Kreuzberger Chronik
Juli 2008 - Ausgabe 99

Essen, Trinken, Rauchen

Auf der Suche, Teil 1


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von Saskia Vogel

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Ja, Ja, Treffen am Freitagmittag geht klar«, hatte sie gereizt in ihr Handy geschnaubt, und den Termin gleich wieder vergessen. sie war ja so was von informationsüberflutet. Und jetzt war es Freitagmittag und sie erinnerte sich düster, dass sie verabredet war. Nur wo? Notiert hatte sie sich den Termin wieder mal nicht.

Sicher saß er wieder im Via He vor seinen zwei »Nem Goi Cuom«, diesen ungekochten Frühlingsröllchen in so einer Art hauchdünnem Reispapier. Flott machte sie sich auf den Weg. Kurz vor der Heimstraße bremste sie sich schon mal ein. Bei seinem Lieblings-Vietnamesen war Ruhe angesagt, das Gebot schon Buddha, der milde von der Wand lächelte. Sie schaute auch – allerdings nervös zur Tür – und kam kaum dazu, ihren dampfenden Ingwer-Tee zu trinken. Aber er kam einfach nicht.

Er nämlich saß jetzt schon zwei Stunden im Arman. Sie aß mittags eigentlich immer im Arman, wegen der Frühlingsröllchen! Und wegen der großen Fenster. Sie saß nämlich immer am Fenster und beobachtete die Leute auf dem Mehringdamm. »Ey, geil, hast du die Jeans gesehen? Echt abgefahren!« Die Kellner grinsten schon, wenn sie durch die Tür kam. Aber höflich, wie sie waren, verbeugten sie sich ungefähr bis zum Knie, wenn Sie mit hinter dem Rücken verschränkten Armen an ihren Tisch traten. Dann sah sie kurz auf, lächelte ganz asiatisch und sagte: »Ein Menü bitte für fünfneunzig– und zwei kleine Frühlingsröllchen!« – »Möchten Sie etwas trinken?« – »Einen Tee bitte!«

So ging das jeden Mittag. Aber an diesem Mittag war sie einfach nicht da. Denn sie hatte einen anderen Ausguck aufgesucht: Schwester Z. Etwas verkühlt hockte sie in den gelben Regiestühlen auf der Straße. »So bitte schön, die Grillplatte mit Lammkrone«. Die Kellnerin wischte umsichtig die Tabakkrümel vom Tisch. »Hat er zufällig heute hier gegessen?« fragte sie, aber die Kellnerin schüttelte den Kopf. Genervt warf sie einen Blick durchs Fenster und auf die große Wanduhr. Die Zeiger bildeten einen 90-Grad-Winkel. Punkt drei Uhr! Deprimiert verließ sie das Lokal. Aber da! Lief dahinten nicht ein schwarzer Mantel? Der Mantel verschwand im Cafe am Meer, blieb an der Kuchentheke stehen und drehte sich um. Es war eine alte Dame im Strickkleid.

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