Kreuzberger Chronik
April 2012 - Ausgabe 136

Geschäfte

Rote Lippen in der Oranienstraße


linie

von Saskia Vogel

1pixgif
Zuerst verkauften sie Bier im Anton. Jetzt, wo sie und ihre Kunden erste Falten zeigen, verkaufen sie Kosmetik

Diese beiden Frauen sind besonders: »Isi, such´ doch gefälligst mal was von der Karte aus!«, sagt Uschi. Im ehemaligen Anton, das heute ein Mexiko-Restaurant ist, bestellt Isi jetzt eine Portion Käse-Nachos. Und weil Kalorienzählen selbst für Naturkosmetikerinnen öde ist, bestellt Uschi sofort noch eine Portion hinterher. Die »Fastfood-Hautsünden« kann man ja morgen mit Rosencreme wegmassieren. Isabel futtert unentwegt, während sie von jenem denkwürdigen Tag erzählt, an dem Uschi – »Juhu, hier bin ich« – plötzlich in ihren Naturkosmetikladen kam, worauf Isabel »einfach mal so« fragte: »Sag´ mal Uschi, willste nicht meine Geschäftspartnerin werden?« Das war irgendwie komisch, denn eigentlich war sie »mit Uschi damals gar nicht so furchtbar dicke.« Aber das störte die Isi nicht.

Isabel saß mit Anfang 30 nämlich gerade irgendwie »in der Patsche«. Kaum hatte sie - »geplant war das natürlich nicht!« - den Kosmetikladen in der Oranienstraße von »der Gabi aus der Anton-Kneipe« übernommen, wurde sie »pünktlich« schwanger. Und musste den Kosmetikladen nun mit Sohnemännchen am Rockzipfel schmeißen. Das hätte sie wahrscheinlich auch noch »auf die Reihe bekommen«, aber eine Hilfe wäre jetzt nicht schlecht gewesen. Und da kam Uschi. Die sich in Buchführung auskannte und überhaupt »´ne Anpackerin« war. Deshalb fragte Isi: »Willste nicht?« Und Uschi sagte: »Ja, ich will«. Inzwischen sind die Roten Lippen in Kreuzberg »ne´ richtige Institution, stimmt´s Isi?« »Stimmt, Uschi!« Kicheranfall, Nacho-Gemampfe.

Zuerst warfen die beiden das rote Plüschsofa in Lippen-Form - »Versandhandelschick!« - aus dem Laden und zogen mit ihren Kosmetiktiegeln von der Dresdener Straße in die Oranienstraße. Zu der Laufkundschaft. Dort wurden die beiden mit ihren Dr. Hauschka Cremes von der damaligen »Öko- und Hirseszene« sofort begeistert aufgenommen. Eigentlich mag Uschi Yoga, Öko und Biokraftfutter, aber sie
hat sich immer eine ironische Distanz zu diesem ganzen Hirsebrei bewahrt. Sieht man sie vor sich, die Kleidung edel schwarz, die Haare gescheitelt, dann kann man sich kaum vorstellen, dass sie einst mit blondierter Tolle und ohne irgendwelche langfristigen Pläne im Anton kellnerte, wo man stundenlang herumsitzen konnte, ohne irgendwas zu bestellen. Das ist heute anders, nur das Mobilar ist noch das alte. »Damals war alles unprätentiös, der Juwelier an der Ecke wurde ständig überfallen und den schicken Edelrestaurants Schubkarren voller Mist vor die Türen gekippt, bis sie aufgaben. Kübelaktion nannten sie das. Verglichen mit damals ist es eigentlich ziemlich langweilig geworden in der O-Straße...«

Bevor Uschi in den Kosmetikladen einzog, lebte sie »mit irgendwelchen Jungs« in der Adalbertstraße in einem Haus, das ihr mit seinem »kollektiven Pennraum« vorkam wie ein »Auffanglager«. Doch vor dem 30. Geburtstag hatte Uschi ohnehin nicht vor, seriös zu werden. Isabel dagegen war schon damals etwas anders. Als Isabel im Anton damit anfing, die Nächte durchzuackern, war sie plötzlich mit einer anderen Welt konfrontiert. Behauptet jedenfalls Uschi. Der Wendepunkt kam, als Isabel eines Nachts mit den Typen aus dem Anton mal so richtig Gas gab und bis in den Morgen hinein feierte. »Ab dann war alles anders, ich war die Heldin.« Das »Anton« im Mauerbrachland wurde zu ihrem Lebensmittelpunkt. »Alle Beziehungen wurden hier geknüpft, ich habe den Kiez praktisch gar nicht mehr verlassen.« Aber dass sie einmal mit Uschi gemeinsam einen Naturkosmetikladen besitzen würde – daran hatte sie damals trotzdem nicht gedacht.

So aber wurden die Roten Lippen in der Oranienstraße irgendwie ihr gemeinsames Lebenswerk. Isi hat das »bessere Händchen für die Deko«, und Uschi ist »die Praktischere von beiden«. Das passt, noch nie, so sagen zumindest Uschi und Isi, haben sie sich »ernsthaft gezofft«. Auch sonst ist das Arbeitsleben in dem alternativen Kosmetikladen eher angenehm: 25-Stunden-Woche, eine gewisse Autonomie, nette Mitarbeiterinnen, und ein duftender Arbeitsplatz zwischen Rosencreme und Zimtseife. Und dann ist da noch das kleine Schmuckkästchen im Hinterhof, die »Remise«, in der sich die treuen Kundinnen von Uschi und Isi mit Cremes und Ölen und Wässerchen und
sanften Massagen verwöhnen lassen. Dass heutzutage in jedem Supermarkt neben Bioäpfeln und Biomüsli Regale mit Biokosmetik stehen, stört die Frauen nicht. Sie haben
ihre Stammkundschaft, genau wie damals im Anton.

Sie sind eben etwas Besonderes – ganz egal, was sie machen. Ob sie Nachos essen, im Anton oder in ihrem Kosmetikgeschäft Wässerchen verkaufen. •

zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg