Kreuzberger Chronik
September 2007 - Ausgabe 90

Essen, Trinken, Rauchen

Sas und Schwester Z


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von Saskia Vogel

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Nein, es hört nicht auf zu regnen. Die Bergmannstraße versinkt geradezu im Regen, und Sas, mal wieder viel zu dünn angezogen, sucht Zuflucht unter der roten Markise von Schwester Z, um nicht völlig durchnäßt zu werden. Hinter der Glasscheibe des Lokals sitzen nur ein paar vereinzelte Gäste, aber es ist auch schon spät am Mittag. Und wahrscheinlich liegt sowieso ganz Kreuzberg mit einer triefendnassen »Ist der Sommer denn schon wieder vorbei?« – Depression im Bett. Hinter der Scheibe aber flackern Kerzen, das Besteck auf den Tischen funkelt, und hinter dem Tresen lächelt die Kellnerin Sas freundlich zu. Es ist das Lächeln an diesem grauen Tag, das Sas dazu verführt, einzutreten und sich ein »Business Lunch« für 7,50 Euro zu bestellen. Obwohl sie doch gar keine Geschäftsfrau ist, sondern nur eine lausige Studentin.

Das Essen läßt nicht lange auf sich warten, doch Sas ist eine ungeduldige Natur und hat die schlechte Angewohnheit, vor und sogar während des Essens Zeitungen durchzublättern. Im hölzernen Zeitungshalter eingeklemmt hängt altehrwürdig Die ZEIT, doch das Stadtmagazin Siegessäule ist ungleich interessanter: Hier grinsen Sas Typen entgegen, die sich nie im Leben für sie interessieren würden. Als die Kellnerin die Vorspeise bringt, kann auch sie sich einen Blick nicht verkneifen. »Wow… heiß!« – ihr knapper Kommentar zum halbnackten WaschbrettModell auf der Titelseite. Ja, lecker sind sie, die braungebrannten Burschen, das findet auch Sas. Aber nicht so angenehm cremig wie die Beelitzer Spargelsuppe, die jetzt aus dem DesignerTeller dampft. Das Brot ist liebevoll in ein Leinentuch eingeschlagen und knusprig warm. Gierig stopft sich Sas ein Stück nach dem anderen in den Mund… vier, fünf, sechs – das war’s. Und wäre sie nicht so gut erzogen, dann würde sie wohl auch noch die letzte kleine Spargelpfütze aus dem Teller lecken.

Satt. Ihren Trommelbau zur Entlastung nach vorne schiebend, lehnt sich Sas gemütlich zurück und leiert einen Plausch mit Koch Markus an, der sich eine Pause am Tresen gönnt. Und Sas begeistert von der mediterranfranzösischen Küche vorschwärmt: Die Schnecken in Burgundersauce müsse sie mal probieren, und den Ziegenkäse in Mandelkruste. Auch auf der handgeschriebenen Karte von Z’s Schwester entdeckt Sas Verführerisches und beginnt augenblicklich, von Kaninchenfilet und rotem Thunfisch in MangoChiliChutney zu träumen. Die Realität aber kommt als Tagliatelle in Tomatensauce daher. Denn – und das hatte sie vollkommen vergessen: Das BusinessLunch ist ja zweigängig!

Sas lichtet mit der Gabel das RucolaNest, bis sie zu den Nudeln vorstößt. Und erschrocken feststellen muß, daß der Teller mindestens zehn Meter tief ist. Soviel Pasta für so wenig Hunger! Aber es schmeckt vorzüglich, die Tomatensauce kommt frisch vom Feld. Doch Sas hat einfach zu viel Brot gefuttert. Sie ist pappsatt und kann nicht mehr. Da waren die Augen wieder größer als der Magen. Schuldbewußt schaut sie zu Markus hinüber, Markus versteht. Eingepackt in einer Alubox trägt Sas dann ihr BusinessLunch mit zu sich nach Hause. Und tatsächlich: Nach einigen Umdrehungen in der Mikrowelle mutiert die Pasta am Abend erneut zum Leckerbissen. Nur eines vermißt Sas, als sie einsam und allein in ihrer Küche hockt und gelangweilt in der Gala blättert: Die Freundlichkeit der Kellnerin. Die hat dem Besuch bei Schwester Z den letzten Schliff gegeben. An diesem herzlosen Regentag.

Saskia Vogel


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