Kreuzberger Chronik
Oktober 2008 - Ausgabe 101

Geschichten & Geschichte

Die Entdeckung des Neptun


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von Werner von Westhafen

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Der Sterngucker in der Lindenstraße wurde 1835 nach den Plänen des Baumeisters Schinkel errichtet. 1846 wurde von hier aus der letzte Planet der Erde entdeckt, doch schon wenige Jahre später war die Sternwarte von Fabrikschloten umgeben, deren Qualm weitere Entdeckungen unmöglich machte. Foto: Postkarte

Als der König sich auf Drängen Alexander von Humboldts bereit erklärte, den Bau einer Sternwarte in der Lindenstraße zu finanzieren, machte er zur Bedingung, dass das 20.000 Taler teure Teleskop auch den einfachen Bürgern zur Verfügung stehe. Der Direktor des Observatoriums aber empfand für das gemeine Volk wenig Sympathie, sogar die Besuche hübscher Prinzessinnen, die von Humboldt gern in die Lindenstraße einlud, waren dem Diener der Wissenschaft ein Dorn im Auge. Doch Encke musste sich fügen und sein Fernrohr zwei Abende die Woche dem Volk opfern.

Besonders schlimm war der Winter 1846, denn ein Ereignis im Herbst des Jahres machte die Lindenstraße über Nacht weltberühmt. Am 23. September hatte die Sternwarte den Brief eines Franzosen erhalten, der »einen hartnäckigen Beobachter« suchte, um einen bestimmten Himmelsabschnitt, »in dem es möglicherweise einen Planeten zu entdecken gibt«, genauer zu untersuchen.

Encke maß dem Brief wenig Bedeutung bei und beauftragte seinen Mitarbeiter Johann Galle mit der Suche. Der blieb auch trotz genauer Angaben le Verriers zunächst erfolglos, doch sein Gehilfe schlug vor, die lokalen Sternkarten zu Hilfe zu nehmen. Diese waren 1846 noch lückenhaft, doch der gesuchte Abschnitt war vollständig verzeichnet. Galle begann, »die im Fernrohr sichtbaren Sterne anzusagen, während d‘ Arrest diese Sterne mit der Karte verglich«, bis sie auf einen stießen, der auf der Karte fehlte. Das unbekannte Objekt lag nur etwa 1 Grad von der vorhergesagten Position entfernt. Encke wurde gerufen, und tatsächlich registrierte man eine geringfügige Eigenbewegung. Galle schrieb an Le Verrier: »Der Planet (…) existiert tatsächlich!«

Mit der Entdeckung entbrannte ein Streit um die Entdecker. Aus England kam die Nachricht, dass bereits drei Jahre zuvor John Adams diesen Planeten entdeckt habe, und dass die Unterlagen lediglich in einer Schublade vergessen worden seien. Tatsächlich wurden vor 10 Jahren Dokumente entdeckt, die Adams Forschungen belegen. Dennoch wurden Galle und Le Verrier als Entdecker verzeichnet. Encke und d‘ Arrest gingen ohne Lorbeeren aus. Auch jener Mann, der den Himmelskörper bereits am 28. Dezember 1612 gesichtet hatte, blieb unerwähnt: Galileo Galilei hielt ihn für einen Fixstern, denn am 28. Dezember trat Neptun gerade seine Rückreise an – und schien unbeweglich.

Die Entdecker waren gefunden, doch die Taufe zog sich hin. Galle schlug »Janus« vor, die Engländer plädierten für »Oceanus«, und die Franzosen für »Le Verrier« – was allerdings außerhalb Frankreichs vehement abgelehnt wurde. Le Verrier selbst schlichtete am Ende den Streit, indem er einen mythologischen Namen vorschlug und den Himmelskörper damit in eine Reihe stellte mit Saturn, Mars und Venus. Seitdem kreist also auch »Neptun« um die Erde. •


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