürzlich im Tagesspiegel, weshalb das Bauen in historischen Vierteln so lukrativ ist. Zum einen lassen sich die Unternehmer das Alter einiger verbliebener Bausteine von den Käufern der entstehenden Eigentumswohnungen teuer bezahlen. Im Viktoriaquartier kostet der Quadratmeter trotz noch immer andauernden Baulärms inzwischen schon 4000 Euro. Als man begann, war es noch die Hälfte. Zum anderen gibt es für die Firmen, die ein Gelände mit denkmalgeschützten Gebäuden bebauen, »große Steuervorteile bei Bauinvestitionen« .

Freilich wird das Land Berlin, dem die vielleicht begehrtesten Quadratmeter zwischen Tempelhofer Feld und Landwehrkanal gehören, seine letzten Trümpfe nicht verschenken. Aber die beiden Pleiten mit den Flughäfen BER und THF belasten die öffentlichen Kassen, Berlin hat nichts in der Hinterhand und sollte den Spieltisch schnellstens verlassen, wenn es nicht alles verlieren möchte. Aber Berlin spielt weiter. Berlin, so meinen einige Investoren, könnte mit dem Geld aus dem Verkauf die Gebäude auf dem Flughafen Tempelhof restaurieren. Und Polizei und Verwaltungen dort stationieren. Dass der Umzug der Büros wahrscheinlich mehr Millionen verschlingen würde, als der Verkauf der geschichtsträchtigen Gebäude einbringen könnte, interessiert die Spieler wenig. Hauptsache, es klingelt ein bisschen in der Kasse.

Bei den Investoren klingelt es dann später, aber dafür ordentlich. Es geht um 110.000 Quadratmeter, 32 Gebäude, von denen einige nicht einmal unter Denkmalschutz stehen und ganz einfach verschwinden können, um lukrativen und vielgeschossigen Neubauten Platz zu machen. Auf dem Polizeigelände gibt es wesentlich mehr Freiflächen als am schon damals eher dicht bebauten Kreuzberg. Es sieht ganz danach aus, als könne man hier noch wesentlich mehr Geld verdienen als seinerzeit am Kreuzberg.

Die CDU, sonst eher auf der Seite der Bauunternehmer, kritisiert aus parteipolitischem Kalkül die Pläne des Senats, gemahnt aber zu Recht an die Pleite beim Tempelhof-Volksentscheid und warnt »davor, neue Nutzungspläne für das Flughafenareal hinter den verschlossenen Türen der Stadtentwicklungsverwaltung zu entwickeln«. Doch genau das ist auch diesmal die Strategie von Müllers Genossen. Beim Poker, beim Skat und in der Politik spielt man eben mit verdeckten Blättern.

Schon 2010, als an der Schwiebusser Straße unter dem Deckmantel eines Genossenschaftsprojektes eine moderne Wohnanlage mit 250 Eigentumswohnungen entstand, gab eine der Investorinnen ohne Scham zu: Mit der Ruhe entlang der Friedhofsmauer zwischen Heimstraße und Golßener Straße wird es bald vorbei sein. »Die alte Kaserne weckt Begehrlichkeiten.« (vgl. Kreuzberger Nr. 130.) Die Begierden werden wachsen, wenn noch in diesem Jahr vor dem KFZ-Amt Neubauten in den Friedhofsboden gestampft werden.

Doch die Pressesprecher der Polizei haben von nichts eine Ahnung. Auch auf dem Bezirksamt weiß man l von nichts. Die Kreuzberger würden erst davon erfahren, wenn der Senat oder seine Investoren einen Bauantrag beim Kreuzberger Baustadtrat stellen. Investoren aber sind auf dem Gelände noch gar nicht präsent. Willo Göpel weiß, dass sich die großen Firmen wegen der schwierigen Verhandlungen mit dem Senat »eigentlich geschlossen aus der Berliner Innenstadt zurückgezogen haben«. Übrig bleiben ausländische, meist unseriöse Investoren, die kaufen, ein paar Jahre lang entwickeln, und dann schnell weiter verkaufen. »Das sind eigentlich die klassischen Spekulanten. Seriöse Firmen kaufen hier nur noch inklusive Baurecht!«

Die vom Bauwahn regierte SPD, die das Tempelhofer Feld auch gegen einen Volksentscheid zu Bauland erklärte, hätte kaum Skrupel, die Baugenehmigung gegen entsprechende Gebühren gleich mitzuverkaufen. Im Wege stehen nur die hartnäckigen Denkmalschützer mit ihren Gesetzen. Doch die allein können Senator Geisels Vorstellungen einer Stadtentwicklung nicht so schnell vom Tisch gewischt haben.

Die resolute Frau an der Schranke zum 52. Polizeirevier jedenfalls weiß auch von nichts. »Die Backsteinmauern, die ham se nur abjerissen, weil die nich mehr schön waren!« Von Eigentumswohnungen, die hier gebaut werden sollen, hat die Polizistin »noch nix gehört. In welchem Jahrtausend soll denn das stattfinden?«

Doch der Besucher gibt nicht auf, er hätte es in der Zeitung gelesen. »Suchen Sie jetzt ne Wohnung, oder weshalb wolln Se das alles so genau wissen? Ne Wohnung werden Sie hier nicht mehr finden.« Und gebaut würden hier auch keine. »Das würden wir doch mitbekommen. Und wo solln wir denn hin? Das ist doch ein Riesenrevier hier!«

Tatsächlich arbeiten in den verschiedenen Dienststellen hunderte von Angestellten, dazu kommen die Mitarbeiter des KFZ-Amtes. Genaue Zahlen kennt niemand, nicht einmal die Pressestelle der Polizei. »Auf jeden Fall viele«. Und auf dem Flughafen in Tempelhof sind jetzt auf jeden Fall erst einmal ganz viele andere eingezogen.

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