Kreuzberger Chronik
Februar 2009 - Ausgabe 104

Herr D.

Herr D. im Auge des Gesetzes


linie

von Hans W. Korfmann

1pixgif
ES WAR noch früh am Morgen, kein Mensch war auf der Straße, kräftig trat der Herr D. in die Pedale. An der Fußgängerampel gegenüber der Schule war niemand zu sehen. Herr D. ignorierte das Rot und überfuhr den Zebrastreifen, da sprang der Polizist hinter dem Auto hervor. Der mit dem Gamsbart: »15 Euro.« Der Herr D. begann zu schimpfen. »Sie können das Geld auch überweisen«, sagte der Gamsbart. »Wenn nicht, dann gehen Sie in den Knast!« Der Herr D. fuhr weiter. Auf der kanarischen Winterurlaubsinsel hatte er das alles schnell vergessen.

Genau ein Jahr später lag der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten in seinem Briefkasten, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er »gemäß § 66 Abs. 2 Nr. 3 des Ordnungswidrigkeitengesetzes belehrt worden« sei, dass bei einer Zahlungsverweigerung »nach § 96 Abs. 1 des sogenannten Gesetzes Erzwingungshaft angeordnet werden kann. … Gegen diesen Beschluss ist sofortige Beschwerde zulässig, die binnen einer Frist von einer Woche…«. Der Herr D. sah auf das Datum des Briefes. Die Woche war vor zwei Tagen verstrichen.

Er rief auf dem Amt an, am Apparat meldete sich Wortmann. Der Herr D. schilderte die ganze Angelegenheit und beteuerte, dass er außer dem Strafzettel eines gamsbärtigen Beamten keinerlei Schreiben erhalten habe. Er appellierte an den gesunden Menschenverstand im Herrn Wortmann und bot an, zum Beweis seiner Abwesenheit beim Verstreichen der letzten Frist die Fahrkarte nach Bensheim vorzulegen. Doch Wortmann blieb wortkarg. Die Schriften seien ordnungsgemäß zugestellt, und man könne doch wegen eines Herrn D. und wegen eines Bußgeldes in Höhe von 15 Euro nicht das Gesetz ändern. »Aber mich wollen Sie wegen 15 Euro für einen Tag ins Gefängnis stecken?«, rief Herr D.

Bereits einen Tag später lag ein Schreiben der Staatsanwaltschaft mit der »Ladung zum Antritt der Erzwingungshaft« in seinem Briefkasten, der er innerhalb von zwei Wochen Folge leisten sollte. Staunend lehnte sich der Herr D. in seinen Sessel zurück, schaltete die Leselampe ein und las. Ein bisschen war es wie in »Berlin Alexanderplatz«, und ein bisschen wie bei Kafka. »Es wird erwartet, dass Sie in sauberem und nüchternem Zustand erscheinen. Personalausweis oder Reisepass sind mitzubringen. Weiter können mitgebracht werden: Etwas Bargeld (möglichst in Münzen), Brillen, Uhren, Tabakwaren (6 Päckchen zu je 50 g oder 240 Zigaretten oder 75 Zigarren oder 125 Zigarillos), Tabakpfeifen, Streichhölzer oder bis zu zwei Einwegfeuerzeuge ohne elektrische Zündung, Tageszeitungen sowie Schreibwaren in geringer Menge, Körperpflegemittel (Zahnbürste, Haarbürste, Kamm, Waschlappen, Seifennapf, Rasierpinsel und Seife.) … Nicht erlaubt ist das Einbringen von Lebensmitteln, Getränken, Spraydosen und Medikamenten (sofern nicht ärztlich verordnet), Werkzeugen und Waffen…«

Schade, dachte der Herr D. Genau daran hatte er gedacht. •


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg