Kreuzberger Chronik
Juni 2015 - Ausgabe 170

Kreuzberger
Silbylla Weisweiler

Ich habe Fußball gehasst!


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von Hans W. Korfmann

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Die Fußballwelt ist nicht Sibyllas Welt. Wenn sie als kleines Mädchen mit ihrem Vater und ihrer Schwester im Stadion saß, weil die Großmutter wieder einmal ein paar Freikarten von Hennes bekommen hatte, dann hatte sie keinen Spaß, sondern Angst zwischen all den hysterischen Männern. Sibylla Weisweiler fand es merkwürdig, wenn die, die sonst solche Biedermänner waren, plötzlich brüllten: Gibs ihm! Polier ihm die Fresse! Tret ihm in die Eier! - »Das waren doch alles Hooligans damals, Fußball war ein Arme-Leute-Sport. Nach dem Spiel verprügelten sie zu Hause ihre Frauen.« Auch bei Sibylla Weisweiler gab es am Wochenende »eigentlich immer nur Zank«.

Deshalb hätte sie nie daran gedacht, irgendwann einmal einen Fußballer zu malen. »Ich habe Fußball gehasst!« Aber 2006, »da war doch mal so eine Fußballweltmeisterschaft.« Und da kam die Kunsthistorikerin Karin Rase auf sie zu und fragte, ob sie nicht Lust hätte, auch mal etwas zum Thema Fußball zu machen. »Ich?! Fußball?! Das ist doch voll assi!« - Aber dann nahm sie doch einen Fotoapparat, warf das Kleid in die Ecke, zog ein Fußballtrikot an und fotografierte sich. Allerdings vergaß sie dabei, das Bügelbrett aus dem Bild zu räumen. Und als sie die Vorlage mit Farbe und Pinsel dann weiterverarbeitete, wollte sie auf diese geschlechterübergreifende Kombination von Bügelbrett und Fußballtrikot nicht mehr verzichten.

Ihr Beitrag für einen anlässlich der Fußball-WM 2006 in Berlin ausgeschriebenen Kunstpreis war der einzige, in dem Frauen mitspielen durften. »Dabei war die Frauennationalmannschaft bereits mehrfach Weltmeister!« Sibylla Weisweiler ist bereit, für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Aber sie ist keine Feministin, sie hat die formlosen Indienkleider schon früh wieder aussortiert, sie »wollte sexy sein.« Sie hat lediglich »einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit«. Und wenn sie mit ihren Fußballerinnenporträts nur den zweiten Preis gewinnt - mit dem Argument, ihre Formate seien zu klein – dann vermutet sie gekränkte Männereitelkeit. Sie ertrugen es nicht, einen Fußballer im Kleinformat zu sehen. Obwohl die Künstlerin alles, was klein sein müsste, groß malt. Während sie alles, was groß ist, auf kleine Formate überträgt. Landschaften, für die Caspar David Friedrich oder Michelangelo mindestens drei Quadratmeter brauchten, passt sie in Miniaturformate. Schon im Erdkundeunterricht war sie stets bemüht, auch die kleinsten Dörfer und Flüsschen aufs Papier zu bringen. »Erdkunde, das war immer mein liebstes Fach, weil wir immer diese Landkarten malen mussten.«

Sonst fühlte sich Sibylla nicht sonderlich wohl auf der Schule. Sie war eine Spätzünderin, »die andern hatten schon richtige Möpse, da stopfte ich mir noch die Nylons in den BH.« Und während die anderen tanzen gehen durften, saß »die beleidigte Leberwurst« in der Bücherei und las Solschenizyn, Tolstoi, Dostojewski. Weil das Personal in diesen dicken Schmökern so unü-bersichtlich groß war, legte sie eine Namensliste der Romanfiguren an. Sie war ehrgeizig, sie wollte diese Welt aus Arbeit und Fußball verlassen und wäre trotz ihrer Klassenkameradinnen, die »immer nur ärgerten«, gern länger zur Schule gegangen. Sie wollte das Abitur machen, aber die Eltern konnten es sich nicht leisten, sie »weitere fünf Jahre durchzufüttern«. Sie musste dafür kämpfen, wenigstens die Mittlere Reife machen zu dürfen. Und um das Abitur machen zu können, musste sie sich ganz vom Elternhaus trennen.

»Wenn man als Frau in den Siebzigern etwas werden wollte, dann musste man weg von Köln. Köln war provinziell!« Aber als die Mutter erfuhr, dass die Tochter ihre Stellung bei Otto Wolff gekündigt hatte, um nach Berlin zu gehen und im Studienkolleg das Abitur nachzuholen, rief sie bei Wolffs Personalchef an und log: »Meine Tochter zieht ihre Kündigung zurück!« Der Mann aber stutzte und sagte: »Ihre Tochter ist achtzehn Jahre alt, da möchte ich das dann doch gerne von ihr persönlich hören.« Aber das hörte er von ihr nicht. So kam Sibylla 1982 nach Berlin.

Die Mutter »war eben Bildzeitungsleserin«, sie glaubte, Berlin sei »ein einziger Sündenpfuhl«. Die Tochter wohnte schon eine ganze Weile bei einer Freundin am Checkpoint Charlie, als ihre Mutter fragte, womit sie eigentlich ihren Lebensunterhalt verdiene, und ob sie womöglich im horizontalen Gewerbe tätig sei. Von der Berlinzulage, den guten Gehältern, den vielen Vergünstigungen, mit denen man versuchte, West-Berlin vor dem Untergang zu bewahren, hatte man in Köln-Nippes noch nichts gehört.

Sibylla hat immer kämpfen müssen. Und meistens gewann sie. 1985 hatte sie ihr Abitur in der Tasche, zwei Jahre später zog sie nach Kreuzberg in die Solmsstraße, wo sie noch heute wohnt. Sie wollte malen, bewarb sich an der HDK, nur 14 von 700 Bewerbern wurden angenommen. Sie gehörte zu den 686 Unglücklichen. Aber ein Freund sagte: Um Musik zu studieren, musst du erst Mal ein Instrument spielen. In der Malerei ist es dasselbe: Du musst schon etwas wissen von Perspektiven, Farbenlehre, Räumlichkeit.

Also tauchte sie ein in die Berliner Kunstszene, nahm Unterricht, saß mit Tom Tykwer und Peter Lichtefeld ganze Abende lang in Kneipen und diskutierte. Sie drehte Super 8-Filme und verliebte sich in einen Musiker, fuhr zum Künstlerseminar nach Salzburg, wo sie wiederum Leute aus der Kreuzberger Blücherstraße traf, mit denen sie in Berlin weiter zusammenarbeitete. »Ständig hatten wir irgendwelche Projekte, es gab ja noch so viele leere Räume in der Stadt. Also tat man sich zusammen und machte etwas!« Irgendwann wusste sie, dass nicht Film oder Fotografie oder das Theater ihre Sache waren, sondern die Malerei. Im dritten Anlauf schaffte sie es dann auch auf die HDK - unter dem lautstarken Protest ihrer Kreuzberger Künstlerfreunde: »Warum willst du denn an die HDK? Du musst doch nicht bei Rembrandt anfangen! Wir leben im Zeitalter der Atombombe! Da kannst du auch mit Picasso anfangen!«

Doch Sibylla Weisweiler hat ihren Weg gemacht. Die Tochter aus der Eineinhalbzimmer-Wohnung hat sich durchgeschlagen, von Nippes bis auf die Hochschule der Künste in Berlin. 1995 schloss sie als Meisterschülerin ab, mietete gemeinsam mit Cornelia Schmidt, die unter dem Pseudonym Erwin in Berlin gerade bekannt wurde, ein Atelier und stellte in Frankreich, England, Griechenland, Argentinien und Russland ihre Bilder vor.

Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn sie damals einfach ihr Abitur hätte machen können - so wie alle Kölner Mittelschichtkinder. Sie wäre nie auf die HDK gekommen, wenn sie nicht mit dem Vater auf den Fußballplatz hätte gehen müssen, wenn sie nicht schon früh das Kämpfen gelernt hätte. »Ich habe schon damals nur noch stark und groß sein wollen.« Vielleicht so groß wie dieser berühmte Onkel, der eigentlich ihr Großonkel war. Jeder in Köln kannte ihn, und auch Sibylla war immer etwas stolz, wenn sie in der Pause zwischen den bei den Halbzeiten zu ihm auf die Trainerbank gehen und ihm die Hand schütteln durfte. »Aber das war´s dann auch!« Hennes Weisweiler war schon zu Lebzeiten eine Legende, und noch heute wird Sibylla auf den berühmten Verwandten angesprochen.

Es sind diese kleinen Episoden aus der Familiengeschichte, die den Sinn für Gerechtigkeit und auch den Kampfeswillen in ihr heranwachsen ließen. Zwei Eigenschaften, die auch ihr Vater besessen haben muss. Sechzehn Jahre war er alt, so lange hatte er warten müssen, bis er endlich das Weisenheim verlassen und sich auf die Suche nach seinen Eltern machen konnte. Er traf auf eine Mutter, die unter dem Vorwand einer Blinddarmentzündung für einige Tage ins Krankenhaus gegangen war, um ihr uneheliches Kind auszutragen. Sie gab den Jungen gleich nach der Geburt ins Waisenheim. Und sogar jetzt, sechzehn Jahre später, zeigte die Frau nicht viel Interesse an ihrem Sohn. Erst später, als ihr Bruder Hennes schon ein berühmter Trainer und ihr heimlicher Sohn in der Bäckerei arbeitete und mit seiner Frau und den drei Kindern nicht mehr auf eineinhalb, sondern schon auf drei Zimmern wohnte, schenkte sie ihm und den Enkeln ab und zu einige Freikarten für das Fußballstadion.

Niemand ahnte, dass sie damit Weichen stellte - nicht für die zwei fußballbegeisterten Jungen, sondern für das Mädchen. Es hat nur ein wenig gedauert. Sibylla ist eben eine Spätzünderin. Aber als sie 2010 »diese Amazonen von Turbine Potsdam sah«, im Champions-League-Finale gegen Lyon, im Elfmeterschießen, da zündete es. Da war sie begeistert. So wie Hennes, und so damals wie ihr Vater. »Ich hatte keine Fingernägel mehr, so spannend war das! - Turbine Potsdam, das ist die Kaderschmiede des Deutschen Frauenfußballs!«

Sibylla Weisweiler ist so begeistert, dass sie beschlossen hat, die Amazonen aus Potsdam und ihre Zweikämpfe auf die Leinwand zu bringen. Wahrscheinlich ganz anders als 2006 - nämlich auf richtig gigantische Großformate. •

Aus der prämierten Serie Südkurve, 2013


Fotocollage mit Schwester, Großmutter und Hennes



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