Kreuzberger Chronik
Mai 2014 - Ausgabe 158

Essen, Trinken, Rauchen

Sas flaniert


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von Saskia Vogel

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Sas sitzt und leckt Eis. Weil die Eismanufaktur es auch den Ein-Kugel-Kunden erlaubt, auf den Stühlen in der Sonne Platz zu nehmen. Kein Wunder bei einem aktuellen Kugelpreis von 1,10 Euro. Aber Sas lässt sich die Laune so schnell nicht verderben. Es ist der erste warme Sonntag, ganz Kreuzberg jubiliert, ganz Kreuzberg flaniert, auch bei 20 Grad noch in wollenen Winterkleidern. Am schlimmsten trifft es die Kinder, die in ihren Schneeanzügen im windgeschützten Kinderwagen gegen den Keislaufkollaps kämpfen.

Sas flaniert von der »Manufaktur« ans andere Ende der Graefestraße. Mo´s kleiner Imbiss, der selbsternannte »King of Falafel«, hat natürlich- wie immer - geschlossen. Sas probiert es bei Falafel Oriental und erhält ein prall gefülltes Sandwich.

Sas sitzt und kaut Falafel. Da nimmt eine Zicke an Sas´ Seite Platz und beginnt ein aufgeregtes Gespräch mit ihrem Handy. Worte wie »Bundesbüro«, »Antrag« und »Klüngel-Kreis« fallen. Sas erfährt, dass »die Iris total alternativ erzogen« ist und jetzt sogar für ein Stipendium vorgeschlagen wurde. »Dabei muss die doch eigentlich erst mal lernen, um Positionen zu kämpfen«, meckert die Zicke. Die Zicke trägt einen formlosen Glitzerpulli und ihre Töle, die bisher friedlich unter dem Tisch hockte, darf jetzt in die Blumenrabatte springen. Der Hund fängt hektisch an zu graben, Sand fliegt auf, und Sas´ Sandwich schmeckt plötzlich irgendwie nach Blumenerde. Obendrein produziert der Hund jetzt einen Haufen. Sas wird laut: »Nimm´ Deinen Hund hier weg!« Die Zicke guckt dumm und sagt: »Hallo?« Sas wendet autoritäre Erziehungsmethoden an: »Ich esse gerade!« - »So was aber auch!«

Sas´ Handy piept: Ein Freund schreibt: »Bin in der Reisschale, komm´ doch mal rum.« Die Reisschale ist »the hottest place on earth«. Die Sonne knallt unbarhmerzig auf die Urbanstraße. Junge Neuköllner und Kreuzberger sitzen Rücken an Rücken an Biertischen. Sas´ Freund erzählt traurige Geschichten, während er Glutamat-Reis in sich hineinschaufelt. Von der kranken Mutter und der gescheiterten Liebe. Sas ist bedrückt. Schweigend hört sie zu und schlürft Ananassaft. Die Sonne weicht der Müdigkeit. Zum Trost will sie ihren Freund zu einem Eis einladen. Die beiden laufen zurück zur »Manufaktur«. Die Reihe der Wartenden ist inzwischen 15 Meter lang. Zu lang, also lieber zu Isabel an die Admiralbrücke. Hier ist es noch schlimmer, die Schlange windet sich bis zum Kanal. Es ist der ersten warme Tag im März. 20 Minuten stehen sie da, mal mit hängenden Köpfen, mal Arm in Arm. Sas erzählt von traumatischen Übertragungsstrukturen, der Kumpel müsste sich eigentlich mal setzen, so schlecht geht es ihm. Und es ist gar nicht mehr warm, sondern schon wieder winterlich kalt, als sie endlich an der Reihe sind. »Ja bitte?«, fragt die Eisverkäuferin und lächelt so süß wie Eiscreme. »Ein Kännchen Kaffee bitte«, sagt Sas. »Schön heiß, zum Aufwärmen.« •


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