Kreuzberger Chronik
Juni 2014 - Ausgabe 159

Reportagen, Gespräche, Interviews

Der Wasserturm - Erfolge gibt es.


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von Michael Unfried

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Der Wasserturm mit dem Deutsch-Türkischen-Kommunikationszentrum gehört zu den ältesten Jugendeinrichtungen Berlins. Wir sprachen mit den Mitarbeitern.

Hakan Aslan arbeitet seit 12 Jahren im Jugendzentrum Wasserturm, seit 1993 in der Jugendarbeit in Kreuzberg, zuerst als Student und Honorarkraft. Inzwischen ist er bei der Sportjugend angestellt.

Jochem Griese ist seit 30 Jahren im Wasserturm. Zusammen mit Sabine Blankenheim ist er der letzte kommunale Mitarbeiter in einer Kreuzberger Jugendeinrichtung.

Der Kreuzberger berichtete bereits 2002 und 2009 über die von Rationalisierungen bedrohte Jugendeinrichtung und porträtierte 2001 die Jugendlichen Serdar Coban und 2012 Challa und Kane.

Im Oktober 2009 sagte Monika Hermann, damals noch Jugendstadträtin: »Der Wasserturm bleibt. Wir werden dieses Jugendzentrum erhalten und die Jugendarbeit fortführen, wenn auch mit anderen Mitteln«. Welche anderen Mittel sind es geworden?

Griese: Das wissen wir immer noch nicht. Das ist ja eine Mischfinanzierung. Auf den ersten Blick hat sich unsere finanzielle Situation nur strukturell verändert. Die Jugendarbeit im Wasserturm wird jetzt zu 50 % vom Bezirk und zu 50% von einem freien Träger , der Sportjugend Berlin, getragen. Die Sportjugend allerdings wird wiederum vom Bezirk unterstützt, sodass der Verein real nur etwa 10% der anfallenden Kosten übernimmt.«

Aslan: »Real ist aber auch, dass das Geld im Grunde immer weniger wird, weil die laufenden Kosten sich von Jahr zu Jahr erhöhen, sodass wir mit unseren Geldern immer weniger arbeiten können.«

Sind auch die Kinder im Wasserturm weniger geworden?

Griese: »Auf keinen Fall. Es sind, wenn man die Projektgruppen der Schulen mitrechnet, im Schnitt 80 bis100 Jugendliche oder Kinder, die hier täglich ein- und ausgehen. Es sind insgesamt eher mehr geworden. Allerdings hatten wir in den letzten vier, fünf Jahren kaum noch Kinder im Grundschulalter – eine Folge der eingeführten Ganztagsschulen. Wenn die Kinder im Winter um vier Uhr aus der Schule kommen, ist es schon dunkel, und viele die Eltern behalten ihre Kinder dann lieber zuhause. Wir hatten ja eigentlich einen umfangreichen Kinderbereich mit Hausaufgabenbetreuung und anderen Angeboten.

Aslan: Da tat sich also plötzlich so ein Zeitfenster auf zwischen 14 und 16 Uhr, da war hier nicht mehr viel los. Aber nach und nach stellte sich heraus, dass die Schulen mit dem zusätzlichen Nachmittagsprogramm überfordert waren. Es mangelte an allem, Personal, Räumlichkeiten, Infrastruktur. Also suchten sie händeringend nach außerschulischen Kooperationspartnern im Stadtteil.

Griese: Die Angebote des Wasserturms, zum Beispiel die Siebdruckwerkstatt oder das Tonstudio, waren für die Schulen natürlich interessant. Und wir hatten schon seit langem guten Kontakt zur Lenau-Grundschule, da kommen inzwischen vier Klassen zu uns, denen bieten wir nachmittags T-Shirt- und Buchdrucken, Akrobatikkurse oder die Kreativwerkstatt an. Anfangs kamen auch andere Schulen, aber da waren die Schüler schon älter, und die sind natürlich auf dem Weg zum Wasserturm verloren gegangen und haben die Möglichkeit genutzt, ein bisschen Freizeit zu machen. Als die Schulen daraufhin verlangten, dass wir zu ihnen kommen, sind wir ausgestiegen.

Aslan: Da treffen natürlich zwei Philosophien aufeinander: Auf der einen Seite die Schule mit ihrem autoritären System, auf der anderen wir mit unseren freiwilligen Angeboten. Wir sind aber davon überzeugt, dass Lernen nur nachhaltig funktioniert, wenn es auch freiwillig stattfindet.

Griese: Außerdem ist in der Schule ja auch alles nur Theorie. Bei uns steht am Ende der Arbeit ein Produkt, ein Videoclip, ein Buch, ein T-Shirt, dass sie anziehen können. Und Arbeit macht eben einfach mehr Spaß, wenn man am Ende etwas in der Hand hält. Deshalb denken wir auch gerade darüber nach, einen eigenen Verlag aufzubauen und in unserer hauseigenen Druckerei Bücher von Jugendlichen für Jugendliche zu drucken.

2009 sprachen etwa 50 % der Jugendlichen im Turm Türkisch oder Arabisch. Hat sich das Verhältnis in den letzten Jahren verändert?

Griese: Wenn wir die Projekte und Kooperationen mit Schulen mitrechnen, hält sich das noch immer die Waage. Das Tonstudio zum Beispiel wird fast nur von Deutschen genutzt. Aber in der offenen Freizeit, abends im Café, da haben wir zu 90% die Klientel mit dem viel zitierten Migrationshintergrund. Die kommen ziellos und spontan, sie wissen, dass sie hier jemanden treffen, um zusammen abzuhängen.

Aslan: Aber sie wissen auch, dass sie hier einen Ansprechpartner haben und mit Problemen ankommen können, die sie weder in der Schule noch zu Hause loswerden könnten. Das ist extrem wichtig. Außerdem versuchen wir, aus ihnen herauszukitzeln, wofür sie sich eigentlich interessieren, um sie dann entsprechend zu fördern. Und es gab immer wieder Jugendliche, die später im Wasserturm-Café arbeiteten, eine Breakdancegruppe gründeten oder ein Video drehten.

Die beiden Rapper Challa und Kane waren ein Erfolg auch für den Wasserturm. Gab es noch andere solcher Geschichten?

Griese: Erfolgserlebnisse gibt es. Da ist zum Beispiel einer, den mussten wir noch auf den Arm nehmen, als er zu uns kam, und ihm Schwimmen beibringen. Er hatte einen wirklich schweren Start, die Akte beim Jugendamt wurde immer dicker. Jetzt arbeitet er im Soho-Hotel in Mitte. Da kommt kein normal Sterblicher rein, weder als Gast noch als Angestellter. Da steigen Leute wie Madonna oder Natalie Portman ab. Ohne den Wasserturm hätte er diese Chance nicht bekommen, zweimal wollten sie den Jungen ins Heim einweisen, und es war ein echt hartes Stück Arbeit, ihn da wieder raus zu holen.



Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters
Aslan: Aber das ist eben auch unser Ansatz. Da, wo die anderen aufgeben, zu sagen: Jetzt erst recht. Und jetzt streicht dieser Junge eben für Madonna die Laken glatt. Vielleicht ist das ja sein Start.



Griese: Vorhin war er wieder hier. Er suchte einen Facharzt, und weil er sich unsicher war, wen er fragen sollte, kam er erst mal zu uns. Aber das sind Einzelfälle, das muss man schon auch sagen.


Was bedeutet der Wasserturm für die Erwachsenen? Es gab früher Musikveranstaltungen, Theater, Diskussionen. Gibt es das heute noch?

Griese: Es gibt noch immer Veranstaltungen, die gut besucht sind. Der Salon Undine an jedem ersten Dienstag des Monats, oder die Turmmusik an jedem ersten Freitag. Die gibt es seit bald zwanzig Jahren! Aber früher war die Zusammenarbeit besser, man hat mehr zusammen gemacht als heute. Die Neukreuzberger haben ganz andere Ansprüche als wir. Die wollen hier wohnen und ihre Ruhe. Die rufen schon beim Ordnungsamt an, wenn wir ein Fest planen. Oder sie beschweren sich, weil ihnen der Ökomarkt am Chamissoplatz zu laut ist.

Wieviele Jugendeinrichtungen wie diese gibt es noch?

Griese: Den Wasserturm und den Drehpunkt an der Urbanstraße. Und einige kleinere Einrichtungen von privaten Trägern. Die ganzen legendären Einrichtungen wie das Statthaus Böcklerpark, die Feuerwache oder die Naunynritze sind alle an private Träger übergeben worden. Und diese neuen Träger brachten auch neue Konzepte mit, die mit dem Kreuzberger Rahmenkonzept, das in den Achtzigern einmal entwickelt wurde, nichts mehr zu tun hatten. Das gab Probleme, zumal auch die Mitarbeiter vom einen auf den anderen Tag ausgetauscht hat. Damit kamen auch die Jugendlichen nicht immer zurecht.

Vor fünf Jahren waren alle skeptisch, ob die Arbeit hier so erfolgreich fortgesetzt werden könnte. Haben sich die Befürchtungen bestätigt?

Aslan: Nein, ich glaube, wir haben gut weitergearbeitet. Unser interaktives Projekt, das wir jedes Jahr im Sommer anbieten, ist ein echter Erfolg geworden. Begonnen hatte es mit Leonardo da Vinci, den Wikingern, den Inkas. Jetzt rufen die Schulen schon lange vorher an und erkundigen sich, was auf dem Programm steht. In den letzten Jahren waren es Krimis, in Sommer ist es Sciencefiction: »Wer hats erfunden?« ist ein spektakuläres interaktives Mitmachtheater.

Griese: Aber nicht nur die Projekte funktionieren. In letzter Zeit kommen abends sogar Jugendliche aus dem Nachbarbezirk. Und da auch unter den Tempelhofern der eine oder andere schon aktenkundig ist, stand kürzlich wieder mal die Polizei hier im Hof und fragte: Wir wollten mal gucken, wo eigentlich unsere Jugendlichen sind!

Aslan: Und das ist doch schon ein ganz schöner Erfolg! •


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