Kreuzberger Chronik
Februar 2009 - Ausgabe 104

Kreuzberger
Michael Steinbach

Da krieg ich nen Leerlauf


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von Hans W. Korfmann

Titelfoto: Michael Hughes

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Der große Erfolg ist bis heute ausgeblieben in Michael Steinbachs Leben. Einen gut bezahlten Job hatte er nie. Obwohl er als Komparse immer gefragt war, »in Babelsberg war ich gern gesehen«. Auch die Frau von der Kreuzberger Agentur mochte ihn, weil er so »Kinskimäßig« aussah und sich auch ein bisschen wie Kinski benahm. Er hat in Filmen mitgespielt, die es bis nach Amerika geschafft haben, meistens »in irgendwelchen Psychodingern«, aber auch in der »Praxis Bülowbogen«. Da stürmte er ins Zimmer und sagte »Herr Doktor, Herr Doktor«. Das war quasi die erste Sprechrolle, aber beim nächsten Dreh, irgendwann im Sommer, bei 35 Grad, als sie ihm so eine Gummimaske überstülpten, an der er fast erstickt wäre, gab er auf. »Vielleicht wäre ja noch was draus geworden aus der Schauspielerei, die wollten mich sogar für den Stauffenberg-Film buchen, aber ich hab abgesagt.«

Also reißt er weiter Pappen. Im Mehringhof, beim Fahrradladen. Jeden Tag fährt er da vorbei, und wenn sie neue Ware bekommen haben, dann zerreißt er die Verpackungen in mülltonnengerechte Portionen. Dafür bekommt er mal einen neuen Schlauch für sein Rad, mal eine kostenlose Inspektion oder eine Reparatur. »Das bringt mir mehr als so´n Eineurojob!« Außerdem bekommt er von den Fahrradhändlern «als kleines Dankeschön« jedes Jahr zu Weihnachten einen von diesen großformatigen Feldkalendern, die es ihm echt angetan haben. »Manchmal kriegt man das Fahrrad auf den Fotos gar nicht mehr mit, weil die alle Scheinwerfer auf die zwei Airbags von der Blonden richten!« Steinbach ist überzeugt, »die werden mal Kult, diese Kalender« mit den halbnackten, langbeinigen Mädchen in Stöckelschuhen, die früher vor Sportwagen und Motorrädern posierten, und die nun vor diesen Fahrrädern mit den hohen Lenkern stehen. Den »Cruisern« oder »Choppern«. Sie haben es ihm angetan, die schönen Frauen, und die schönen Fahrräder.

»Als ich klein war, da hatte ich son Bonanza-Rad! Das war mein ganzer Stolz. Auch mit so nem hochgezogenen Lenker und nem Schalthebel in der Mitte.« Das Rad war immer dabei, genauso wie der Philips-Kassettenrecorder mit der Lederhülle, der auch überall dabei war, im Prinzenbad und im selbst gebauten Partykeller in der Sonnenallee. Die Stones sangen gerade »Paint it Black«, und der junge Michael träumte davon, »mal so ne richtige Harley zu fahren. Da träum ich heut noch
Auch die Kollage an der Wand ist noch unvollendet. Ein Gesamtkunstwerk aus Zigaretten rauchenden Pinups, Brüsten, Lippen, Schenkeln, aus Fahrrädern, Motorrädern, Totenköpfen, Buddhas, Indianern... Foto: Michael Hughes
von«.

Zu der Harley hat es irgendwie nie gereicht im Leben des Michael Steinbach. Aber der Lenker seines Rades ist auch ziemlich hoch. Für viele Leute ist dieses Rad sogar interessanter als eine Harley. «Die Harleys sind ja auch nicht mehr das, was sie mal waren!« Aber wegen dieses Fahrrades, da wird man immer wieder angehalten. Aus voller Fahrt manchmal. »Chinesen, Japaner, Amerikaner! Die haben alle schon mein Rad fotografiert. Das Rad, das ist schon ganz schön rumgekommen. In der ganzen Welt!«

Michael Steinbach kommt nicht rum. 1954 wurde er im Geburtshaus in der Möllenhofstraße in der Nähe des Urbankrankenhauses geboren. Er hat Kreuzberg eigentlich nie verlassen. Kreuzberg ist das Zentrum seiner Welt. Hier ist seine Heilpraktikerin, sein Tätowierer, seine Komparsenagentur, sein Fahrradladen, sein Lebensmittelgeschäft. Sein Vater, der alte Seemann, hat nach dem Krieg die Marheinekehalle wieder aufgebaut, in Akkordarbeit. Und hier in Kreuzberg hat Michael auch das alte Rad gefunden, in der Nähe des Südsterns. Nach diesem starken Rahmen hatte er lange gesucht, mit so einem Rahmen wollte er sich ein Rad nach seinem Geschmack zusammenbauen. Mit dem alten Rahmen und seinen alten Träumen ging er zu den Leuten von der Stahlwerkstatt. Sie hielten Michael Steinbachs Visionen für realistisch und beschlossen, einen Prototyp zu bauen. »Die haben sogar daran gedacht, mit dem Modell in Serie zu gehen«, erinnert sich der Konstrukteur.


Mit dem Vater im Garten (1957)
vor der Kirche (1964)
Auf dem Kreuzberg (1979) Foto: Privat












Doch das geschah nicht. Steinbachs Rad ist ein unverkäufliches Muster, ein Einzelstück geblieben, mit kleinen silbernen Totenköpfen am Lenker und auf den Radkappen. Passend dazu trägt Steinbach einen silbernen Totenkopfring. »Obwohl das mit den Totenköpfen, das ist ja eigentlich auch schon wieder vorbei! Irgendwann wird ja alles ein bisschen langweilig!«

Sogar die Tattoos sind in Mode gekommen. Jede Kassiererin bei Karstadt hat ein Tattoo am Arsch. Aber Steinbach hat nicht nur irgendwo ein Tattoo versteckt. Steinbach ist authentisch. Er ist ein Punk, gepierct, in den Ohren und in der Augenbraue. Und Steinbach ist tätowiert. Mit Justin, dem Tätowierer aus der Mittenwalderstraße, hat er bei »so ner Tattoo-Convention« schon mal den 1. Preis gewonnen. Mit der Nackten auf der rechten Wade. Sie ist eine von vier mehr oder weniger nackten Frauen, die den Körper Steinbachs bedecken, und die ihm nie mehr davonlaufen können. Frauen, die die Aufmerksamkeit aller auf sich lenken, wenn Steinbach in der Pizzeria sein T-Shirt hochzieht oder die muskulöse Radfahrerwade frei macht. Auch die Arme sind bunt bis zu den Schultern. »Aber jetzt hab ich langsam keinen Platz mehr!«

Auch in seiner Erdgeschosswohnung in der Bergmannstraße ist nur noch wenig Platz für Steinbachs Kreativität. Da haben sich überall kleine Stapel unerledigter Angelegenheiten angesammelt. »Lauter angefangene, unfertige Sachen.« Drei auseinander geschraubte Fahrräder zum Beispiel. Auch die Kollage an der Wand seines Zimmers ist noch unvollendet. Es ist eine gigantische Orgie, die hier stattfindet, milde belächelt von den schönen Schaufensterpuppen, die Steinbach vor dem sicheren Ende auf dem Müllberg bewahrt hat. Er hat sie geschminkt, mit Schmuck behängt, Ihnen Hüte aufgesetzt, Röcke umgebunden. Nur die Brüste hat er bloß gelassen. Und wenn die Puppen nicht mehr die jüngsten waren und schon einige Kratzer in ihrem wilden Schaufensterleben abbekommen hatten, dann hat er kleine Schönheitsoperationen an ihnen durchgeführt. Mit Gips und Farbe.

Einige dieser Puppen sind schon eine ganze Weile mit ihm unterwegs. Sie waren schon in der Manteuffelstraße und in seinem früheren Domizil in der Nähe der Marheinekehalle. Spätestens, seit das Ärztehaus und Plus und Reichelt seine neuen Nachbarn sind, trauert er der alten Wohnung nach. Er sinniert, er hätte sich »vielleicht ein bisschen zurückhalten müssen damals. Dann hätte ich die Wohnung wahrscheinlich noch!« Aber das war eben die Sturm- und Drangzeit im Leben des Michael Steinbach, »da war ich schwer am Nase pudern und hab manchmal 96 Stunden nicht geschlafen!« Es war klar, dass der Nachbar im ersten Stock unter ihm eines Tages durchdrehen würde. Und als sie wieder einmal eine dieser »schweren Partys« feierten, war es soweit. Das Fest war eigentlich schon vorbei, als Steinbach mit einem der weiblichen Gäste in sein Bett fiel und die ganze Welt im Strudel der Leidenschaft versank, so tief, dass er nicht einmal mehr das Trommeln an der Wohnungstür hörte. Doch der verspätete Partybesucher gab nicht auf und beschloss, den Weg über den Balkon zu nehmen. Als der Nachbar im ersten Stock den Mann vor seinem Fenster hängen sah, rief er die Polizei, die den romantischen Abend des Michael Steinbach abrupt beendete.

Wenn Steinbach etwas macht, dann macht er es eben richtig. Mit Leidenschaft. Bis er süchtig danach ist. Egal, ob das Tattoos, Frauen, Fahrräder, Musik oder Drogen sind. »Steini« gehörte zu den legendären Kindern vom Bahnhof Zoo, »ich bin sogar in dem Buch drin«. Jahrelang hing er im Sound in der Kurfürstenstraße herum, Heroin, Koks, Amphetamine, nie konnte er genug bekommen. Bis ihm sogar das eines Tages irgendwie langweilig wurde, bis er sich eines Tages tatsächlich sagte: Was machst Du da eigentlich? Und aufhörte. Mit allem. Auch mit den Zigaretten und dem Alkohol. Vor fünfzehn Jahren. Jetzt sind da nur noch das Rad mit dem hohen Lenker und die Tattoos. Und die Kalender an der Wand seiner kleinen Wohnung, die ihm viel zu dunkel ist, seit »der Wagner das Ärztehaus in den Hinterhof pflanzte« und eine sechs Meter hohe Mauer durch den Hinterhof zog. »Da kommt absolut kein Licht mehr rein. Da drin krieg ich nen Leerlauf!« Er hat der GEWOBAG einen bösen Brief geschrieben, er hat von Abzocke und Heuschreckenschwärmen geschrieben, mit Sprüchen aus der Hausbesetzerzeit garniert, »Spekulanten verreckt!« Die GEWOBAG antwortete mit einem strengen Schreiben, doch am Ende musste sie der Mietminderung zustimmen. Dennoch sucht Steinbach nun dringend nach einer neuen Wohnung. Einer Wohnung mit Licht. Damit er die Kollagen an der Wand endlich fertig machen kann. Und die restlichen Fahrräder zusammen schrauben. Irgendwo hier in der Nähe. Neukölln, das wäre schon so etwas wie ein anderer Kontinent für ihn.

Kreuzberg 36, das könnte er sich noch vorstellen. Irgendwo in der Nähe seines alten Vaters vielleicht. Der ihn noch täglich anruft, um zu sehen, dass der Junge nicht wieder irgendeinen Unsinn macht. Oder aber in der Nähe des Rauch-Hauses. Da hatte ja alles einmal angefan-
Foto: Michael Hughes
gen. Dahin war er geflüchtet, als er sich vom Elternhaus abnabeln wollte. »Es war ne geile Zeit, die Scherben gingen unten in der Kneipe ein und aus und wenn sie Bock hatten, dann spielten sie. In der Küche stand ein riesiger Tisch, da haben wir alle gegessen. Ich war morgens immer Schrippen holen, 30, 40 Stück. Das war noch ´n richtiges Kollektiv. Weinflaschen standen da auch immer reichlich herum, und deshalb haben die Scherben dann dieses Lied gemacht, in dem es heißt: »Zehn Flaschen Wein, das könnten auch zehn Mollis sein«. Manchmal sind wir zu Uni gefahren und haben vorm Eingang die Platten von den Scherben verkauft. Aus Solidarität. Damals gab's so was ja noch! Und damals war das ja noch nicht so doll mit Plattenverkaufen, da kannte die Scherben ja noch keiner.«

Die Musiker hatten später Erfolg. Michael Steinbach hat nie so richtig Erfolg gehabt. Aber er hatte seine Träume. Einer von dem Fahrradladen im Mehringhof hat mal gesagt, dass dieser Michael, der jeden Tag kommt und die Kartons zerreißt und der dabei manchmal so grimmig aussieht wie Klaus Kinski, dass dieser Mann, der jeden Tag mit seinem Vater telefoniert und mit der Hand zärtlich durch das Haar seiner Schaufensterpuppen streicht, dass dieser Mann ganz einfach ein viel zu großes Herz hat für diese Welt.


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