Kreuzberger Chronik
April 2009 - Ausgabe 106

Strassen, Häuser, Höfe

Die Fidicinstraße Nr. 40


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von Werner von Westhafen

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ZUERST WURDE BIER GEBRAUT, DANN WURDEN FERNSEHER GEBAUT, ZULETZT ZOGEN KÜNSTLER IN DEN HOF

Die Geschichte war zwar eigentlich ganz anders, doch Mühlenhaupt hätte wahrscheinlich nicht widersprochen, wenn man es so aufgeschrieben hätte. Er war immer der Meinung: »Was nützt mir ne wahre Geschichte, wenn se langweilig ist?«
Doch auch die wahre Geschichte des Vorbesitzers Rudolf Wittenbecher ist nicht langweilig. Der Ingenieur Wittenbecher nämlich war es, der die ständig implodierenden Fernseher der ersten Generation mit einer robusten Metallverkleidung versah, die das Fernsehen revolutionierten.

Begonnen hatte alles mit dem Kunstschlosser Max Wittenbecher, der die erste automatische Lötmaschine für Konservendosen erfand. Sein Sohn gründete 1919 in Neukölln die Firma »Hans Wittenbecher & Co«, die nach dem Krieg sämtliche Aluminiumvorräte im Keller zu den dringend nötigen Kochtöpfen verarbeitete. Das Geschäft florierte, man verkaufte Töpfe nach ganz Berlin, auch an Glienicke & Co, die zudem »Topfdichter« zum Flicken von leckenden Töpfen bestellte. Die dazu benötigten Asbestscheiben kaufte Wittenbecher bei Hofmann in der Fidicinstraße. Als Hofmann seinen Hof an einen Kartonfabrikbesitzer aus Leipzig verkaufen wollte, der jedoch während seines Umzugs nach Berlin von den Russen als Republikflüchtling verhaftet und augenblicklich enteignet wurde, griff Wittenbecher zu und zog mit seiner Topffabrik in die Nähe des Wasserturms.

In den Sechzigerjahren produzierte er dort einen Adressographen und Reißverschlüsse, die gerade in Mode kamen, Propangasflaschen und seit 1962 endlich Fernsehrahmen für Bildröhren. Seit Jahren schon forschten die großen Firmen nach Lösungen, die das Implodieren der unterhaltsamen Geräte verhindern sollten. Rudolf, dem Sohn des alten Wittenbechers, kam während eines Segelausflugs auf der Havel eine Idee. Er setzte sich hin, begann zu rechnen und zu zeichnen, und meldete am 2. November 1965 sein Patent an. Schon die ersten Versuchsmodelle funktionierten, und die Plastikscheibe, die bis dahin die Zuschauer vor Verletzungen schützte, konnte endlich entfallen.

Da kamen feine Herren von Philips in die Fidicinstraße und wollten dem Erfinder »das Patent für eine immens hohe Summe abkaufen. Ich schwankte für einen Moment«, schreibt Wittenbecher, doch dann lehnte aber ab. »Dafür habe ich dann später erfahren müssen, daß der Weltkonzern Philips meine Erfindung nachmacht«. Wittenbecher protestierte, doch die Anwälte des Konzerns blieben unbeeindruckt und rechneten dem Erfinder vor: »Philips stellt jährlich ca. 1,2 Millionen Bildröhren her. Jede Farbröhre wird mit 600 Mark bewertet. Das ergibt einen Streitwert von 720 Millionen Mark.« Wittenbecher sah ein, dass sein kleiner Betrieb nicht genügend finanzielle Mittel besaß, um gegen den Konzern zu prozessieren. Er gab auf. Und verkaufte am Ende seine Fabrik an Kurt Mühlenhaupt.
Foto: Dieter Peters


Dessen Idee vom Künstlerhof war ebenso schöngeistig wie politisch korrekt, denn er wollte nicht nur sein Atelier und seine Galerie dort einrichten, er wollte auch den weniger erfolgreichen Kollegen für kleines Geld Arbeitsräume zur Verfügung stellen. Damit auch jeder gleich sah, dass aus dem versteckten Hinterhof eine Künstlerkolonie geworden war, bemalte er die fensterlose Rückwand des Vorderhauses und schrieb darüber: »Wir und die Frösche brauchen frische Luft«. Tatsächlich zogen neben den Friends of Italian Opera, die damals noch in einem Keller in der Ecke des Geländes spielten, und die sich heute English Theatre Berlin nennen, der Bildhauer Maximilian Verhas, die Malerin Anette Gössl und der Metaller Peter Messner auf dem Hof ein. Ein Klavierbauer hatte seine Werkstatt zwischen den bildenden Künstlern, und noch immer klebt das Namensschild der Diplom-Restauratorin Alexandra Skedzuhn am Eingang, die den Hof mit kunstvollen Rahmen und Skulpturen verschönert.

Auch die steinernen Zwerge Mühlenhaupts sind noch da. Mit ihren zipfligen Mützen und ihren breiten Gesichtern halten sie Wache auf dem Hof. Sie gemahnen die Mieter an ihren Auftrag: Kunst zu produzieren. Mühlenhaupt selbst dagegen blieb nicht lange, die Sommerfeste waren ihm zu laut. Er zog sich schon bald ins ruhige Bergsdorf zurück. Auch die Galerie Tammen & Busch, die sich in der großen Halle der Metallwerkstatt einrichtete, verließ den Hof nach zwei Jahren wieder. Nun stellt Room & Garden in der alten Galerie seine geschmackvollen Haus- und Gartenmöbel aus.

Es ist nicht ganz das geworden, was Kurt Mühlenhaupt sich vorstellte. Doch die Nummer 40 ist bis heute ein idyllisches Ensemble kleiner, in den Hinterhof zurückgezogener Werkstätten, ein Biotop für Handwerker und Künstler. •


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