Kreuzberger Chronik
November 2014 - Ausgabe 164

Herr D.

Der Herr D. und die Rollkoffer


linie

von Hans W. Korfmann

1pixgif
oder Warum der Herr D. doch kein echter Kreuzberger ist

Der Herr D. saß bei Kaisers, trank Kaffee und las Zeitung. Da stieß er auf den Namen Kieker. Den Namen hatte er in seinem Gedächtnis aufbewahrt, weil dieser Kieker, der heimliche Tourismussenator, sich gegen Wowereit und gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes ausgesprochen hatte. Das war dem Herrn D. sympathisch gewesen. Auch als Kieker stolz von 28 Millionen Übernachtungen im Jahr und 11 Millionen Gästen sprach, wurde der Mann ihm nicht wirklich unsympathisch. Jetzt aber, bei Kaisers in der Zeitung, lästerte er über die Kreuzberger Bürgermeisterin, die das Problem der Gentrifizierung mit einer »Touristisierung« gleichsetze. Da erst entschloss sich der Herr D., auch dem Herrn Kieker sein Vertrauen zu entziehen.

Mürrisch zog er seinen kleinen Rollkoffer mit den Wochenendeinkäufen über das Berliner Pflaster die Straße hinauf, als ihm drei Fußgänger entgegenkamen, die ins Gespräch vertieft die ganze Trottoirbreite in Anspruch nahmen. Der Herr D. hatte sich den jungen Männern schon bis auf drei Meter genähert, aber sie machten keine Anstalten, an der Seite oder in der Mitte ihrer Dreierkette einen Durchschlupf für ihn zu lassen.

»Könnt Ihr vielleicht mal Platz machen!«, sagte der Herr D.

»Verpiss dich, blöder Touri!«, entgegnete einer der drei.

»Ich wohne hier schon dreißig Jahre!«, rief der Herr D.

»In ner Ferienwohnung vielleicht!«

Der Herr D. stellte den Rollkoffer ab, die drei blieben stehen. »Ich bin weder Schwabe, noch Besitzer einer Eigentumswohnung und ich habe auch keine Kinderwagen. Ich habe Politologie studiert, bin Taxe gefahren, habe in einem Büro und als Hausmeister gearbeitet und bin im Mieterverein. Ich bin ein echter Kreuzberger. Aber Ihr benehmt euch ja spießiger als die Ossis! Und wie die Kinder im Sandkasten: Hier darf niemand rein! Das ist alles unsers! Als ob Ihr nicht auch schon mal in den Urlaub gefahren wäret, als ob Ihr nicht auch mal in Paris oder in London gewesen wäret, mit euern blöden Rucksäcken, in die Ihr so viel Zeugs reinpackt, als wolltet Ihr auf den Himalaya. Und mit euren blöden 20-Gang-Luxus-Fahrrädern mit Stoßdämpfern, die jede Bahn verstopfen.«

Die drei ließen ihn durch. Einige Meter weiter saßen ein paar Leute auf der Straße vor einem Café und sangen Happy Birthday. Ein älterer Herr fühlte sich gestört und beschimpfte die gut gelaunten Studenten als »verdammte Touristen«, und sie sollten sich in Acht nehmen, er sei ein echter Kreuzberger. Der Herr D. hatte eine gewisse Schwäche für schlecht gelaunte Berliner, aber es gab Momente - auch nach dreißig Jahren Berlin noch - da sehnte er sich fast wieder zurück nach Bonn. Er beschloss, fortan freundlicher zu Fremden zu sein, und den Kieker wieder auf die Liste seiner Vertrauten zu setzen. •


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg