Kreuzberger Chronik
Mai 2007 - Ausgabe 87

Witzels Geschichten

Als Thielicke sein Zweitbuch bekam


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Autor unbekannt

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Steuern«, flüsterte Willi Thielicke an diesem ruhigen Mittwoch seinen Stammgästen als geheimen Börsentip ins Ohr. »Ich leg mein Geld nur noch in Steuern an, die sollen garantiert steigen, hab ich gehört. Dafür verbürgt sich sogar unsere Parallelgesellschaft im Regierungsviertel.« Das Café Blümel selber dagegen bürgt für nichts. Tage gibt es, an denen die Bude so voll ist, daß sich jeder wundert, wieso dort überhaupt noch einer hingeht. Und dann wieder gibt es Tage wie diesen Mittwoch, an denen ist der Laden so schön leer, daß sich jeder Passant im Vorübergehen fragen muß, warum nicht mehr Leute hier sind.

Rosy sitzt natürlich zum Sehen und Gesehen werden am Fenstertisch zur Fidicinstraße. Weil nix los ist und also auch keiner guckt, erzählt sie Willi mal wieder die Geschichte von Eric Clapton. Und warum Clapton eigentlich zur Gitarre griff. Eric sagte nämlich selten etwas. Und wenn er was sagte, dann hörte keiner zu. Deshalb hat er schließlich angefangen, Gitarre zu spielen. Und weil ihm dabei auch erst mal keiner zuhörte, hatte er schön viel Zeit zum Üben. So viel, daß er richtig gut spielen lernte. So gut, daß er seine gebrauchte Fender-Stratocaster von 1956 – die gleiche, die auch der alte Rudy Stevenson im Yorckschlösschen immer spielt – immerhin noch für eine Million D-Mark verscherbeln konnte. Nicht schlecht, meinte Rosy.

Da endlich flog die Tür auf und herein stürmten die Cheerleaders von Berlin Thunder nach Feierabend oder wie auch immer diese gutaussehenden, durchtrainierten Frauen heißen. Allerdings stellte sich bald heraus, daß es sich nur um die weibliche Belegschaft vom Mehringdammer Büchertisch handelte, die Zigarettenpause machte im letzten wasserpfeifenfreien Raucherreservat vorm Hindukusch.

»Attraktive, intelligente Frauen allesamt!«, stellte Willi Thielicke fest. Er fand es besser, wenn er ihnen das sagte, als wenn das fremde Männer sagten.

Letzte Woche hatten sie ihm der vielen Schmeicheleien wegen ein Buch schenken wollen. Er hatte gesagt, er hätte schon eins. Doch der Trend ging schließlich zum Zweitbuch, und so schafften es die Frauen tatsächlich, ihm einen kleinen Schmöker »für unterwegs« anzudrehen. Und Willi hatte ihn tatsächlich gelesen, obwohl er eigentlich gar nicht mehr viel unterwegs war. »Pomperipossa in Monismanien« hieß die Geschichte. Staunend war er Astrid Lindgren nach Monismanien gefolgt, wo Frau Pomperipossa eines Tages 102% Steuern bezahlen mußte, und »det fiel ihr uff«, sagte Willi Thielicke. Daraufhin beschloß die gute Pomperipossa, Geld zusammenzubetteln für eine kleine Damenbrechstange und mit diesem Mitternachtswerkzeug auf die Geldkästen der Regierungsvertreter loszugehen.

Das Zweitbuch erinnerte Willi Thielicke an sein Erstbuch, die »Dreigroschenoper«: »Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie?« hieß es dort. »Und was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« Thielicke kam in Fahrt.

»Sehn Se, das ist Berlin!« rief er stolz den Büchertischbräuten zu, wedelte rechterhand mit dem schwedischen Märchen und wies mit links nach draußen in Richtung Hauptstadt. »Hut ab vorm Fortschritt, Mädels, denn was ist die Gründung einer Bank gegen die Gründung einer Bankgesellschaft? 60 Milliarden Euro Schulden hat noch nicht mal Ludwig XIV. mit Versailles in den Sand gesetzt! Da muß ein alter Mann schon ganz schön lange für stricken, hat Herr Wowereit gerade neulich wieder festgestellt.«


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