Kreuzberger Chronik
Mai 2011 - Ausgabe 127

Herr D.

Der Herr D. und die Investoren


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von Hans W. Korfmann

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Als der Herr D. mit den anderen Bonnern in die neue Hauptstadt zog, da empfand er das babylonische Sprachgewirr als weltstädtisch. Es beeindruckte ihn, statt des kölschen Dialektes nun Spanisch, Türkisch oder Italienisch zu hören. Auch das Haus, in das er einzog, war international besetzt, die Geräuschkulisse des Hofs mit ihrem Gelächter, den alltäglichen Streitereien, den quirligen Radioprogrammen hatte etwas Südländisches.

Inzwischen hörte er nur noch Englisch auf dem Hof. Englisch von Menschen in Anzügen, die die Fassaden begutachteten. »Kürzlich standen sie bei mir vor der Tür«, erzählte Frau Goldstein aus dem zweiten Stock. »Sie kämen von der Hausverwaltung, wegen der Fenster. Jeden Raum inspizierten sie, nur nicht die Fenster. Amis!«

»Bei mir hat´s auch geklingelt«, sagte der Berger aus dem Ersten. »Ich hab´ sie rein gelassen, aber ich hab´ gefragt, worum es geht. Umfinanzierung nennen sie das!« -»Umfinanzierung!«, höhnte die Goldstein. »Umsiedlung meinen die! Und woher kamen die?« - »Israel«, sagte Berger. »Die ganze Straße ist schon verkauft«, sagte die Goldstein. »Unten, die Nummer 5, mit den vergoldeten Klingelschildchen: lauter Eigentumswohnungen! Ich hab´ gelesen, die hätten in der New York Times inseriert, Apartments am Park und so, und wörtlich: Die historische Nachbarschaft von türkischen Immigranten hat in den letzten Jahren einen Prozess der Gentrifizierung erfahren.«

»In der 18 sind nur noch zwei Wohnungen bewohnt«, sagte Berger. »In einer davon wohnt der Fritz. Als die Arbeiter ihren Mörtel und ihren Müll vor seiner Tür zu stapeln begannen, hat er den Anwalt eingeschaltet. Da klingelt es bei ihm, und einer von diesen russischen Arbeitern sagt, er habe doch eine Tochter in Hamburg. Die wussten sogar ihre Telefonnummer und Adresse. Jetzt zieht er aus!«

»Die Mischbach aus der 4 hat sich ausbezahlen lassen«, sagte die Goldstein. »30.000 hat sie gekriegt. Von so ´nem jungen Typen mit Handtäschchen und Porsche vor dem Büro.« -»Und bei Ihnen, Herr D.?«, fragte die Goldstein. »Ja«, sagte der Herr D. »Ich bin ja Beamter. Mir haben sie die Wohnung zum Kauf angeboten. Und dann sind sie ein Stockwerk höher gegangen und haben da geklingelt. Wie die Staubsaugervertreter.«

»Und keiner unternimmt was«, sagte Berger. »Im Gegenteil, der Wowereit buhlt auf jeder Stehparty um ausländische Investoren. Und wenn irgendwo auf der Welt eine Froschart bedroht ist oder ein Singvogel aus den Wäldern vertrieben wird, dann unterschreibt er als Erster. Aber wenn Berliner aus ihren Wohnungen vertrieben werden, dann schweigt er.« •


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