Kreuzberger Chronik
Februar 2009 - Ausgabe 104

Essen, Trinken, Rauchen

Sas im Nachtschatten


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von Saskia Vogel

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»HEUTE NACHT wird geschillert«, hat sich das platonische Paar vorgenommen. Und zwar im Club Culture Houze (CCH). Der Kreuzberger Lustgarten ist am Sonntagabend exklusiv für Adam&Eve reserviert. Der Eintritt ist mit zehn Euro pro Paar verhältnismäßig moderat und die Drinks rutschen ohne lästiges Kleingeld-Berappeln über den Tresen. Erst am frühen Montagmorgen wird der Deckel beglichen. Und am Montagmittag die Nacht mit einem schweren Kater bezahlt.

Das CCH ist eine Klingel-Bar. Hausdame Angela öffnet die Tür und bittet - sofern der hedonistisch-erotische Dresscode erfüllt ist -beflissen herein und nimmt der steif gefrorenen Sas den goldenen Fuchsmantel ab. Das CCH ist ein Sündenpfuhl mit Eingangskontrolle. Sie tragen einen roten Büstenhalter? Na dann. Angela ist die tuffige Übermutti der Bar. Die 50-Jährige mit der biederen Sekretärinnenbrille ist Erotikparty-Frischlingen dabei behilflich, die ersten Hemmungen flott zu überwinden. Von der wasserstoffblonden Welle bis unter die Netzbluse (darunter ein gar nicht biederer blanker Busen) ist die Hausdame auf Service eingestellt. Angela flötet »Ihr Lieben, legt doch ab« - und stößt bei Sas auf Granit. Sas hat sich vorgenommen, die Contenance zu bewahren. Sie nimmt am Tresen Platz und starrt auf die schillernden Eiswürfel in ihrem neongrünen Gin Tonic.

Die Wohnzimmeratmosphäre mit dem filzigen Teppich und den ältlichen Herren, die sich offensichtlich zur Konversationsstunde bei Angela eingefunden haben, ist befremdlich. Im Hinterzimmer aber lassen sich welche (schlagen?). Sas hat ja schon einiges in ihrem Leben gesehen - das aber noch nicht. Ist der Filz wohl fleckig? Auf dem Tresen jedenfalls: Gratis Weingummis und gratis Obst-Schiffchen. »Fehlt nur noch der Käse-Igel«, bemängelt Sas und greift beherzt zu. Überall in der Bar laufen schaumige Pornos. Ihr Begleiter träumt davon, Angela von hinten um die Taille zu fassen. Sas träumt von gar nichts. Und stopft sich Orangenbonbons ins grell geschminkte Mündchen.

Aber sie wagt es kaum, den Blick zu heben: In den sündigen Gemächern hängen Ledergeschirre von der Decke. Und neben ihr am Tresen hängen Männer - ebenfalls in Ledergeschirren. Solche mit Ponyhalftern um die Brust also, die sich in den Séparées gerne öffentlich wälzen würden. Denn so ist es im CCH eigentlich vorgesehen. Sas aber fühlt sich bedrängt und ist nahe dran, einen ihrer berühmten Panikanfälle zu bekommen, wie sie ihn gerne bekommt, wenn Angstfantasien im Epizentrum der Emotionen zu einem toxischen Schaum aufquellen. »Hallo«, haucht neben ihr ein nietenbesetzter Bär. »Lass mich!«, detoniert Sas.

Und starrt weiter auf die Eiswürfel in ihrem Drink, die langsam vor sich hin schmelzen. Mit ihrem Strohhalm rührt sie hastig um, die Eiswürfel drehen sich und plötzlich spiegelt im Drink ein Bild auf. Es ist … es ist tatsächlich … und jetzt verschwimmt Sas' Wahrnehmung. Im Nebenraum knallen die Peitschen. Der Bär würde sie gerne fesseln und verhauen. Und in ihrem Drink? Brüllt Der Schrei von Edvard Munch!


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