Kreuzberger Chronik
Dez. 2011/Jan. 2012 - Ausgabe 133

Essen, Trinken, Rauchen

Die Besten vom andern Ufer


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von Saskia Vogel

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Wo der Kaffee noch etwas Besonderes ist

Wie jede echte Kreuzbergerin bezeichnet sich auch Sas als »kreative Querdenkerin«. Vorzugsweise in anbiedernden Bewerbungsschreiben. Aber Sas ist tatsächlich manchmal etwas anders als andere. Zum Beispiel, wenn sie Lust auf Kaffee hat. Dann geht sie nicht unbedingt ins Café oder in die Kneipe. Es kann passieren, dass sie zum Frisör geht. Zum »Besten vom anderen Ufer« zum Beispiel, in der Nähe vom Paul-Lincke- klar - Ufer! Sofort tritt Claus aus dem Hinterzimmer des mit Lichterketten dekorierten Frisiersalons. Blondiertes Haar, eine Zigarette in der Hand und ein Leben, das über 50 Jahre lang gelebt wurde.

Sas kennt Claus, seit sie in Berlin ist. Doch Claus kennt Sas immer noch nicht. Denn Sas geht nur sehr selten zu Claus. Ihrem Markenzeichen – struppige, unfrisierte Mähne – täte das viele Frisieren nicht gut. Obwohl Claus Sas eigentlich noch nie gesehen hat, begrüßt er sie ziemlich persönlich: »Hallo Sas, möchtest Du was trinken?« Schön, wenn man ein Friseur-Café betritt, in dem man seinen Besuch in einem Anmeldebüchlein vormerken kann, denkt Sas. Was er denn anzubieten hätte? »Wasser, Tee, Kaffe«, rattert Claus die Getränkekarte runter – fast schon ein wenig zickig. Vielleicht, weil Claus mehrmals am Tag »Wasser, Tee, Kaffee« sagen muss, und das seit über 17 Jahren. Solange gibt es »Die Besten« nämlich schon

»Kaffee«, sagt Sas. Kaum ist das Wort ausgesprochen, hat Claus auch schon serviert und zusätzlich zum Koffein einen Creme-Keks gereicht, um sofort wieder im Hinterzimmer zu verschwinden. Aus dem jetzt in dicken Schwaden Zigarettenqualm quillt.

Sas wirft sich in einen der Drehstühle und fühlt sich augenblicklich ziemlich wohl: Überall im Salon steht Madonnen-Kitsch, geigen kleine Engelchen. Goldener Stuck, ein flammender Gasofen und eine Heißlufthaube aus den Sechzigern, unter der sich so manch eine Frau den tuffigen Bob hat trocknen lassen. Irgendwie ist alles hier wie in-den Sechzigern. Als Claus aufgeraucht hat, sagt Sas, dass sie zum Kaffee gerne einen Bob hätte. Und dann geht alles ganz schnell. Waschen, Schneiden, Plaudern – Kaffeetrinken. »Kann ich vielleicht noch ´nen Schwarzen haben?«, fragt Sas. »Du kriegst alles was Du willst«, sagt Claus.

Am Ende bekommt Sas noch eine Lektion in Sachen Bob-Auftuffen erteilt. Mit Rundbürste und Volumenschaum geht Claus beherzt zu Werk. »Nicht allzu tuffig«, bittet Sas, die um Claus´ Beherztheit in punkto Volumen weiß. »Steh zu der Tussi in Dir«, sagt Claus. Nach fünf Minuten bittet er sie dann, in den Spiegel zu blicken: »Schau, keine Tussi. Eine schöne gepflegte Sas!«

»Danke«, sagt Sas, und gibt kräftig Trinkgeld. Mit 34 Euro inklusive Haarspray waren die zwei Kaffees nicht ganz billig. Aber immerhin gab es eine neue Frisur dazu. Und das voluminöse Selbstbewusstsein einer echten Kreuzberger Querdenkerin. •


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