Kreuzberger Chronik
April 2010 - Ausgabe 116

Kreuzberger
Bernd Köppen




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von Helmut Unverzagt

Titelfoto: Michael Hughes

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Bernd Köppen »Du, dat war eigentlich ´ne schöne Zeit«

Hier hast du einen Draht. Jetzt bieg´ mal `ne 8. Hätte Bernd Köppen nur eine 6 geschafft, oder wäre der Ort für die Eignungsprüfung eine Autoschlosserei gewesen, was er sich eigentlich gewünscht hatte - sein Leben wäre anders verlaufen. Aber er schaffte die 8, und der Handwerksmeister, zu dem die Eltern den Schulabgänger gebracht hatten, war ein Tischler, und die Tischlerei stand in Travemünde. Und wenn man in Travemünde Tischler wurde, dann wurde man Bootsbauer. Also wurde auch Bernd Köppen Bootsbauer. Eigentlich wäre er ja lieber länger zur Schule gegangen, aber in den Fünfzigern steckte das Wirtschaftswunder noch in den Kinderschuhen, und Geld war zu Hause knapp.
Dafür erlernte er nun die Grundfertigkeiten des Handwerks, nach drei Jahren konnte er hobeln, stechen, sägen, leimen, zeichnen und messen, er konnte Eiche, Fichte, Buche und Mahagoni unterscheiden und eine schnittige Segeljacht bauen. Vor allen Dingen aber erfuhr er am eigenen Leib, dass geflügelte Sprichwörter wie «Lehrjahre sind keine Herrenjahre« oder »Ohne Fleiß keinen Preis« keine Erfindung der Pädagogen waren, sondern harte Realität. Ein Lehrling arbeitete damals noch 48 Stunden in der Woche, der Lohn taugte nicht einmal als Taschengeld, und kein Jugendschützer nahm Anstoß, wenn er nach Feierabend die Werkstatt fegte. «Aber eigentlich hat mir das gar nicht so geschadet, wenn es manchmal auch mühselig war«.
So gerüstet, hätte sich Bernd Köppen eigentlich auf den bewährten Weg zur eigenen Werkstatt mit ihrem sprichwörtlichen goldenen Boden machen können. Aber da waren diese seltsamen Vögel, die regelmäßig im Hause seiner Mutter einflogen, die eine kleine Pension betrieb. Sie kamen aus Paris, nannten sich «Les Cino Peres«, und waren mit dem Kabarett auf Tournee. Lustige Menschen, die viel zu erzählen hatten, von Frankreich, Spanien, Portugal...

Sie fanden Gefallen an dem aufgeweckten Jungen und er nahm ihre Einladung an, die Truppe auf einer Tournee durch Südeuropa zu begleiten. Deutsche Grenzschützer holten den Minderjährigen aus dem Zug, um ihn vor der französischen Fremdenlegion zu retten, aber nach einem Anruf bei den Eltern durfte er weiterreisen. Von Cannes bis Lissabon lernte er exklusive Orte und ihre Casinos kennen, durfte in schicken Hotels mit Strandblick schlafen, begegnete berühmten Schauspielern und lernte die südländische Küche und den Rotwein kennen. »Du, dat war eigentlich `ne schöne Zeit!« Zurück in Travemünde war sein Horizont derart erweitert, dass der anstehende Militärdienst nicht mehr ins Weltbild passte. »Du, also dat war völlig indiskutabel! Ich hab einfach Einberufungsbescheid und Wehrpass in den nächsten Briefkasten gesteckt und bin nach Berlin. Damals gab es ja überall Arbeit.
Les Cino Peres Foto: Privat
Und dann hab ich zwei Jahre in einer Fabrik in Borsigwalde als Stellmacher gearbeitet«. Er baute sowohl die harten Bänke für Berliner U-Bahnen, die damals noch alle aus Holz waren, als auch die gepolsterte Innenausstattung für die Luxuszüge des Schahs, was ihn aber nicht davon abhielt, später gegen den Schahbesuch zu demonstrieren. Die langweilige Fließbandarbeit und die Stechuhr waren Schuld, dass er zweimal seinen Urlaub in Schweden eigenmächtig verlängern musste. Die Quittung erreichte ihn in Form einer fristlosen Kündigung. »Arbeitsgenehmigung gab es in Schweden nicht, da habe ich dann eben als Tellerwäscher und schwarz gearbeitet. Warte mal, ich hab` da noch ein paar Fotos gefunden. Guck mal, hier haben wir gewohnt. Du, dat war eigentlich `ne schöne Zeit!« Auf einem Dutzend Fotos sieht man einen blonden jungen Mann, das Mädchen an seiner Seite ist mal schwarz, mal blond oder brünett. Das fehlende Heimweh nach der Fabrik in Spandau bedarf keiner weiteren Erklärung.

Als er aus Schweden zurückkehrte, wartete ein Kumpel am Bahnhof auf ihn, mit dem er sich ein möbliertes Zimmer teilte. »Da brauchen wir gar nicht mehr hin. Fristlose Kündigung! Wegen der Badewanne!« In der hatten sie ihre Jeans mit dem schärfsten Scheuermittel geschrubbt, das sie finden konnten, und dabei die Emaille ramponiert. Nach einer Nacht auf der Parkbank, stilgerecht mit der Morgenpost zugedeckt, erinnerte sich Bernd Köppen an sein Zeichentalent. Vom letzten Geld kaufte er bunte Kreide und malte nicht wie andere Pflastermaler die Mona Lisa oder den Mann mit Goldhelm, sondern Walt Disney`s Susi und Strolch auf den Kudamm. »Mensch, dat war der Renner! Dat hab` ich ein Jahr lang gemacht. So leicht hab` ich noch nie soviel Geld verdient. Du, dat war eigentlich `ne schöne Zeit!«
Auf die Dauer konnte es natürlich nicht so weitergehen. Dafür ist Bernd Köppen zu sehr Norddeutscher. Bis heute ist der nördliche Tonfall in seiner Rede unverfälscht und frisch wie in frühester Jugend. Und weil er das »Ohne Fleiß keinen Preis!« noch im Ohr hatte, holte er
Foto: Michael Hughes
Foto: Michael Hughes
erst mal die Hochschulreife nach, studierte Kunstgeschichte, lernte im Außendienst einer Firma Antiquitäten, ihre Besitzer und deren Villen kennen. »Dann hab` ich `nen Meisterkurs gemacht und noch einen als Restaurator, damit ich mich selbständig machen konnte. Du, ich wollte einfach keinen Chef mehr haben.« Parallel dazu betrieb er ein Antiquitätengeschäft in der Suarezstraße, verdiente Geld mit Wohnungsauflösungen und schärfte dabei seinen Blick für Kunst und Antiquitäten, restaurierte Möbel und Bilderrahmen, arbeitete für Museen und Villenbesitzer und baute Wendeltreppen. Nach Zwischenstationen in Neukölln und Heiligensee, wo er für Hannah Höch Bilderrahmen machen durfte, kam er Ende der Siebzigerjahre in der Bergmannstraße an. »Du, also dat hat sich einfach so ergeben.«
Die Bergmannstraße war zu der Zeit die Trödlerstraße in Kreuzberg. Ein idealer Standort für einen Kunsttischler aber war sie nicht. »Du, also davon hätte ich nicht leben können. Die haben sich einen wackeligen Stuhl oder Tisch andrehen lassen, und ich sollte den mal schnell zusammenleimen. Dann habe ich denen erst mal erklärt: «Schnell, billig und gut ? – Nö, davon müssen Sie Eins streichen!« Er zeigt auf die sauber aneinander gereihten Zwingen unterschiedlichster Art und Größe. »Weißt du eigentlich, wie viele Zwingen man für einen Stuhl braucht?« Ein Werkzeugliebhaber könnte einen ganzen Tag in Köppens Laden verbringen, ohne sich zu langweilen. Übersichtlich nach Art, Funktion und Größe und unter Ausnutzung auch des letzten freien Platzes sind die Werkzeuge angeordnet, ein geheimes ästhetisches Prinzip scheint allem zugrunde zu liegen. Neben modernsten Maschinen steht Handwerkszeug aus vergangenen Jahrhunderten, deren Verwendungszweck der Tischler neugierigen Laien immer gern erklärt.
Die Aufträge kommen manchmal von weit her, man kennt den Bernd Köppen längst über Berlin hinaus. Dieses Handwerk scheint tatsächlich einen goldenen Boden zu haben. Wenn die Hauseigentümerin mal klamm ist, weil sie ein neues Dach braucht, kommt sie vertrauensvoll zu ihrem Lieblingsmieter. Sie kommt öfter, und als die Nullen vor dem Komma mehr werden, bietet sie ihm die Werkstatt und die anliegende Remise zum Kauf an. Bernd Köppen gefällt die Bergmannstraße, Hund Willi, sein Hund, hat sich auch schon eingelebt, und man wird handelseinig. Der Rest ist Routine, nur dass er diesmal für sich baut. Die Remise wird unter Ausnutzung jedes Quadratzentimeters zur kleinen Luxuswohnung. Und da er genug gesammelt hat, auch gleichzeitig zum Kunstgewerbemuseum und zur Gemäldegalerie mit bemerkenswerten Einzelstücken. Wobei zu jedem Exponat eine interessante Geschichte gehört. Maßstabgetreue Modelle eines Fischkutters oder eines historischen Dampfers mit selbstgebauter Dampfmaschine lassen das Kinderherz eines jeden Mannes wieder schlagen. Nebenbei erfährt man, dass der Bootsbauer natürlich alle Seepatente besitzt. »Einen Tanker darf ich allerdings nur privat führen. Da fehlt mir noch ein Patent.«

Es dauert nicht lange, da kennt jeder in der Straße den freundlichen und hilfsbereiten Tischler mit seinem struppigen Willi. Nach Feierabend gehen sie in die Kneipe, denn Bernd Köppen ist kein Kind von Traurigkeit und ein gern gesehener Gast, der auch mal »`ne Runde schmeißt«. Wer gerade am Tisch sitzt, ist mit dabei. Aber um Mitternacht heißt es dann: »Komm Willi, wir gehen jetzt!«
Wenn mal ein größerer Auftrag anliegt, holt sich Bernd Köppen keine Polen zu Dumpingpreisen, sondern stellt sich seine Truppe aus Leuten vom Kiez zusammen. Und mehr als ein Langzeitintellektueller hat bei ihm seine späte Berufung zum Handwerker entdeckt. Denn das Arbeiten mit Köppen macht Spaß. Er nimmt ohnehin nur Arbeiten an, die Spaß machen. Das sorgt für ein gutes Betriebsklima, und seine Autorität beruht nicht auf seiner Position als Chef, sondern allein auf seiner Kompetenz. Geduldig erklärt er kopflastigen Nichthandwerkern, wie was warum gemacht wird, und wenn es dann immer noch nicht klappt, dann sagt er nur: «Lass man, ich mach dat schon. Mach du mal wat anderes.« Und lernen kann man von ihm pausenlos:« Mensch Jung`, wat machst du denn da! Die Säge und den Schwanz, benutzt der Tischler ganz!« Und plötzlich geht`s.
Wer arbeitet, darf auch feiern, und weil Bernd Köppen gerne arbeitet, feiert er auch gerne. Seine Werkstatt hat so manches Fest erlebt, im Sommer wird der Bürgersteig mit einbezogen, sei es zum Bergmannstraßenfest, oder weil mal wieder ein Jahrzehnt des Lebens abgearbeitet ist. Auch dabei vermeidet er Durchschnittlichkeit. Als er mal 60 wird, ist der halbe Kiez dabei, verstärkt durch ein paar Auswärtige. Die Mischung könnte nicht bunter sein. Die Stammtruppe ist vollzählig erschienen, ein Verfassungsrichter sitzt einem Taxifahrer mit IQ und Abitur gegenüber, ein Arbeitsloser plaudert mit einem Millionär, einer ist Grieche, ein anderer Franzose, auch eine Finnin fehlt nicht. Die Mädels von Cassata sorgen für kulinarische Genüsse, der Rauch der Zigaretten duftet würzig und der Wein kommt aus der Dordogne.
Morgens um zehn sitzen nur noch die Finnin und ein Grauhaariger mit dem Tischler auf der Treppe, weil der Rotwein immer noch nicht alle ist. »Mensch, verstehst du dat? Da sitzen die jede Nacht in der Kneipe, aber wenn mal richtig gefeiert wird, fallen die vom Stuhl!«
Foto: Michael Hughes

Fragt man den Tischler, was er am liebsten macht, kommt der Schalk durch. Er hält eine Schraube hoch, Typ Kreuzschlitz aus dem Bauhaus.« Hier, dat is meine Lieblingsschraube. Davon hab ich `ne ganze Kiste voll. Die dreh ich immer aus den Barockschränken und Biedermeiersekretären raus.« Pläne für die Zukunft? »Na, Trecker fahren in der Dordogne! Und abends `ne schöne Flasche Bergerac. Du, dat wird `ne schöne Zeit!«

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