Kreuzberger Chronik
April 2014 - Ausgabe 157

Kreuzberger
Thomas Lefeber

Die Welt ist eine Scheibe


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von Hans W. Korfmann

Titelfoto: Wolfgang Krolow

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Nach Kreuzberg kam er eigentlich nur zum Flippern. »Gottlieb oder so ähnlich« hieß die Kneipe in der Yorckstraße. Auch im adretten Mariendorf standen noch Ruinen, »aber Kreuzberg, an der Mauer, das war noch mal was anderes«.

Also blieb er noch ein paar Jahre in Mariendorf, genoss das Leben als echter Berliner an einer Universität voller Wessis -» da musste ich ja schon Autogramme geben!« - und machte sich erst im 6. Semester auf die Suche nach einer eigenen Wohnung. Er fand sie in der Fichtestraße, einem der so genannten Kauserhäuser. Kauser hatte ganze Viertel aufgekauft »und kümmerte sich um nichts«, außer um die Einnahme der Mieten. Der Student war gerade dabei, am Kudamm den Mietvertrag zu unterschreiben, als ein aufgeregter Mann hereinstürmte: Ein Mieter aus der Fichtestraße Nr. 32, der berichtete, wie er im Hof von den Ratten angefallen worden war. Der Mann gestikulierte wild und deutete auf seine Brust: »Hier, hier sind se gewesen! Sie müssen was tun, der ganze Hof ist voll damit.« - Thomas Lefeber betrachtete nachdenklich die Ziffer 32 auf seinem Mietvertrag. Dann unterschrieb er. »Monatelang bin ich mit gemischten Gefühlen durch den Hof gegangen. Aber im Grunde war es ok, 40 Quadratmeter für 85 Mark. Und zwar mit Innentoilette, das war schon was in Berlin, 1975!«

Eigentlich war es ein Glück. Ein Glück war es auch, dass sein Bruder nie Gitarre spielte. Also spielte Thomas auf der Gitarre des Bruders, und Thomas nahm sie auch mit auf die Klassenfahrt, wo er »alle im Bus mit den einzigen drei Akkorden nervte«, die er spielen konnte, und die er auch immer wieder gerne spielte: »Ich glaub, das war John Mayall, Room to move, ein echter Hit: ddd ddddd dd dd d....«

Eines Tages aber spielte er mit seiner »All Blues Band« im Yorckschlösschen und im Radio. Und auch, wenn kein Profigitarrist aus ihm wurde, so kann Lefeber sein musikalisch geschultes Gehör noch immer gebrauchen, wenn die Leute in seinem Laden stehen, ihm irgendeine Melodie vorsingen und dann fragen: Haben Sie die Platte? Es gibt viele Leute, die in seinen kleinen Plattenladen in der Bergmannstraße kommen, ohne Interpreten oder Titel zu kennen. Manchmal haben sie Glück, denn logo: Der Chef kennt sich aus mit Platten.

Spätestens seit 1978, seiner USA-Reise. Während seine Freunde durch Bars und Kneipen zogen, von New York bis San Francisco, durchstöberte er die Plattenläden, von New York bis San Francisco. Das war mehr als nur ein Hobby, schon in Berlin hatte er damit angefangen, sich nach günstigen Platten umzusehen, um sie dann auf dem Flohmarkt am Klausenerplatz oder am »Marktag im Beggars Banquet«, wo das Bier nur eine Mark kostete und der Laden richtig voll war, zur Finanzierung des Studentendaseins wieder zu verkaufen.

Jetzt stand er im legendären »Rasputin« in San Francisco und hielt eine Platte von Birth Control in der Hand. 2 Dollar! Lefeber wusste, dass die Scheibe in Berlin 100 Mark wert war. Ebenso wie wie »White Bird« von It´s a Beautiful Day, oder die alten Platten der Alman Brothers, von denen er sowieso nie genug haben konnte. Es war dunkel, als der Berliner den Laden mit einem Stapel Platten wieder verließ. Und das war der Beginn der »America-Connection«. Immer wieder ließ er sich Platten aus Amerika schicken, Springsteen, Dylan, Lennon, mit denen er dann über Flohmärkte und durch Kneipen zog. Bis er 1984 einen rumänischen Journalisten traf, der unbedingt seine Privatsammlung verkaufen wollte: 10.000 LPs, Wert 50.000 Mark. Da kam Lutz Mittenzwei ins Spiel, ein alter Freund und Kollege, der in der Nostitzstraße wohnte und sagte: »Ich kenne da vielleicht einen Käufer.«

Die Provision des Hamburger Sammlers war der Anfang des Plattenladens Logo -»An- und Verkauf von Schallplatten«. 1984 mieteten die zwei Freunde für 500 Mark die Ladenwohnung im Erdgeschoss der Bergmannstraße 10, einem Haus, zu dessen Eigentümerin Lutz´ Mutter gute Kontakte hatte. Die Kundschaft im Laden bestand aus jungen Leuten auf Schnäppchenjagd, neue Platten gab es eigentlich nie, und groß war das Angebot auch nicht: »Wir hatten am Anfang 120 LPs und 180 Singles.« Jetzt sind es 10.000 LPs und 20.000 CDs.

Das Angebot blieb bescheiden und wuchs erst, als in der Nachbarschaft ein Plattenladen namens MOT aufgab und seine Restposten an Lefeber verkaufte. Bei der Übergabe fragte der Chef von Musik On Top, was er zahle, wenn er ihm für die Vermittlung seiner »Holland-Connection« gebe. Schon Lefebers Großvater, ein Nachfahr hugenottischer Einwanderer namens Lefevre, war ein geschickter Kaufmann gewesen. •
Mit dem Bundespräsidenten Foto: Privat
»Von ihm hab ich die Geschäftstüchtigkeit geerbt.« Schon als der kleine Thomas von der Ludwig-Heck-Schule beim Berliner Presseball als Sarottimohr verkleidet dem Bundespräsidenten gegenüberstand, hielt er die Hand auf. »Da bekommst du fünf Mark, die bekommt man immer!« hatte der Klassenlehrer ihm versprochen. Also lächelte Thomas, aber Lübke machte keinerlei Anstalten, den Fünfer rüber zu reichen. Also streckte Thomas die Hand aus, um den Bundespräsidenten an seine Pflicht zu erinnern. »Aber der ging einfach weiter.«

Später liefen die Geschäfte besser. Das CD-Zeitalter war angebrochen, der Wert der Vinylpressungen stieg ständig, und die »Holland-Connection« war ein wahrer Segen. Da »gab es ganze Lagerhallen voller Restposten. Ich bin mit dem Nachtzug hingefahren, hab ausgesucht, und am nächsten Morgen wieder zurück. Später hatten die dann sogar ein Faxgerät.« Lefeber, könnten Neider sagen, hatte das Glück auf seiner Seite. Auch der Fall der Mauer war ein Glück. Aber man musste es auch beim Schopf packen. Die Gelegenheit wahrnehmen. Lefeber hat Gelegenheiten selten verpasst.

Auch den verkaufsoffenen Sonntag im November 1989, eine Woche nach dem Mauersturz, hat er nicht verpasst. Da kamen die Brüder und Schwestern aus dem Osten scharenweise in den Laden, um Platten zu kaufen. Und dann stand da plötzlich einer vor der Kasse mit einem ganzen Stapel Zappa-Platten, für »mindestens 300 Mark! Das ist ja ne ganze Menge!«, sprach der solidarische Plattenverkäufer. »Was soll ich denn da jetzt für einen Rabatt geben?« - »Brauchste nich, bin keen Ossi!«, antwortete der andere. Und kam nie wieder.

Es gibt allerdings viele Sammler, die wieder kommen. Seit vielen Jahren. Manchmal täglich. »Die müssen irgendwo gigantische Lager haben.« Lefeber hat nur ein kleines Lager in der Nostitzstraße, im Souterrain. Zuhause hat er keine Platten. »Ich höre da auch keine Musik mehr. Nur die Gitarre hängt noch an der Wand. Aber wenn in der Bergmann im Laden keine Musik mehr läuft, dann werde ich nervös!«

Sonst bringt ihn so schnell nichts aus der Ruhe. Auch wenn eine Menge merkwürdiger Leute in den Laden kommen. Aber einem, der als echter Berliner schon Autogramme geben musste, macht das nichts aus. Ein echter Berliner ist Kosmopolit, der trifft jeden Ton. Wenn einer kommt und nach einem Stück von den Beatles fragt, das »Hey Jude« oder so heißen soll - wobei er das »J« ausspricht, als schriebe man das Jahr 1932 - dann lässt ihn das kalt. Dann verzieht er kaum den Mundwinkel und erklärt dem Kunden in aller Ruhe, wie der Titel korrekt ausgesprochen wird. Vergessen hat er diesen Moment trotzdem nie.

Es gibt viele solche unvergesslichen Momente. Eines Tages, er war noch ein ziemlich junger Plattenverkäufer, kam Nina Hagen her-ein, deutete mit ausgestrecktem Arm und spitzem Finger auf seine Brust und sagte: »Du! Du, die Platte von Bob Marley da will ich haben!« Da richtete auch Thomas seinen Finger auf ihre Brust und sagte: »Du! Du, und ich bekomm von dir jetzt genau 9 Mark!«

Auch Tarantino war schon im Logo. Thomas erzählte, dass eine seiner Lieblings-CDs die Filmmusik aus »Curdled« sei. »Das ist die einzige CD, die ich selbst nicht hab!«, sagte Tarantino. »Dafür hab ich den Film nie gesehen!«, sagte Lefeber. Also verabredeten sie einen Tausch, Film gegen CD. Der einzige Kunde, der Lefeber wirklich einmal sprachlos machte, war Uwe. Uwe kam seit den Achtzigerjahren in seinen Laden, sagte längst Thomas zu Thomas, und Thomas sagte Uwe zu Uwe. Bis Uwe eines Tages – »nach zwanzig Jahren!« - plötzlich auffuhr und sagte: »Verdammt, ich heiß´ gar nicht Uwe. Ick heiß´ Udo!«

Seit dreißig Jahren verkauft Lefeber jetzt Schallplatten in der Bergmannstraße. Zog über Flohmärkte, fuhr nach Amerika und nach Holland, schleppte immer wieder Kisten voller schwarzer Scheiben aus dem vierten Stock der Kreuzberger Hinterhäuser, bis der Rücken schmerzte. Seit Jahren macht er »Bauch-Beine-Po« beim TiB am Columbiadamm, »ich bin so ziemlich der einzige Mann da, aber egal, es hilft!« Lefeber ist Berliner, ihn bringt das nicht aus der Ruhe.

Nicht einmal dieser Typ mit dem Gel im Haar, der eines Tages in der Nummer 10 auftauchte. Es war Antipathie auf den ersten Blick. Alles schien für alle Zeiten geregelt zu sein, die Welt war eine Scheibe, der kleine Laden in der Bergmannstraße der sichere Fixpunkt, um den sich alles drehte. Die Mutter seines Freundes Lutz war inzwischen die Eigentümerin des Hauses und hatte es Lutz geschenkt. Nie hätte Lefeber gedacht, einmal hier ausziehen zu müssen. Aber dann, 2003, verkaufte Lutz Mittenzwei das Haus. An diesen glattgebügelten Anwalt aus Westdeutschland. Mit Gel im Haar. Einen Moment sah es aus, als könne man sich einigen. Doch ein halbes Jahr später sagte der Anwalt zum Plattenverkäufer: »Es gibt da leider auch noch andere Bewerber...« – Lefeber war nicht sprachlos. Lefeber ist Berliner: Er sagte: »Ach, wat für´n Wunder!« Und sah sich nach Alternativen um.

Aber so ganz ließ ihn das Glück auch jetzt nicht im Stich. Er wird weiter Platten verkaufen, gleich um die Ecke, in der Nostitzstraße 32, wo er bisher im Souterrain sein Lager hatte, und wo fast den ganzen Tag über die Sonne scheint. Es geht weiter. Die Welt ist eben eine Scheibe, die dreht sich, immer weiter. Das weiß Lefeber schon lange.

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