Kreuzberger Chronik
November 2007 - Ausgabe 92

Herr D.

Herr D. und Herr Schäuble


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Autor unbekannt

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Es gibt Gesichter, »die vergißt man nie. Die geistern wie Gespenster durch ein ganzes Leben, und jedes Mal, wenn wir eines sehen, das ihnen ähnelt, wird uns ganz flau im Magen.« So hatte es der Herr D. einmal in einem kleinen, handgeschriebenen Notizbuch gelesen, das jemand auf einer Parkbank am Kreuzberg hatte liegen lassen – womöglich in der Hoffnung, ein Verleger käme des Weges und könne den Geniestreich entdecken.

So einem Gesicht begegnete Herr D. kürzlich an einem Sonntag gleich zwei Mal. Er hatte ein Brot kaufen wollen in dem neuen Bioladen in der Eylauer Straße, da stieß er an der Ecke auf den Aufruf zur Demonstration gegen die Antiterrorgesetze. Er erkannte den Mann auf dem Plakat sofort, obwohl nur die Hälfte des Gesichts sichtbar war, da es in der Mitte von einem dicken Balken durchkreuzt wurde. Darauf stand: »Selber Terror«.

Auch beim optimistischen Biohändler in der Eylauer Straße stieß der Herr D. auf seinen Innenminister. Im Schaufenster hing neben Bioäpfeln und AntiStreßTee die Titelseite der taz vom 30. August. Unter der Überschrift »Bundestrojaner entdeckt« hatte die Tageszeitung aus dem Innenminister ein Alienähnliches Wesen mit riesigen Lauschern, mörderischen Glubschaugen und einem verkniffenen Mund gemacht, das Elwood, dem letztlich gekürten häßlichsten Hund der Welt, nicht unähnlich war.

Das Brot unter dem Arm sah sich Herr D. das Kunstwerk etwas genauer an, und Oskar, der alternative Gemüsehändler, zu dem Herr D. gerne ging, weil man ihn noch duzen konnte wie in den Siebzigern, sagte: »Der ist ja nun mal gerade Thema!« Dem Herrn D. aber wurde ganz flau im Magen. Ihm wurde immer flau im Magen, wenn er den Herrn Schäuble sah. Im Fernsehen, wenn er das Gesicht auf die Seite legte und so komisch lächelte, um dann mit diesem scheinbar väterlich beschwichtigenden »Aber« zu beginnen: »Aber natürlich…«, »Aber es gibt doch …«, »Aber das hat doch niemand gesagt …«, »Aber ich bitte Sie…«

Herr D. erinnerte sich noch genau an seine erste Begegnung mit Herrn Schäuble. Wie gebannt stand er plötzlich vor dem Fernseher und lauschte den Worten zweier Männer, die sich über Politik unterhielten. Vielleicht war es diese leise, eindringliche, kehlige und schon etwas nach dem Jenseits klingende Stimme jenes Manns, der die »Fragen zur Person« Schäuble stellte, die das Ganze so unheimlich machte. Etwas klein, etwas unsicher saß der CDUPolitiker zunächst in seinem Rollstuhl, aber Günter Gaus schmeichelte ihm, verlas zuerst die interessante Vita seines Gastes, erwähnte Verdienste und Erfolge des Christdemokraten. Einfühlsam und menschlich wie sonst nur Talkmeister Beckmann näherte sich der ehemalige SpiegelChef dem Tag des Attentats, ließ Schäuble den Tathergang erzählen, um dann vorsichtig die Frage in den schwarzdekorierten Raum zu stellen, ob da nicht vielleicht Verbitterung im Menschen Schäuble zurückgeblieben sei. Und ob ein verbitterter Politiker ein guter Politiker sein könne.

Immer enger zog Gaus das unsichtbare Netz der Argumente, und derart in Bedrängnis geraten äußerte Schäuble damals einige Gedanken, die Herrn D. das Fürchten lehrten. Der Spuk endete erst, als Gaus wieder auf den Erfolg zu sprechen kam und Schäuble als den heimlichen Kanzlerkandidaten der CDU entlarvte. Da ging ein befreites Lächeln über das Gesicht des Politikers. Zuerst zierte er sich noch ein bißchen, – darüber könne er nicht reden –, aber am Ende gab er ziemlich unumwunden zu, wie gern er der neue Kanzler wäre. Seitdem hatte Herr D. immer ein flaues Gefühl im Magen, wenn er den Mann mit den verkniffenen Mundwinkeln sah.


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