Kreuzberger Chronik
April 2015 - Ausgabe 168

Reportagen, Gespräche, Interviews

Bäume und Wege am Landwehrkanal


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von Michael Unfried

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Nirgendwo sonst sitzen so viele Menschen am Landwehrkanal wie am Urbanhafen. Die schattigen Wege, die über Wurzeln von Weiden und Kastanien den Hafen entlang führen, sind an schönen Tagen bevölkert wie auf dem Volksfest. Vor dem Böcklerpark liegen Touristen und Berliner in der Sonne, lesen, dösen, spielen Gitarre. Das Bild könnte bald ein anderes sein. Denn dort, wo einst der Luisenstädtische Kanal in den Landwehrkanal mündete und eine schneckenförmige Treppe von der Admiralbrücke auf die Uferwiesen führte, sollen künftig terrassenartige Stufen aus Zement liegen.
Drei Kastanien mussten dafür bereits weichen, und auch ein Stück weiter sind fünf der alten Weiden verschwunden, die ihre Äste ins Wasser tauchten. Auch hier stehen demnächst Baumaßnahmen an. Der beliebte Uferweg zwischen der Admiralbrücke und der Baerwaldbrücke - einer der wenigen, auf dem sich Fußgänger und Radfahrer noch in friedlicher Koexistenz bewegen - soll erneuert werden. Wie im Designer-Park am Gleisdreieck soll neben einem Fußgängerstreifen ein Fahrradweg ausgewiesen werden. Kritiker befürchten eine Rennstrecke neben dem Fußgängerweg. 750.000 Euro soll diese erste, 70 Meter lange Umgestaltung des Uferbereichs kosten. Die Gelder aus dem Förderprogramm des städtebaulichen Denkmalschutzes und der EU sind bereits bewilligt. Sie müssen nur noch verbaut werden.

Eine so aufwendige Sanierung sei unnötig, argumentieren die Bürgerinitiativen. »Das Geld könnte man woanders sinnvoller investieren. Es sind doch alle glücklich, so wie es ist!« Die Bürger und der Bezirk sind im Streit. Viel länger schon, als der Bezirk geplant hatte. Sechs Monate sollte das Mediationsverfahren dauern, sechs Jahre sind es geworden. Ein kostspieliges Verfahren, das am Ende nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Geld gekostet hat. Die Rechner der Linkspartei kamen nach einer Anfrage im Bundestag auf die erstaunliche Summe von 1.716.993,16 Euro, die in die Planungsphase und das laufende Mediationsverfahren »Zukunft Landwehrkanal« investiert wurden. Eine Investition, die von der Politik als Erfolg verkauft und als »Vorbild für die bundesweite Bürgerbeteiligung« gefeiert wird. Ähnlich wie bei dem Konzept für den Park auf dem Flughafen Tempelhof sei die Bevölkerung erfolgreich in die Planung eingebunden worden.

Die Enttäuschung bei den Bürgerinitiativen aber ist groß. Im längst ausgeuferten Streit um den Schifffahrtskanal haben sich die Fronten trotz gut bezahlter Gesprächsleiter eher verhärtet als aufgelöst. In den Augen der Bürger ist »die Bürgerbeteiligung gescheitert!« Von insgesamt 15 Volksvertretern sind nur noch fünf geblieben. Anuschka Guttzeit hielt ein Jahr durch. »Die anderen haben aufgegeben, weil wir permanent verarscht wurden. Weil wir ständig etwas ausgehandelt haben, das dann irgendwie doch wieder übergangen wurde. Wir müssen bei jedem Baum wieder von vorn anfangen«. Mit einem Wort: Es wird »nur der Anschein erweckt«, als arbeite man gemeinsam an einem Projekt.

Tatsächlich sind schon die Grundvoraussetzungen für einen demokratischen Prozess äußerst ungünstig. Während auf der einen Seite Funktionäre in Beamtensesseln komfortabler Büros an den Schaltstellen des Apparates sitzen, kämpfen auf der anderen Seite Bürger in Schulräumen und Kneipen. Während die einen »keinen Cent für die Arbeit kriegen«, bekommen Mediatoren, Planungsbüros, Gutachter und Politiker in sechs Jahren beinahe 2 Millionen Euro.

Schon deshalb mussten sich die Fronten verhärten, je länger der Streit andauerte. Und er dauert nun schon eine ganze Weile. Er entbrannte 2007, als das Schifffahrtsamt verkündete, 2000 Bäume entlang des Landwehrkanals zu fällen, deren Wurzeln das Mauerwerk beschädigen und die steinernen Ufer zum Einsturz bringen könnten. 38 Bäume an der Waterloobrücke waren bereits verschwunden, als die Bürgerinitiative mit Hilfe der Medien dem Kahlschlag am Kanal Einhalt gebot. Inzwischen haben Gutachten von Statikern belegt, dass die Sorge der Schifffahrer zumindest übertrieben war, und dass der Wurzelwuchs vielerorts sogar der Befestigung der Uferböschungen dient.

Doch nicht nur das Schifffahrtsamt, das aus Kostengründen lieber Beton als pflegeintensive Grünanlagen an den Ufern hätte, auch der Bezirk musste erst eines Besseren belehrt werden. In der ersten Planung hatte man noch vorgesehen, den »wilden Fußgängerweg« am Böcklerpark, der hinter dem historischen Geländer am Wasser entstanden war, zu »legalisieren«, um dort, wo die Wurzeln den Fahrradfahrern ohnehin das Leben schwer machten, einen offiziellen Uferweg zu gestalten. Diese Planung hätte bei den Anwohnern viel Zustimmung gefunden, doch hatte der Bezirk die Rechnung ohne den Denkmalschutz gemacht, der eine derartige Umwandlung untersagte. So kam es zur aktuellen Planung eines kombinierten Fahrrad- und Fußgängerweges hinter dem Geländer. Genau dort scheiden sich nun die Geister, auf einem Pappschild am Zaun steht: »Grün statt Panhoff.«

Dabei ist Hans Panhoff laut Parteibuch grün genug. Doch was der Baustadtrat bei der Abschlussveranstaltung des Mediationsverfahrens in der Gustav-Meyer-Schule auch sagt: Ständig fällt man ihm ins Wort. Er sagt: »Der Weg soll saniert werden, das haben Sie so gewollt, so steht das im Protokoll!« – »Das steht überhaupt nicht im Protokoll. In unserem Protokoll steht etwas ganz anderes!«, entgegnen die Anwohner. Panhoff sagt: »Die Anwohner befürchten, dass es durch das Aufstellen von Bänken zu weiteren Gruppenbildungen kommt.« – »Das haben wir so nie gesagt!«, sagen die Anwohner. »Die Anwohner befürchten, dass nach der Sanierung noch mehr Menschen ans Ufer kommen als jetzt schon. Das haben Umfragen eindeutig ergeben!« - »Das stimmt doch nicht!,« ruft eine Anwohnerin. »Es stimmt ja sowieso nie, was ich sage!«, sprach der beleidigte Stadtrat. Worauf ein Anwohner nur noch ein Wort hinzuzufügen brauchte: »Leider!«

»Die Leute kommen doch ans Ufer, weil hier noch ein paar alte Mauern und ein paar alte Bäume stehen. Weil sich hier ein Stück Natur behauptet hat!«, murmelt eine ältere Frau. »Ich komm aus´m Osten, mir machen die nix vor. Mir hat man 40 Jahre was vorgemacht. Der glaubt doch nicht im Ernst, den Platz mit Steinen und Beton attraktiver zu machen! Der will nur bauen. Der muss bauen, der ist doch Baustadtrat. Und wenn er was gebaut hat, dann bekommt er ein Bienchen ins Zeugnis, weil er so fleißig war. Und mehr Geld.«

Auch die Frau mit den silbernen Stiefeln und dem weißen Haar hat jetzt genug von dem Gerede, setzt sich ans Klavier und spielt ein bisschen. Bis die Mediatorin um Ruhe bittet und jemand der Pianistin die Hand auf die Schulter legt. Die Mediatorin will ein Schlusswort sprechen, ein Resümee aus den sechsjährigen Verhandlungen ziehen. Sie weiß, dass die meisten gegen sie sind, die Bürgerinitiative hat die Mehrheit im Schulsaal. Später, im Rathaus, wird es umgekehrt sein. Sie ist unsicher, »bitte helfen Sie mir, korrigieren Sie mich…«, und »vielleicht will ja auch Herr Panhoff noch ein abschließendes Wort...« Sie spricht von schwierigen Verhandlungen, einem Ergebnis, aber die Anwohner sehen kein Ergebnis, sie fordern einen »Neuanfang« , immer wieder sucht der Blick der Frau den Stadtrat, »vielleicht will ja auch der Herr Panhoff doch noch…« Dann sagt sie: »Ein Großteil der Anwesenden jedenfalls ist gegen die Planungen, das muss man festhalten.«

Dieser Satz gefiel dem Stadtrat nicht. Die Falten auf der Denkerstirn vertieften sich, das Kinn vergrub sich immer weiter in der hohlen Hand, und es klang schon ein wenig ungehalten, wenn der Stadtrat nun das Wort ergriff: »Also, jetzt haben Sie mich schon dreimal dazu aufgefordert, ein Schlusswort zu sprechen, dann will ich doch...«

Der Stadtrat räumte ein, dass es »eine lautstarke Fraktion gegeben hat, die alles so lassen wollte, wie es ist.« Doch eine Grundsatzdiskussion werde nicht mehr stattfinden. Die Sanierung des Uferbereichs sei beschlossene Sache. Es gehe nur noch um Details. Am Ende verkündete er: »Ich finde unsere Planung gut.« Und: »Ich werde an unserer Planung festhalten.«

Wenig später sah man einige der Bürger, wie sie auf drei DIN-A4-Blättern Kreuzchen machten: Es ging um die Fragen: 1. Welche Farbe soll der Belag des Radweges haben? 2. Welche Art von Bänken soll aufgestellt werden? 3. Sollen die neuen Parkplätze am Fraenkelufer längs oder quer angelegt werden? So hatte sich die Bürgerbeteiligung nach sechs langen Jahren auf drei Kreuzchen reduziert.

Darüber, ob diese vergessene, einmalige Stadt womöglich bald so aussehen würde wie jede andere deutsche Stadt, ob die geplanten Kreuzberger Ufer bald ähnlich aussehen könnten wie die Betonufer zwischen Hauptbahnhof und Friedrichstraße, auf denen Bäume und Sträucher nur noch als Reminiszenzen vorhanden sind, wurde nicht gesprochen. Keiner der Anwesenden störte sich an der sterilen Ästhetik der Computerzeichnungen und den sauberen Steinstufen, auf denen sich kein Mensch mehr die Hosen schmutzig machen kann. Niemand befürchtete den Verlust des alten Charmes, niemand beklagte, dass es gerade diese letzten Refugien der Natur sind, die alten Wurzeln am Ufer, nach denen der Städter eine legitime Sehnsucht hat, und die jetzt verschwinden sollen. Dieses Ufer ist, so wie es ist, einer der attraktivsten Orte der Stadt. Aber darüber sprach man nicht mehr. Es ging nur noch ums Detail. Das große Ganze hatten alle Beteiligten in diesem langen Streit längst aus den Augen verloren. •




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