Kreuzberger Chronik
Oktober 2008 - Ausgabe 101

Jakob Siepmann Kreuzberger
Eckhard Siepmann

Politik, Poesie und Alkohol, das ist Kreuzberg für mich


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von Hans W. Korfmann

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Mit den 68ern möchte er nicht so viel zu tun haben. Obwohl er natürlich damit zu tun hatte. Aber seit Beginn des Jahres 2008 sind so viele der so genannten Altachtundsechziger zu dieser Zeit befragt worden – Dumme und Schlaue, solche, die etwas wussten, und solche, die nur nachplapperten –, dass Eckhard Siepmann dem lieber nichts mehr hinzufügen möchte. Deshalb lehnte er ab, als die Redaktion des Freitag anfragte, ob er nicht etwas zu Rudi Dutschke schreiben könne.

»Was bei den Betrachtungen der 68er immer wieder vergessen wird, ist der Humor. Der Spaß, den wir hatten. Da werden immer nur Bilder vom Straßenkampf und der RAF gezeigt.« Das ist nur die halbe Wahrheit. Aber als der Redakteur des Freitag dann sagte, er könne auch etwas Persönliches schreiben, da gab er nach und schrieb über eine ganz andere Seite des Agitators, Aufwieglers, Staatsfeindes, den auch die CDU des 3. Jahrtausends partout nicht auf einem Straßenschild sehen wollte. Er schrieb:

»Im September 1966 war ich nach Berlin gekommen, um (...) bei der Redaktion seines Buches über den Schah von Persien behilflich zu sein. Wir arbeiteten bis tief in die Nacht, und beim Bier in der benachbarten Kneipe hatten wir das Manuskript am Körper versteckt, aus Angst vor einem Einbruch des persischen Geheimdienstes. Einmal waren die Papierstöße in eine BZ, Springers Kampfblatt, eingewickelt, mit dem reißerischen Aufmacher: Rudi Dutschke dreht an einem dollen Ding. Dazu ein Foto: Rudi mit gebleckten Zähnen, klaren sanft-heftigen Augen. Ich hatte nie vorher von ihm gehört. Es war eine Liebe auf den ersten Blick.«

Wenige Tage später war Siepmann unterwegs zu Wolfgang Neuss und traf Neuss, Dutschke und Hans Magnus Enzensberger im Treppenhaus. Neuss und Enzensberger wollten gleich weiter, aber Rudi »war mit einem schnellen Abschied nicht einverstanden. Er legte den Arm um meine Schultern: Wie geht es dir? Was machst du? Diese Art von Zärtlichkeit (...) irritierte mich maßlos, ich war verlegen. Dutschke war (...) unendlich sanft und offen«.

Siepmann will eigentlich nichts mehr dazu sagen, aber es reizt ihn, das etablierte Bild zu korrigieren und in andere Bezüge und Blickwinkel zu stellen. Er hat zu lange als Historiker gearbeitet, das Werkbundarchiv und das Museum der Dinge im Gropiusbau geleitet, sich immer mit Perspektiven und Sichtweisen beschäftigt, als dass er jetzt so einfach »Nein« sagen könnte. Aufklärung ist sein Auftrag.

Doch Siepmann ist keiner, der am Stammtisch des Heidelberger Krugs laut mitdiskutieren würde. Er zieht die Dialoge größeren Diskussionsrunden vor, sitzt lieber abseits, wachsam, den Kragen des Trenchcoats hochgekrempelt, ein Detektiv, ein Spurensucher. Ein verschmitzt lächelnder Herr, schon ein bisschen vom Odem der Altersweisheit umkränzt, ein 68 Jahre alter 68er, aber noch immer kein griesgrämiger, enttäuschter Grauzopf, sondern später Vater zweier Kinder, die ihn manchmal an die eigene Kindheit erinnern, an den Uhrmacher, der sein Vater war, und der den Schlüssel zum Kirchturm von Schwelm besaß, wo der kleine Ecki dann immer saß, hinter der großen Turmuhr, und auf die Stadt blickte. »In mir wuchs ziemlich schnell der Wunsch, kein geregeltes Leben zu führen.«

1955 kommt das Wirtschaftswunder, Elvis Presley hat gerade seine ersten Auftritte absolviert, man tanzt noch Boogie-Woogie, den Vorläufer des Rock´n´Roll, von den Beatles und den Stones noch keine Spur. 1962 beginnt Siepmann mit einem Studium in Tübingen, 1966 sitzt der mit einem Stipendium bedachte Kunsthistoriker in Rom auf der Spanischen Treppe. Dann kommt er nach Berlin, und da war gerade die Hölle los. Siepmann möchte lieber über 1988 sprechen, aber 1968 schiebt sich immer wieder dazwischen, er schreibt:

»Ein paar Tage vor Weihnachten 1967 rief eine meiner Schwestern mich an: Ob wir nicht den Weihnachtsgottesdienst in der Gedächtniskirche mit ein paar Mahnungen zum Vietnamkrieg bereichern sollten? Wir wollten Schilder vor dem Altar aufstellen und uns dann ruhig zur Gemeinde setzen. Drei Mitstreiter waren schnell gewonnen. Ich kramte also eine große weiße Pappe heraus, schrieb darauf mit Ölkreide »Frieden auf Erden – Napalm auf Vietnam« und machte mich auf zum Kurfürstendamm. Was wir nicht wussten: Rudi Dutschke hatte Wind von der Sache bekommen und beschlossen, an dem Gottesdienst teilzunehmen.

Als die Orgel zu spielen begann, war es das Zeichen für uns. Wir wollten nacheinander einmarschieren, den Anfang sollte ich machen. Das Eindringen in ein Ritual fiel mir durchaus nicht leicht. Ich schnappte mein Schild, ging oder spurtete, ich weiß es nicht mehr, durch den Mittelgang des kerzenerleuchteten Kirchenschiffs zum Altar und stellte das Ding ab. Die nach mir Kommenden erreichten den Altar schon nicht mehr. Die Gottesdienstbesucher, unter ihnen viele Touristen, stürzten sich empört auf sie und nahmen Schilder und Transparente weg. Rudi nutzte das Durcheinander, um sich zur Kanzel durchzuarbeiten und begann: »Liebe Brüder und Schwestern ...« Weiter kam er nicht. Er wurde herunter-und in Richtung Ausgang gezerrt, dabei schlug ihm ein Rentner und früherer SA-Mann mit einer Krücke heftig auf den Kopf. Aus einer Platzwunde rann Blut über Rudis Gesicht...«

Die Achtzigerjahre waren ruhiger. »88 war nicht so angespannt wie 68.« Die lauen Abende am Chamissoplatz, als Eckhard beim Boulespielen Edith kennen lernte, um dann mit 54 zum ersten Mal Vater zu werden. Wolfgang Krolow, Fotograf und Initiator der Boulepartien, hielt nichts von tierischem Ernst, und deshalb spielte man ohne Regeln. Bis eines Tages die Profis vom Maybachufer kamen. Bei Mario vom Chamisso standen sie anschließend »in Fünferreihen am Tresen und palaverten über Gott und die Welt. Karnevalistische Gespräche auf höchstem Niveau. Hier war eine Art Bohéme versammelt, hier herrschte eine Geisteshaltung, die gab es auf der ganzen Welt nicht noch einmal.«

Von den Achtzigern erzählt er gerne. »Wir wollten die SEW in eine Partei verwandeln, die ein freundliches Gesicht trug.« Es gab noch Ideale. So wie einst im Dusteren Keller, dieser dunklen Kaschemme am Kreuzberg, in der Dichter und Sänger des 19. Jahrhunderts den »Deutschen Bund« gründeten und von Freiheit und Demokratie träumten. Der Dustere Keller, das ist die revolutionäre Keimzelle Kreuzbergs. Poesie, Politik und Alkohol, das ist Kreuzberg! Bis heute.«

Aber 1968 war anders. Siepmann wohnte in einer WG in der Wielandstraße, K2 genannt, zusammen mit Bommie Baumann, Georg von Rauch und Günter Langer. Haschrebellen und Tupamaros. Ein Spitzel, Peter Urbach, schmuggelte ihnen eine Bombe ins Haus. Heftiges Klopfen weckte Siepmann, als er öffnete, stand er »einem halben Dutzend Beamter mit Maschinenpistolen gegenüber: Hausdurchsuchung! Die ganze Wohnung wurde auf den Kopf gestellt, der Keller und das Auto durchsucht. Dann zog die Camarilla erfolglos ab. Ein paar Tage vorher hatte Peter Urbach angerufen. Ob wir etwas für ihn aufbewahren würden? (...) Als er mit einem grau-braunen Paket ankam, fragte ich: `Sag mal Peter, wie kommt es eigentlich, dass von allen Berliner Arbeitern du der einzige bist, der zu uns hält?´ – `Tja, Ecki, die einen verstehen es und die anderen nicht´, war die vage Antwort des Agenten des Berliner Verfassungsschutzes. Das Paket stand gut verschnürt da herum, so sprachlos, so unaufdringlich – einer Eingebung folgend schaffte ich es aus dem Haus, ohne Peter zu verständigen – anders als die Molotow-Cocktails, die der Berliner Senat über Urbach zum Abfackeln der Springer-Autos nach dem Attentat auf Dutschke zur Verfügung gestellt hatte«.


Die legendäre Schlacht am Tegler Weg, 4. November 1968. Siepmann - wie immer - mit Sonnenbrille.






Dennoch hatte die Geschichte Konsequenzen. Als er sich an der Uni für eine Assistenzstelle bewarb, lehnte man ihn mit Verweis auf den Radikalenerlass ab. Aber Siepmann blieb der Kunst auf der Spur, und 1976 wurde er mit der Leitung des Werkbundarchivs in Charlottenburg beauftragt. Später wurde er zum Leiter des »Museums der Alltagskultur des 20. Jahrhunderts« im Gropiusbau. Jetzt ist er im Ruhestand. Siepmann freute sich darauf, aber »das Nichtstun ist schwer« für einen, der Zeit seines Lebens so umtriebig war.

Manchmal schaltet Siepmann den Fernseher ein. Um alte Bekannte wieder zu sehen, die anlässlich des 68er Jubiläums in den Talkshows herumgereicht werden. »Die 68er hatten überhaupt keinen Humor!«, sagt da Bettina Röhl und fügt hinzu: »Ich empfinde Mitleid mit denen, weil ich die als absolut gescheiterte Existenzen kennen gelernt habe!« Sie hatte auch Eckhard Siepmann kennen gelernt. 1970 hatte er sich in Italien um die Zwillinge von Ulrike Meinhof gekümmert, bis Stephan Aust sie nach Deutschland entführte. Eigentlich will Siepmann nicht so viel erzählen von den 68ern. Aber….

»Eine Gruppe von SDSlern, Michael und Peter Schneider, Gaston Salvatore, Christian Semler und ich, kurz war auch Ulrike Meinhof dabei, fiel im November in die Villa des Komponisten Henze in der Nähe von Rom ein, wo Rudi für drei Monate lebte. Nach den Schüssen in den Kopf war es eine ungeheuere Erleichterung, ihn wieder -wenn auch manchmal Worte suchend -sprechen zu hören. Er war gespannt auf Neuigkeiten aus Berlin. Lustig zu sehen, wie vor dem Abendessen die Straßenkämpfer ihre Finger in silberne Wasserschüsselchen tauchten, die von den Hausangestellten gereicht wurden. (...) Wir spielten zusammen Krocket, während weiße Zicklein im paradiesischen Garten von Henze herum sprangen und Windhunde miteinander spielten. Hinter roten Heckenrosen, die an umfriedenden Mauern emporwuchsen, hockten in den Olivenbäumen Zeitungsleute mit Teleobjektiven.«

Die Lage war ernst im Jahr 1968. Auch 1976 war sie noch ernst. Doch Siepmann hatte die Front verlassen, und 1976 wurde das erfolgreichste Jahr des Eckhard Siepmann. Gemeinsam mit Tom Fecht gründete er den Verlag Elefantenpress, »die Idee war Aufklärung mit Spaß«. Gleich das erste Buch, Siepmanns Arbeit über John Heartfield, den Erfinder der Fotomontage, war so erfolgreich, dass der Autor ein Drehbuch dazu schreiben und eine Ausstellung zu dem Thema konzipieren musste, die bis 1981 in ganz Europa unterwegs war. Das Buch verkaufte sich 120.000 mal.

Siepmann hat den Kragen seines Trenchcoats hochgezogen, ein freundlicher Rentner. Einer, der viel zu erzählen hat und der viel aufzuschreiben hätte. Tatsächlich ist das Schreiben eine heimliche Liebe. Eines seiner Bücher hieß »Nilpferde des höllischen Urwalds«. Ein Byron-Zitat. Es sollte die ästhetisch-romantischen Wurzeln der Revolte aufzeigen. Natürlich hat Siepmann Marx gelesen, Adorno diskutiert, und Anfang dieses Jahres eine Podiumsdiskussion mit dem Sohn Ernst Blochs auf der Bühne des Kreuzberger Wasserturms veranstaltet.

Aber Eckhard Siepmann liest auch Hölderlin und Lao Tse, er zitiert aus dem Stegreif. Über Novalis hat er ein Buch geschrieben. Auch Meister Eckhard gehört zu seinen Lieblingsautoren. Als er kürzlich den Direktor des Deutschen Historischen Museums besuchte, keimte die Idee auf, anlässlich des 750. Todestages des Meisters mit dem sympathischen Namen ein Buch zu veröffentlichen. Ein Buch, das über 700 Jahre entfernt wäre von 1968. Anders als bei Rudi Dutschke würde er keine Sekunde zögern. •


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