Kreuzberger Chronik
Oktober 2009 - Ausgabe 111

Herr D.

Der Herr D. und die harten Jungs


linie

von Hans W. Korfmann

1pixgif
oder – Warum Biker gerne Daktari sehen.

Der Herr D. genoss die spätsommerliche Ruhe in der Straße. Die Touristen waren weg, auch die ewigen Bergmannsträßler hatten ihre Stammplätze im Atlantik oder im Café am Meer verlassen und sich in ihre Hinterhausgemächer zurückgezogen.
Für einige Altkreuzberger aber war es zu ruhig geworden, und als kürzlich ein betrogener Liebhaber das Lokal stürmte, weil die Kellnerin mit einem anderen ausgeflogen war, als Tränen flossen, Fäuste drohten und es endlich einmal ein bisschen lauter wurde, da freuten sich die alten Kreuzberger. »Ich werde es Euch zeigen! Ich werde meine Freunde holen«, drohte der Betrogene, als die Polizei ihn abführte. Eine Malerin, die Kreuzberg vor dreißig Jahren verlassen hatte und dem Viertel einen ihrer seltenen Besuche abstattete, zeigte sich enttäuscht über das frühe Ende der Szene. »Schade, es war gerade so wie früher. Da gab es jede Nacht Prügeleien, Besäufnisse, Eifersuchtsszenen. Was machen all diese Verrückten heute eigentlich?« – »Die schauen sich das jetzt alles im Fernsehen an«, sagte der Herr D.
Weil es so unterhaltsam gewesen war, kam der Herr D. am nächsten Abend gleich wieder. Er hatte gerade »Schneiders Sauren« bestellt, als es zu donnern begann. Etwa dreißig Harley-Fahrer mit schwarz getönten Visieren kamen die Straße herunter und nahmen Kurs auf das Lokal. Dahinter fuhr ein Polizeiauto. Schon sah der Herr D, wie die Freunde des betrogenen Liebhabers die Maschinenpistolen auf ihn anlegten und alle Gäste niedermähten.
Fünf Minuten später hatten die Biker ihre Visiere hochgeklappt, saßen brav an den Café-Tischen und bestellten Kakao und Kuchen. Endlich fasste der Herr D. Vertrauen zum Nachwuchs der Hells Angels und scherzte: »Also, als ihr da um die Ecke fuhrt, da dachte ich schon, ihr würdet jetzt alle hier ausrauben!«
Der Biker lachte. »Sie haben wohl zu viele amerikanische Filme gesehen!« Sein Sozius ergänzte: »Dieser Pleitgen ist ´ne echte Pleite. es gibt doch nur noch Scheiße im Fernsehen. Sortierte Scheiße. Scheiße für Möchtegerncops und Scheiße für Möchtegernsuperstars. Als ich noch klein war, da gab´s einen Sender für alle. Da saß die ganze Familie bei Kaffee und Kuchen vor dem Fernseher, um Daktari zu sehen. Oder Fury. Oder Bonanza. Die Achtzigjährigen und die Achtjährigen. Mit Familiensendungen könnte das Erste doch wieder Geld machen. Wenn ich Pleitgen wäre, hätte ich diese Marktlücke längst geschlossen. Und wenn ich Familienministerin wäre, dann hätte ich diesen Pleitgen längst entlassen. Da sitzen die Mütter mit ihren Kiddies ohne Vater vor der Glotze und schauen sich bis Mitternacht Deutschland sucht den Superstar an. Gute nacht, Deutschland, kann ich da nur sagen.«

Sprachen die Biker, zahlten brav, warfen die Harleys an und fuhren so donnernd davon, wie sie gekommen waren. •


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg