Kreuzberger Chronik
September 2007 - Ausgabe 90

Witzels Geschichten

Müllers Witze


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Autor unbekannt

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Ich will mal so sagen«, brummte Kriminalhauptkommissar Müller am Abend in seiner therapeutischen Kleingruppe, »Humor ist, wenn man trotzdem lacht, und meine eigenen Witze sind nun mal die besten. Geht euch das auch so?«

»Wenn meine Witze gut erzählt werden und ich die Pointe verstehe, dann geht es mir ganz genauso, Bernd«, sagte Swami Schuster. Er moderierte die Gruppe als Urlaubsvertretung. »Aber wir müssen jetzt langsam zum Schluß kommen und unsere neurolinguistische Programmierung vornehmen. Also, packen wir’s!«

Alle zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer faßten sich gehorsam an den Händen und holten tief Luft.

Am nächsten Morgen rief wieder die Arbeit im Abschnitt 52 in der Friesenstraße. »Heute hab ich mein zweijähriges Praktikantenjubiläum, Chef«, begrüßte ihn Anwärter Krahlmann. »Deshalb lad ich Sie nachher in der Mittagspause zum Chinaimbiß ein!«

»Sparen Sie lieber Ihre Euros«, sagte Müller. »Aber mitessen tu ich gern mal – vorausgesetzt, die haben da nicht nur Stäbchen im Besteckkasten.« Hihihi ….

Um 12 Uhr mittags standen die Beiden im Chinaimbiß am KonradZusePlatz und studierten das Angebot. »Sprechen Sie Chinesisch, Herr Krahlmann?« fragte Müller.

»Nein«, antwortete der Anwärter. »Aber ich«, sagte Müller und bestellte: »Einmal Flühlingslolle!« Müller prustete los, die eigenen Witze waren eben die besten.

»Einmal die 253«, sagte Krahlmann zum Chinesen. Und zu Müller sagte er: »Entschuldigen Sie bitte vielmals, daß ich nicht mitlache, Chef, aber dieser Witz war mir einfach zu blöd.«

Müller riß sich zusammen, griff mit ernstem Gesicht zu Messer, Gabel, Teller und setzte sich hin. Nach dem Essen wollte er alles wiedergutmachen und begann einen seriösen Smalltalk über die Trennung zwischen Kreuzberg und dem Ostblock vor der Wende. »Also«, sagte er, während der Koch die benutzten Teller abräumte, »besonders zynisch fand ich ja damals diesen neurolinguistischen Patzer: ›Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.‹«

Der Koch blieb freundlich lächelnd stehen, beide Hände voll Geschirr, und sagte: »Das hat Ulbricht geklaut. Der Spruch war ein Lieblingswitz vom letzten MandschuKaiser.«

Am nächsten Montag abend im Kleingruppengespräch ging es noch immer um das Thema »Humor in der Krise«. Alle sollten einen Witz erzählen. Kommissar Müller kicherte schon, als er nur daran dachte, was er gleich erzählen würde.

»Na gut«, sagte Swami Schuster und sah Müller streng an dabei, »Bernd ist jetzt dran.«

»Kennt Ihr schon den Lieblingswitz des letzten MandschuKaisers?« rief Müller und prustete los wie ein Vulkan. Tränen liefen ihm aus den Augen und er mußte nach Luft schnappen. Als endlich wieder Stille eingekehrt war im Saal, riefen alle: »Erzähl, erzähl!«, und Müller wollte schon loslegen, da sagte Swami: »Aber nicht wieder den mit den Chinesen…«

Der Kommissar sah sich um. Elf Personen blickten ihn mit großen Ohren an. Müller konnte nicht mal mehr Piep sagen. Kleine kalte Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Warum mußte er sich auch immer über diese Chinesen lustig machen?

Müller war sich nicht sicher, ob ihm die therapeutische Kleingruppe nicht allmählich zu groß wurde, da fragte ihn Swami Schuster, »Na, Müllerchen, ist dir der Witz entfallen?« Müller schüttelte energisch den Kopf und sagte: »Neinein, der ist nur nicht so gut.«


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