Kreuzberger Chronik
April 2009 - Ausgabe 106

Essen, Trinken, Rauchen

Sas bei Johann Rose


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von Saskia Vogel

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DAS JOHANN ROSE IST EIN MANN; EIN CAFÉ UND EINE ERINNERUNG


SAS ÖFFNET die Tür und merkt sofort: Nee, der Laden ist nichts für sie. »Johann, schenke Rotwein aus!«, ruft die Wirtin. Johann heißt eigentlich gar nicht Johann, aber kein Name passt besser zu einem Butler als Johann. Der smarte Johann eilt herbei, und die Damen erröten. Alle sind in ihn verliebt. Seit anderthalb Jahren schwärmen sie für die Engelskulpturen auf dem Tresen, das verträumte Mädchenporträt an der Wand, und für den Apfel-Creme-Kuchen.

Auch Sas liebte mal einen Johann. Nicht Johann Rose, sondern Johann Berger. Er verließ sie. Seitdem war Sas für keine Sentimentalitäten mehr zu haben. Dennoch musste sie nach langem Grollen zugeben: Man könnte sich wohl fühlen in diesem Zuckerpalast in der Forsterstraße, in dem man vor lauter Engelsstaub niesen muss und sich anschließend mit den gehäkelten Spitzendeckchen das Näschen putzen kann.
Sas will kein Näschen pudern. Sas will in den Trinkteufel gehen. Sie kotzt das alles an. Eine viel zu süße Puppenwelt. Aber sie bleibt. Sie spürt, dass sie Johann Rose und seine Wirtin verletzen könnte, wenn sie jetzt gehen und die Tür hinter sich zuknallen würde. Sie spürt, dass die Bar mit dem Namen Johann Rose eine Widmung ist. Für einen Menschen, der nicht mehr da war. Jedes Detail hat Jutta Rudolf liebevoll und sorgfältig ausgesucht: Den dunklen Holztresen mit seinen geschnitzten Engelsflügeln, die polierten Zuckerdosen vom Trödel. Das Johann Rose ist so melancholisch wie ein Gedicht. Sas sucht nach Bildern und Worten für die Bar mit der traurigen Seele, aber sie findet keine, die Worte zerfallen ihr im Munde, als seien sie faulige Pilze. Doch Johann hat auch fröhliche Seiten. Das Be Cool Quartett, das manchmal für Stimmung sorgt, oder die Rauchergalerie im Hochparterre, eingerichtet im Stil der Sechziger, und so verraucht, dass Sas gar nicht erst rauchen muss, sondern nur tief einzuatmen braucht.

Ein Freund von Sas hatte sich mal in den Kopf gesetzt, Oscar Wildes Teleny und Dorian Gray vorzutragen. »Frag´ doch mal im Johann Rose«, hatte Sas gesagt, aber niemand kümmerte sich um Teleny und Dorian. Obwohl sie wunderbar harmonierten mit dieser Zuckerdosenwelt. Und obwohl der »Johann« nicht nur vornehme Damen reizt, sondern Künstler aller Naturen.
Jeden Montag zum Beispiel spielt ein einsamer Klaviersolist seine kleine Nachtmusik. Mond im Fische ist Musik zum Lauschen. Sas ist ein Fisch. Den Trinkteufel hat sie sich abgeschminkt. Auf Johann Roses Plüschsofas gibt sie sich den Klavierklängen hin. Bilder steigen in ihr auf, Erinnerungen an den anderen Johann, an Johann Berger.

Sas muss jetzt wirklich gehen. Sie kann doch nicht ihre eigenen Erinnerungen mit denen der Wirtin vermischen. Die Bar ist ihre Stätte der Erinnerung – und dabei soll es bleiben. •

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