Kreuzberger Chronik
Oktober 2009 - Ausgabe 111

Essen, Trinken, Rauchen

In der Trattoria Casa Bosco


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von Michael Unfried

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Italienische Restaurants gibt es überall auf der Welt. Auch in der Eylauer Straße.



»Hier kann man doch nichts essen!« Die blonde Mutter, die mit ihrem blonden Mann und zwei blonden Kindern an den rot-weiß karierten Tischen saß, sah auf die andere Seite der Straße. Eine Frau in schlabberigen Leggings und ausgeleierten Turnschuhen führte drei Hunde aus, zwei von ihnen nahmen über dem quadratmetergroßen Érdfleck der Baumscheibe die Hockstellung ein. Am Kiosk standen Männer mit Bierflaschen und erzählten von Herta BSC, eine Horde von Kindern schrie in einem Hauseingang. Das Casa Bosco ist in der Eylauer Straße, schon weit entfernt von der herausgeputzten Bergmannstraße.
»Und schau Dir die Preise an!« rief die Frau, nachdem sie einen Blick auf die Speisekarte geworfen hatte. »6 Euro, 7 Euro. Jede Pizza dasselbe. 6 Euro, 7 Euro. Wahrscheinlich schmecken sie auch gleich!«
Die Kinder lachten. »Ich nehme eine Margarita«, sagte der Kleine. »Ich auch!«, rief der Große. »Sechs euro für 'ne Margarita in der Eylauer Straße!«, spottete die Mutter.
Die Wirtin kam an den Tisch. »Wie lange dauert die Pizza?«, fragte die Mutter. »Die Kinder müssen morgen pünktlich im Gymnasium sein!« »Wenn sie gleich bestellen, geht es schneller!« Kaum war die Wirtin fort, meckerte die Frau: »Schneller! Was heißt denn schneller? Schneller ist doch keine Zeitangabe.«
»Du hättest besser in Frankfurt bleiben sollen!« sagte der Vater. »Nicht schon wieder!« riefen die Kinder. »Ich habe von Anfang an gesagt, dass Berlin nix ist für mich«, sagte die Mutter. Kreuzberg erst recht nicht und Eylauer Straße am allerwenigsten! Achtung, gleich pinkelt der Köter an Dein Auto!«
Der Vater sah zu dem schwarzen Bentley hinüber, da kam der Koch. »Zwei mal Margarita für die Kinder?« Der Koch hatte eine weiße Schürze mit winzigen Tomatensoßespritzern umgebunden und sprach mit einem leichten italienischen Akzent. »Die Gnocci mit Pinienkernen und Chilischoten für die Dame und das Schnitzel für den Herrn.«
Da wurde es still am Tisch. Nur das Klappern des Bestecks war zu hören. Es war eine laue Nacht, die Zeit verging, bald waren sie die letzten Gäste. Der Vater hob den Arm, die Wirtin kam: »Hat es geschmeckt!« – »Super!«, riefen die Kinder. »Stimmt!«, sagte der Vater. »Ich hab alles probiert. Auch die Margarita. Da stimmt alles: der Teig, die Tomaten, der Käse!« Der Koch, der gerade sein Feierabendbier trank, drehte sich lächelnd nach den Gästen um. »Und wie hat es Ihnen geschmeckt, gnädige Frau?«, fragte er. Da sagte die gnädige Frau: »Es war ganz wunderbar. Ganz ausgezeichnet. Ich hätte nie gedacht, dass es in so einer Straße so ein gutes Restaurant gibt.«

»Das ist eben Berlin!«, triumphierte das Familienoberhaupt der Neu-Berliner.

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