Kreuzberger Chronik
März 2014 - Ausgabe 156

Essen, Trinken, Rauchen

Sas unter Zierfischen


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von Saskia Vogel

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Ein Restaurant heißt heutzutage »Foodstore« – und das »Sen Viet« ist der Foodstore der traurigen Fische. Denn in der mächtigen Mahagoni-Theke ist ein Aquarium voller trauriger Ziertierchen eingebaut. »Guten Tag!« Eine schmale Vietnamesin stellt sich dienstbeflissen vor Sas auf. »Kann man hier mit EC-Karte bezahlen?« -»Leider nein!« Sas trottet über den Marheinekeplatz, um ihre letzten zehn Euro zu ziehen. Vorbei an den Hintertüren der Markthalle, vor denen Verkäuferinnen rauchen und kräftig auf den Boden rotzen. »Boah ey, und dann habe ich dem gesagt ...«

Sas ist froh, wieder im »Sen Viet« zu sein. Statt der freundlichen Frau empfängt sie aber ein Kellner, der ein wenig weniger höflich ist. Pragmatisch weist er einen Tisch an. Sas bestellt sich das für Veggie-Mädchen »übliche« Tofu. Der tiefe Teller wird so schnell serviert, dass Sas kaum Zeit hat, den ganzen Kitsch zu bewundern. Es ist unglaublich: Auf dem Tisch kleine Geisha-Töpfchen mit Plastikblümchen, glänzend lackierte Skulpturen am Tresen, überall Lampions und Lichterketten. Von der Decke baumeln auch die einzigen fröhlichen Fische im Store: Glitzerstyroporkugeln mit pinkem Kussmund. Buddha mittenmang. Würde man den Foodstore verdunkeln und Bässe installieren, ließe sich eine Goa-Party feiern. Sas wünscht sich ein Kaleidoskop für das ganze psychedelische Ambiente. Ersatzweise schielt sie die voluminöse Fisch-Lampe unter der Decke an.

»Und dann habe ich in mich reingehorcht und festgestellt, der Mark, der Mark ist doch nichts für mich...«- Datingstau ist das Thema am nahen Nebentisch. Eine junge Hübsche berichtet ihrer Freundin von den ganzen »Typen«, da würde man ja gar nicht zum Studieren kommen. Die Kleine ist nicht kitschig, trotz Bonbonfarben und Lippenstift. Sie schüttelt ihre Lockenpracht und lächelt mit glänzendem Mondgesicht der mürrischen Sas ins verdrießliche Gesicht. Sas lächelt zurück. Unter freundlichen Menschen schmeckt selbst das Wasser süß, so lautet ein asiatisches Sprichwort.

Doch das Hauptgericht schmeckt trotzdem nicht. Wenn Sas das »Übliche« bestellt, dann erwartet sie würzigen Reis, sahnige Erdnusssoße und Speck auf den Hüften. Ihr Gericht aber ist mager und wässrig, und der Kellner sieht aus wie ein mürrischer Fisch. Dabei ist das Ambiente im »Sen Viet« noch so weihnachtlich! Zum Bezahlen muss Sas zur Kasse – »Hallo, die tài khon bitte!« – keiner hat Blickkontakt mit ihr aufgenommen. Dabei entdeckt sie noch mehr traurige Fische. In einer düsteren Ecke ist eine »Schöner-Wohnen«-Landschaft eingerichtet: Künstliche Wasserfälle vor der Dschungel-Fototapete, vietnamesische Tempelbauten aus Plastik, Kunststoffelefanten, Federvieh. Die Pumpanlagen laufen mitten durchs Wasser. Und ganz unten, in der letzten Ecke neben dem Abflussrohr, paddelt ein winziges Fischchen.•


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