Kreuzberger Chronik
Juli 2008 - Ausgabe 99

Mein liebster Feind

1. Brief


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von Karl Hermann und Doktor Seltsam

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Es gibt genügend Gründe, sich für seine Mitbürger zu schämen. Besonders, wenn man im Ausland mit deutschen Dumpfbacken konfrontiert ist, die in der Landessprache nicht mal »Bitte«, »Danke« oder »Die Rechnung bitte« sagen können. Das steht in jedem Reiseführer, und wenn sich die deutschen Touristen selbst einer solchen Mini-Lerneinheit hartnäckig verweigern, ist das ein derart barbarischer Akt der Unhöflichkeit den Gastgebern gegenüber, dass man die Anreisenden postwendend und mit leerem Magen wieder nach Deutschland zurückschicken müsste. So wie wir das immer tun. Kein Türke würde es wagen, so ohne jede Deutschkenntnisse in Berlin aufzutreten wie Berliner Billigtouristen ohne Türkischkenntnisse am Goldstrand der Kleopatra.

Die Weigerung, die Sprache seiner Umgebung zu lernen, zeigt einen psychischen Defekt der Deutschen an, der nicht durch Dummheit erklärt werden kann, sondern nur durch eine gewisse imperialistische Überheblichkeit. Man hält es schlicht für unnötig. »Wenn du was von mir willst, kannste ja meine Sprache lernen. Ich bin Chef, wo immer ich bin. Du stehst unter mir und du musst mich bedienen. Du musst mein Deutsch lernen, nicht umgekehrt.« so der Deutsche in der Türkei.

Ebenso peinlich und skandalös ist die Unfähigkeit der Weddinger und Kreuzberger Ureinwohner, sich mit ihren Nachbarn auf türkisch zu verständigen. Die Tatsache, dass selbst nach Jahrzehnten des Zusammenlebens der Sprachaustausch höchst einseitig verläuft, zeigt bei der sonst so geistig regen Bevölkerung dieser Bezirke eine rassistische Überheblichkeit an, der man lieber nicht auf den Grund gehen möchte. Wie phantasievoll sind dagegen doch die Sprachfloskeln der jungen türkischen Schülerinnen und Schüler, die man so manchmal am Südstern aufschnappen kann, wo sie nach Schulschluss parlierend in kleinen Gruppen vorbeischlendern: »Ich mach dich Krankenhaus«, droht da nicht unbedingt mit tierischem Ernst ein schwarzhaariger Schönling, oder »Ich weiß wo dein Haus wohnt!« Wer zu intensiv hinschaut oder hinhört, bekommt ein »Wskuckstn!« hingerotzt, nicht etwa fragend, sondern als Warnung. Und wenn man offen angesehen mit der Frage »hassuproblem!« konfrontiert wird, sollte man lieber das Feld räumen. Wenn jungen Mädchen etwas nicht passt, dann sagen sie jedes Mal »hallo-o-o???« -mit langhaltig hochgezogenem O. eine unangenehme Schularbeit wurde neulich so kommentiert: »Ihh, wie scheiße is das denn!!«

Wo bleibt da die längst überfällige Übernahme geeigneter türkischer Sprachfloskeln in die deutsche Alltagssprache, etwa »Nah Yaparim! Bok yaparim« (Die i ohne Punkt geschrieben, also ganz kurz gesprochen.), oder »siktor git«, »Köpek!« oder einfach »It!«. Zumindest die Kreuzberger Lehrer hätten schon vor Jahren zum Türkischunterricht verpflichtet werden müssen. Dann hätte es diesen »Rütlieffekt« womöglich nie gegeben.

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