Kreuzberger Chronik
Juli 2014 - Ausgabe 160

Geschäfte

Die Ladys von der Zossener Straße


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von Ina Winkler

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Frauen wollen schön sein. Auch in Kreuzberg. Doch so schön vielleicht auch wieder nicht.



Die Zossener Straße war schon damals, als die Bergmannstraße noch ein sagenhafter Boulevard voller unaufgeräumter Klamottenläden und Trödler war, ein bisschen herunter gekommener als die Nachbarstraßen. Auch heute noch erinnert sie mit dem Flachbau der Drogerie an ihrem südlichen Ende und den grauen 50er-Jahre-Fassaden zwischen den Gründerzeitbauten ein bisschen an die schmucklosen Nachkriegsjahre. Relikte, wie ein lichtscheuer Plattenladen mit Regalen voller CDs und Postern an der Wand, Klamottenstangen im Souterrain und ein Comicladen, sind die letzten Zeugen der Subkultur der Sechziger und Siebziger und einer Zeit, als Menschen voller Ideen und Enthusiasmus sich in Kreuzberger Souterrains und Erdgeschossen einrichteten.

Inzwischen sind Läden wie Space Hall oder Grober Unfug zur Seltenheit geworden, Namen wie Sexy Mama in der Arndtstraße, Madame und Eva in der Friesenstraße, und jetzt Lady M. in der Zossener Straße haben Konjunktur. Sie locken ihre Kundschaft nicht mit leuchtenden Neonröhren und selbst gemalten Buchstaben, sondern mit einem telekom-farbenen, perfektem Schriftzug, und mit Frauen wie Lady Dy oder Lady Gaga, Madame O oder Madame Bovary.

Die neuen Geschäftsfrauen in Kreuzberg wenden sich nicht an jene, die in Sandalen durch die Bergmannstraße laufen und bei den letzten Trödlern nach einer günstigen Kaffeekanne suchen. Sie haben jene Kreuzberger im Visier, die erst kürzlich in ihre frisch renovierten Wohnungen im Bergmannkiez eingezogen sind. Und die Sinn und Geld haben für gute Kleidung. Selbst für gute Unterkleidung. Deshalb hat Lady M. 6000 BHs auf Lager und Marken mit klingenden Namen wie Chantelle und Simone Perele aus Paris und Hanro aus der Schweiz. Das Schaufenster haben die Ladies aus Wilmersdorf nicht mit nackten Modepuppen unter feiner Spitze und Fotografien aus der Vogue gestaltet. Sie locken auch nicht mit möglichst wenig Stoff für möglichst viel Geld, sie haben sich bemüht, dem alternativen Image Kreuzbergs Rechnung zu tragen: Da stehen auf einem Foto statt der üblichen Models unschuldige Urlauberinnen in ganz normalen Badeanzügen, Bikinis oder Strandkleidern vor der Kulisse des Meeres. Badelatschen liegen im Schaufenster zwischen Muscheln und einem Holzschiffchen, es fehlen nur noch Strandkörbe, Seesterne und Pfeife rauchende Kapitäne, dann könnte man Lady M. für ein Mädchen von der Ostsee halten. Auch der Preis der hübschen, blau-weiß-gestreiften Strandtasche könnte durchaus noch aus Ostzeiten kommen.

Doch so unschuldig das Schaufenster von Lady M. auch sein mag: Natürlich fehlt es in der Zossener Straße nicht an verführerischer Spitze in grellem Purpur und tiefstem Schwarz, und nicht alles ist so günstig wie die Strandtasche oder der schlichte schwarze Body für 111 Euro. Oder der weinrote BH für 89 oder der Slip für 34 Euro und jeweils 99 Cent. Oder dieser vielleicht vier Gramm leichte Hauch eines Slips aus weißer Spitze, der im Eröffnungsangebot nicht mehr die 35, sondern nur noch 17 Euro kostet. Selbstverständlich kann eine Kundin auch in der Zossener Straße »zur perfekten Inszenierung ihres Körpers« ein kleines Vermögen über den Tresen schieben. Schließlich geht es nicht um ein paar Socken, es geht um »das Gefühl von kühler Seide und zarter Spitze«, die ganze »Welt der Sinnlichkeit«.

Foto: Dieter Peters
Immer wieder kommen die Dessousspezialistinnen auf die besonders aufregenden Momente im Leben zu sprechen – für die keine Frau ohne die passende Wäsche auskommen kann. Im Laden selbst aber ist alles so hübsch nach Farben und Mustern sortiert wie im Kinderzimmer. Da hängen sie an den Kleiderständern brav nebenein-ander, dreißig, vierzig mal die gleichen roten Hemdchen oder Höschen. In den Regalen stapeln sich die blauen Körbchen mit den weißen Punkten und die weißen Körbchen mit den roten Pünktchen in den Größen 65 C bis 105 G aufeinander. »Wo findet man so etwas noch, 76 verschiedene Größen an BHs?«, sagt Linda Neumann. »Sogar RTL hat schon über uns berichtet«. Linda Neumann ist die »würdige, sorgfältig ausgewählte« Nachfolgerin von Heide Meier, die das Geschäft mit den verführerischen Stoffen 1972 gründete. Sie hat den »gleichen professionellen Blick« wie die Gründerin und das Talent, »das Schöne in jeder Frau zu entdecken.«

So schwärmen die Ladies von Lady M. Auch bei ihrem Internet-auftritt schwärmen sie von »Taubenblau und Mitternachtsgrau, Sisal und Savanne«, den neuen Farben in »Berlins exklusivstem Lingeriegeschäft«, das »seine Kunden nach dem Facelift mit warmen« Farben, »handschmeichelnden Kieselsteinen« und einem »vom salzigen Meerwasser verblichenen Holztisch« verwöhnen möchte. Man spricht von »kuscheligen Accessoires«, »samtigen Hausballerinas«, und »streichelzarten Strümpfen«. Die Ladies geben zu: »Wir lieben Frauen« und »wir leben für schöne Wäsche«.

Kein Wunder, dass die Schauspielerin Angelika Milster eines Tages in dem kleinen Wäschegeschäft in Wilmersdorf auftauchte und beim Sonnenbad auf dem ZDF-Traumschiff immer einen Badeanzug der Ladies trug. Den alternativen Kreuzbergern, die sich statt der beliebten Seifenoper eher Filme in vergammelten Off-Kinos ansahen, dürfte der klammheimliche Aufstieg des Dessousgeschäftes in Wilmersdorf wahrscheinlich entgangen sein. Doch nun sind die Ladies aus Wilmersdorf bis in die Zossener Straße vorgedrungen. Und so hat die Gegenwart die Kreuzberger nun doch noch eingeholt. •




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