Kreuzberger Chronik
November 2011 - Ausgabe 132

Reportagen, Gespräche, Interviews

Kahlschlag Kreuzberg (3):
Baugrube Möckernkiez



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von Andreas Lang

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Foto: Dieter Peters
Vor wenigen Wochen wurde zwischen Landwehrkanal und den Yorckbrücken der Park am Gleisdreieck eröffnet. Er ist vor allem den jahrelangen Bemühungen von Bürgerinitiativen zu verdanken, die sich seit den Siebzigerjahren um den Erhalt des innerstädtischen Biotops bemühten und eine Bebauung des ehemaligen Reichsbahngeländes verhinderten.

Doch wo immer dem Bürger in der Stadt ein Stück gemeinnütziger Grünfläche erhalten bleibt, steigen die angrenzenden Immobilien im Wert. Dachgeschosse mit Blick auf den Park werden eingerichtet, es wird angebaut und aufgestockt. Weil jedoch der Raum in den Straßen begrenzt ist, entstehen nicht selten auf den grünen Rändern der Parkanlagen ganze Viertel. So auch auf der Freifläche des Gleisdreiecks: Allein zwischen der Möckernstraße und den ersten Säulen der alten Eisenbahnbrücken werden 3 Hektar Land mit einer neuen Siedlung bebaut. Damit der Protest nicht all zu groß wird, hat man das Gelände zum Schnäppchenpreis von 8 Millionen Euro nicht einem professionellen Bauunternehmer, sondern einer Genossenschaft vermacht. Dass der Mann, der die Idee eines gemeinschaftlichen und alternativen Häuserbaus vorantrieb, aus den Reihen der SPD kam, muss kein Indiz dafür sein, dass sich die Politik hier durchs Hintertürchen in des Volkes Angelegenheiten einmischt. Ulrich Haneke und Baugenossen meinen es ernst: Das Projekt an der Möckernstraße ist – im Gegensatz zu der Baustelle an der Schwiebusser Straße oder der Ziegert-Immobilie an der Methfesselstraße die einzige tatsächlich noch genossenschaftlich organisierte Großbaugruppe.

Dass die Quadratmeterpreise denen herkömmlicher Baugruppen um nichts nachstehen, und dass auch die Bareinlage von 30% der Gesamtkosten jener kommerziellen Baugruppen gleichkommt, und dass die monatlichen Wohnkosten für die Genossenschaftler mit voraussichtlich über 8 Euro bereits jenseits des Mietspiegels liegen, das alles ist für Ulrich Haneke kein Argument. Schon im letzten Jahr hat er auf einer Informationsveranstaltung darauf hingewiesen, dass beide Modelle schon allein deshalb nicht vergleichbar sind, weil an der Möckernstraße die Genossenschaft für die restlichen 70 Prozent die Verantwortung übernimmt – unterstützt durch die GLS-Bank, die sich die Finanzierung alternativer und ökologischer Projekte auf die grünen Fahnen geschrieben hat, womit sie zumindest gegenwärtig besser fährt als die Deutsche Bank. In einer Baugenossenschaft, sagt Haneke, haben auch diejenigen, die keine Privatkredite bekommen können, die Chance auf eine Wohnung auf Lebenszeit. Hartz IV-Empfängern allerdings wird der Einzug ins neue Viertel wahrscheinlich weiterhin verwehrt bleiben, denn schon die 30% der Gesamtkosten gehen in der Regel weit über ihre Verhältnisse.

Foto: Dieter Peters
Dennoch träumen die alternativen Stadtplaner von einer sozialen Durchmischung, werben mit »Gemeinschaftlichem Leben im Kiez« ohne Barrieren und Grenzen, »nachbarschaftlich und unabhängig von den Einkommen und den Lebensumständen«. Geplant sind eine Kiezkantine, Versammlungs- und Begegnungsräume, auch das Gewerbe an der Hauptstraße soll politisch korrekt und gemeinnützig sein – an Dritte-Welt-Läden ist gedacht – und das Hotel soll Arbeitsplätze für Behinderte schaffen. Das neue Viertel soll weitgehend autofrei, »bunt und vielfältig« sein.

Erfüllen sich die Visionen, dann entsteht am Park eine Traumstadt. Die zehn Wohnhäuser werden Dächer aus Sonnenpanelen und Dachgärten tragen und Wände aus Pflanzen und Fenstern haben. Der Möckernkiez ist ein ökologischer Superlativ, die FAZ schrieb sogar schon von der größten »Passivhaussiedlung überhaupt«. Ein Verbrauch von nur noch 1,5 Liter Heizöl pro Quadratmeter im Jahr und eine Reduzierung der jährlichen Heizkosten bei einer 80 Quadratmeterwohnung auf einen Betrag von 100 Euro sind ernsthaft anvisierte Ziele.

An dem Eindruck einer Großbaustelle ändert allerdings auch der alternative Ansatz wenig. Die junge Mutter, die auf einem der Lehmhügel des Kinderspielplatzes steht und ihrem Kind zuschaut, das mit einer Schaufel das Gelände umzugraben versucht, würde den Zaun vor ihr am liebsten einreißen. »Schauen Sie sich doch dieses Paradies dort an! Diese riesigen Bäume, diesen Dschungel da. Das ist ein natürliches Kleinod, meine Tochter hat schon das Loch im Zaun gesucht.«

Doch nach dem Willen der alternativen Baumeister entstehen im Großstadtdschungel nun knapp 400 Wohnungen für etwa 800 Einwohner, mit eigenem Jugendzentrum, eigenem Kraftwerk, eigenem Eingangsbereich und wahrscheinlich eigenem Zaun. In der Nachbarschaft hat man gehört, dass der ursprünglich geplante Durchgang von der Yorckstraße zum Park in den aktuellen Planungen nicht mehr zu sehen sei. Dafür allerdings hätten die Bewohner des neuen Kiezes einen Privateingang. Ganz so wie im Viktoriaquartier der Baywobau auf dem Kreuzberg: Auch dort haben die Bewohner einen Schlüssel für die Gartentürchen zum Park.

All das fördert Misstrauen. Auch die hübsche Planung einer lockeren Bebauung durch ein Architekturbüro mit dem romantischen Namen »Baufrösche« ändert nichts daran, dass es sich hier um eine Großbaustelle handelt: Die Gesamtkosten werden auf 72 Millionen Euro geschätzt. Das ökologische Stadtquartier ist keine Spielwiese, und dass es sich bei dem Projekt nicht um die altmodische Träumerei vom besseren Leben handelt, sondern um ein professionelles Unternehmen, garantiert schon die Projektsteuerung durch Drees & Sommer. Die Profis haben Erfahrung mit Großbaustellen. Das Büro koordinierte die Arbeiten der seinerzeit größten europäischen Baugrube: dem Potsdamer Platz.

Kinderspielplätze sind nichts für Firmen wie Drees & Sommer, und wie die Firma die verschiedenen Interessen der vielen mitspracheberechtigten Genossenschaftler und der fünf verschiedenen Architekturbüros miteinander verbinden will, ist skeptischeren Fachleuten ein Rätsel. »Drees & Sommer waren immer hart im Verhandeln. Was nicht im Vertrag stand, wurde nicht bezahlt – unabhängig davon, ob die Maßnahme sinnvoll oder vielleicht sogar dringend notwendig war«, erinnert sich ein Kollege, der noch heute am Kanzleramt baut. Wie das Büro mit den Alternativen klarkommt, wird sich noch zeigen. »Eigentlich ist der Ärger vorprogrammiert. Wenn da auch nur ein Architekt dabei ist, der sich gerade selbst verwirklichen muss, dann gibt es nur noch Stress.«

Vielleicht hat es den auch schon gegeben. Zumindest sind von jenen, die anfangs euphorisch einstiegen und dazu beitrugen, die 8 Millionen Euro für den Baugrund auf den Tisch zu legen, einige bereits wieder ausgestiegen. Die Einschränkungen des Mitspracherechts und der eigenen Gestaltungsmöglichkeit bei einem derartigen Projekt waren für manche zu groß. Andere sind erst gar nicht eingestiegen. Als die Genossenschaft in der Anfangsphase um Mitglieder warb, wandte sie sich auch an die Genossenschaft Autofrei Wohnen Berlin, die bereits seit Jahren auf der Suche nach einem Baugrund für ihre 60 Genossen ist. Die Idee war gut: »Warum sollten wir das nicht zusammen machen?« Der Einstieg scheiterte daran, dass die Autofreien als Genossenschaft lediglich eine einzige Stimme für ihre sechzig Genossen erhalten hätte. »Es muss aber gleiches Recht für alle gelten«, sagt Norbert Rheinlaender, »eine Stimme pro Familie.« Pläne, die beiden Genossenschaften mit gleichem Stimmrecht unter einem Dach zu vereinen, scheiterten. Nun haben einige Genossen das Lager gewechselt.

Es wird nicht leicht sein, all die verschiedenen Interessen zu bündeln. Um einem totalen Chaos aus dem Weg zu gehen, haben die Projektleiter deshalb eine Zeitschiene entworfen. Die Mitsprache der Genossenschaftler ist zeitlich begrenzt, für jeden Planungsschritt gibt es ein Zeitfenster, in dem debattiert und konstruiert werden kann. Dann aber wird gebaut, und wer zu spät kommt, muss nehmen, was fertig ist. So wie auf jeder anderen Baustelle auch.

Und die Zeit für eine Mitsprache wird knapp. Schon im kommenden Jahr sollen die Bagger rollen. Dann werden wohl auch das Kopfsteinpflaster und die Laderampe vor dem alten Zollpackhof an der Yorckstraße abgerissen werden. Heute ist ein Möbelhaus in den alten Lagerhallen des Bahnhofs, großflächig wirbt eine Frau auf einem Sofa für Wohnen im Grünen. Das ist es, was noch immer alle eint, die hier einziehen wollen. Dass das Grün auf der anderen Seite immer weniger wird, liegt in der Natur des Bauens. •


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